Belastung ist weiterhin groß
Die schlimmsten Corona-Zeiten sind für Pflegeheime dank Impfungen vorüber – angespannt ist deren Situation aber noch immer. Die Auswirkungen der Pandemie sind weiter eine Belastung, hinzu kommen Schwierigkeiten beim Gewinnen neuer Pflegekräfte und ungleiche Bedingungen durch Leiharbeitsfirmen, schreibt die Pressestelle des Landkreises Gießen.Vielfalt an Problemen verdeutlicht
Um die dringendsten Probleme deutlich zu machen und nach Lösungsansätzen zu suchen, haben sich auf Einladung von Landrätin Anita Schneider nun Verantwortliche aus Pflegeheimen und Politik getroffen.
Entstanden ist die Runde aus dem regelmäßigen Austausch, der zwischen Landkreis und heimischen Pflegeheimleitungen bereits seit fast der gesamten Dauer der Pandemie besteht. „Neben Fragen an das Gesundheitsamt zu Themen wie Impfungen und Tests wird dabei auch immer wieder deutlich, vor welchen Problemen Pflegeeinrichtungen im Alltag stehen“, erklärt Landrätin Anita Schneider.
Auch Bundes- und Landtagsabgeordnete eingeladen
Um dies in Richtung Bundes- und Landespolitik zu adressieren, lud die Landrätin die heimischen Bundes- und Landtagsabgeordneten ein. Gastgeber des Gesprächs im Awo-Pflegeheim Lollar war Jens Dapper, Geschäftsführer der AWO Gießen, der gemeinsam mit Christa Hofmann-Bremer, Einrichtungsleitung für diakonische Altenpflege Gießen, für die Pflegeheime sprach. Von Seiten der Politik nahmen Bundestagsabgeordneter Felix Döring sowie Landtagsabgeordnete Nina Heidt-Sommer teil. Bundestagsabgeordneter Dr. Helge Braun musste sich entschuldigen, möchte aber zu einem späteren Zeitpunkt ebenfalls ins Gespräch mit den Heimen gehen.
Finanzielle Belastung ist hoch
Klare Forderung seitens der Pflegeheime: Den Rettungsschirm für die Einrichtungen wenigstens teilweise wieder aufspannen. „Die finanzielle Belastung durch die Pandemie ist weiter hoch“, erklärte Jens Dapper. So müssen bei Corona-Ausbrüchen zusätzliche Pflegekräfte eingesetzt und besondere Schutzvorkehrungen getroffen werden, beides werde aber nicht mehr erstattet.
Im Bereich der Tagespflege dagegen seien die Einnahmen teilweise komplett entfallen, ergänzte Christa Hofmann-Bremer. Erkranken Menschen, die die Tagespflege besuchen, an Corona, bleiben sie fern. „Das Personal müssen wir dennoch vorhalten.“ Diese Mehraufwendungen müssten endlich – wie von politischer Seite angekündigt – dringend in die Verhandlungen mit den Kassen als Kostenträgern aufgenommen werden.
Thema Leiharbeitskräfte wurde besprochen
Dapper und Hofmann-Bremer sehen auch die Notwendigkeit, Kosten für Leiharbeitskräfte durch klare Vorgaben zu begrenzen. Um stationäre Pflege zu gewährleisten, hätten viele Heime keine andere Wahl, als zeitweise auf Leiharbeitskräfte zurückzugreifen. „Diese kosten zum Teil das Doppelte – während für erkrankte eigene Beschäftigte deren Lohnfortzahlung noch weiterlaufen muss“, erklärte Dapper.
Wartezeit für Einstellung ausländischer Pflegekräfte
Fachkräftemangel in der Pflege war schon vor Corona ein Problem, nun kommt er verschärfend hinzu. Zum Teil können Pflegeeinrichtungen auf Bewerber:innen aus dem Ausland zurückgreifen. Allerdings: „Nach unseren Erfahrungen kann es von der Ankunft in Deutschland bis zur Unterzeichnung eines Arbeitsvertrags gut anderthalb Jahre dauern“, weiß Christa Hofmann-Bremer. Das zuständige Regierungspräsidium Darmstadt benötige für notwendige Formulare teilweise eine bis zu drei Monate lange Bearbeitungsdauer.
