Des Jägers Heuchelei
Der Landbote redet in seiner neuen Rubrik „Ohne Scheiß jetzt!“ Klartext. Diesmal Anton J. Seib über die Doppelmoral der Jäger.
Schüsse aus dem Hinterhalt
Ohne Scheiß jetzt! Mir reicht’s mit der Heuchelei! Ich geh‘ mit dem Hund spazieren. Am Waldrand. Genieße die Frühlingssonne, der Hund schnüffelt am Waldsaum herum, verschwindet im hohen Gras. Über den Feldweg rumpelt ein Jeep. Ein Jäger.
„Gell, Sie lassen den Hund nicht mehr in den Wald laufen, rufen Sie ihn zurück. Es ist Brut- und Setzzeit, da sind jetzt Rehe mit jungen Tieren drin. Die sollen nicht gestört werden“, sagt er ebenso höflich wie oberlehrerhaft durch das geöffnete Fahrerfenster. Ich nicke und laufe weiter.
Er fährt weiter. Bis zu einem nahen Hochsitz am Waldrand. Schraubt an der Leiter rum, bringt das Gestell in Schuss. Schließlich muss im Herbst alles gerichtet sein, wenn die Jäger den Wildnachwuchs aus dem Hinterhalt abballern wollen.
Dass der Schutz junger Wildtiere wichtig ist und ein Jäger nicht sinnlos im Herbst alles abballert, was da im Frühjahr zur Welt kommt, dürfte sich auch einem hundebesitzenden Journalisten erschließen. Was ist denn falsch daran, Waldspaziergänger darauf aufmerksam zu machen, dass jetzt Junghasen, Rehkitze und Bodenbrüter Schutz vor stöbernden Hunden und lärmenden Wanderfreunden brauchen? Und was ist falsch am Abschuss überzähliger Rehböcke und marodierender Wildschweine im Herbst, bevor die überschüssigen Bestände im Winter Hunger leiden?
Ich bin kein Jäger, aber solche Artikel nerven mich. Sie zeugen von einem absoluten Mangel an Verständnis für die Natur. Ohne Scheiß jetzt.
Lieber Leo,
gemach, gemach. Ich nehme ebenso Rücksicht auf die Natur wie der Hund, der noch nie nach Wild gestöbert oder gewildert hat.
Und der übrigens auch nur am Waldrand gelaufen ist.
Aber diese Logik muss mir jemand erklären: Im Frühjahr wird der Wild-Nachwuchs geschont, damit er groß werden kann. Und im Herbst und Winter gibt es dann zu viel Wild, das Schäden verursacht und deswegen abgeschossen werden muss.
Ich habe zu diesem Thema meine Erklärung, Sie eine andere.
Anton J. Seib
Sehr geehrter Herr Seib,
ein gesunder Rehbestand braucht Nachwuchs, in erster Linie weiblichen. Geschossen werden später vor allem die Böcke, die – unvernünftig, wie die Natur nun mal ist – im Geschlechterverhältnis 1 : 1 geboren werden; also in weit größerer Zahl als für den Erhalt der Art notwendig wäre.
Weil es aber in unseren Breiten an ausgedehnten Lebensräumen, in die die Tiere sich ausbreiten könnten, ebenso fehlt wie an adäquatem Raubwild, das sich vor allem in der Paarungszeit an liebestollen Böcken bedient und so die männliche Population ausdünnt, werden junge, aber auch alte Rehböcke geschossen. Letztere machen dann Platz für die nächste Vatergeneration und damit für neue Vererber mit neuen Genkonstellationen, die den jeweiligen Bestand genetisch auffrischen. Das ist biologisches Grundwissen.
Zudem geht es, egal, ob der Jagdpächter das explizit erwähnt hat oder nicht, beim Freilaufverbot für Hunde nicht nur um Rehe, sondern auch um gefährdete Bodenbrüter, Feldhasen etc. – also um Tierarten, die Jäger im Herbst mitnichten abballern wollen.
Vielleicht versuchen Sie es beim nächsten Mal mit einem Gespräch, statt mit einem launigen Artikel. Der Jäger hätte Ihnen das sicher auch gerne erklärt.
Immer noch nicht verstanden? Ich habe völliges Verständnis dafür, dass Wild in Ruhe leben kann. Darüber hätte ich auch mit dem Jäger nicht streiten müssen. Ich nehm ihm auch nicht übel, dass er mich ansprach und belehrte. Mir geht nur die Hybris von Jägern gehörig auf den Zeiger! Erst schützen, dann schießen. Nur darum geht’s.
Und wenn Sie Ihre Argumentation oben nochmals genau lesen, merken Sie vielleicht, wie widersprüchlich das ist…
Anton J. Seib