Angespannte Personalsituation noch verschärft
Die noch immer geltenden Corona-Schutzvorkehrungen für Heime wirken sich in der jetzigen Phase der Pandemie eher belastend aus. Weiter gilt für infizierte Beschäftigte ein Betretungsverbot. Aus Sicht von Dapper und Hofmann-Bremer ist dies überholt und verschärft die angespannte Personalsituation: Denn dank Impfungen verliefen die Infektionen oft mild – kein Vergleich mehr zu den Krisenzeiten ohne Impfungen. Daher müsse es Normalität sein, dass Pflegekräfte unter Einhaltung der üblichen Hygieneregeln selbst entscheiden können, ob sie arbeitsfähig sind oder nicht. Zwar sei das Gesundheitsamt in Gießen kooperativ und ermögliche unkompliziert Ausnahmegenehmigungen, eine „Insellösung“ für die Heime dürfe es aber nicht mehr geben.
Auf Verantwortung des Sozialministers hingewiesen
Auch die jüngsten Einsparungen der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen, so die Schließung der Zentrale des Ärztlichen Bereitschaftsdienstes (ÄBD) in Lich, haben Auswirkungen auf die Pflegeheime. Bei Notfällen bleibe nun oft keine andere Wahl, als den ohnehin stark ausgelasteten Rettungsdienst zu rufen. Aus Sicht von Dapper und Hofmann-Bremer ist eine Notfallnummer für den ÄBD nötig.
In diesem Zusammenhang verwies die Landtagsabgeordnete Nina Heidt-Sommer auf die Verantwortung des Sozialministers für die Sicherstellung der ärztlichen Versorgung im ländlichen Raum: „Es kann nicht sein, dass die KV aus Kostengründen die medizinische Notfallversorgung immer weiter zusammenstreicht, ohne dass dies vom Sozialministerium genauestens evaluiert wird. Zu große Entfernungen zu den Patient:innen und zu wenig Personal gefährden letztlich die Gesundheit von Menschen.“ Heidt-Sommer kündigte an, den Sozialminister dazu zu befragen.
Reduzierung von Bürokratie gefordert
„Der Landkreis hat in der Pandemie versucht, Pflegeheime zu unterstützten – sei es durch geschultes Personal beim Testen, durch mobile Impfteams oder Qualifizierungen für Ehrenamtliche, die in der Pflege unterstützen können“, bilanziert Landrätin Schneider. „Darüber hinaus ist es aber erforderlich, dass Bund und Land die hier geschilderten Rahmenbedingungen berücksichtigen.“
„Die Pflegeheime haben herausfordernde Jahre hinter sich. Vor der Leistung, die hier zur Bewältigung der hinzugekommenen Herausforderungen jeden Tag vollbracht wird, habe ich großen Respekt“, sagte Bundestagsabgeordneter Felix Döring. „Der Bund versucht ebenfalls, zu unterstützen, wo es geht und die neuen Belastungen abzufedern. Mir ist wichtig, dass wir das aber nie als abgeschlossen betrachten, sondern laufend prüfen, welche weitere Unterstützung nötig ist. Viele der in dem Gespräch genannten Punkte kann ich gut nachvollziehen und werde sie deshalb mit nach Berlin nehmen. Das betrifft neben der Kostenfrage besonders auch Hilfe bei der Reduzierung von Bürokratie und entschlossene politische Konzepte gegen den Fachkräftemangel.“
Titelbild: Austausch über die schwierige Situation der Pflegeheime im Heim der AWO in Lollar: (v. l.) Bundestagsabgeordneter Felix Döring, Jens Dapper, Geschäftsführer der AWO Gießen; Landrätin Anita Schneider, Landtagsabgeordnete Nina Heidt-Sommer und Christa Hofmann-Bremer, Einrichtungsleitung für diakonische Altenpflege Gießen. (Foto: AWO Gießen)