Wann wird man je verstehn?
Noch nicht lange nach einer Hüftoperation aus der Reha zuhause höre ich im Radio „DeutschlandfunkKultur“ ein Feature über das Massaker von My Lai. Es jährte sich am 16. März zum 50. Mal. In dem vietnamesischen Dorf ermordeten damals, 1968, Soldaten der US-Armee 504 unbewaffnete Zivilisten. Die Frauen, Männer, Alten, Kinder und Säuglinge wurden innerhalb von vier Stunden umgebracht, die Häuser niedergebrannt und Frauen vor ihrem Tod vergewaltigt. Das Massaker wurde zunächst vor der Öffentlichkeit vertuscht. Nur durch die Recherchen des unerschrockenen Journalisten Seymour Hersh wurde die Bluttat öffentlich. 1970 erhielt er dafür den Pulitzerpreis.
Gedanken über den Krieg
Hersh besuchte einen beteiligten jungen Soldaten nach dessen Rückkehr in seinem amerikanischen Dorf. Es war ein Bauernjunge, dessen Mutter zu dem Reporter sagte: „Ich gab ihnen einen guten Jungen und erhielt einen Mörder zurück.“ Diese einfache Frau hatte erkannt, dass Krieg die Menschen verroht, und zwar jeder Krieg. Der „Feind“ wird total herabgewürdigt, um die Tötungshemmung aufzuheben und ihn umbringen zu können. Die Welt wird nur noch in schwarz-weiß gesehen. Hinzu kommt der Zwang, dem Kommandeur der Einheit Gehorsam leisten zu müssen. Jimmy Hendrix hat mit seiner Guitarre symbolisch die amerikanische Nationalhymne verunstaltet, um die seelischen Verwüstungen auszudrücken. Doch nicht nur amerikanische Soldaten haben ja Kriegsverbrechen begangen, jeder Krieg verändert die Menschen in schrecklicher Weise. Wieviel Millionen Menschen – Soldaten und Zivilisten – wurden allein im Zweiten Weltkrieg umgebracht? Und der begann nur 21 Jahre nach dem Ersten Weltkrieg, in dem ebenfalls viele Millionen elend verreckten.
Hat man endlich daraus gelernt? Dann würden wohl nicht immer weiter Waffen produziert, für die eigene Armee und für den Export. Dann würde man sich wohl nicht so einfach den Nato-Wünschen fügen. Ja, man will unseren Verteidigungsbeitrag auf bis zu 2 % des Bruttoinlandsprodukts, also um viele Milliarden Euro zusätzlich anheben. Warum heißt es überhaupt Verteidigungsetat und Verteidigungsministerium? Ein Feind ist für mich nicht erkennbar, gegen den man sich verteidigen müsste und der solche horrenden Ausgaben rechtfertigen würde. Als Indiz für die positive Sicht des Militärischen sehe ich auch den Brauch, wie zu Kaisers Zeiten das militärische Zeremoniell abzuspulen, wenn ein Staatsgast zu Besuch kommt.
Die Schrecken jedes Krieges
Ein Verdacht kommt da schnell, dass das gegenwärtige Russland-Bashing auch die Funktion hat, einen Bösewicht aufzubauen, um den Kalten Krieg wieder anzuheizen. Ich behaupte damit nicht, dass Putin ein Demokrat ist, weit gefehlt. Bedroht fühle ich mich durch Russland jedoch nicht. Aber die voreilige Schuldzuweisung für den Mordversuch in England ist schon erstaunlich. Noch gibt es nur Vermutungen und keinerlei Beweise, und doch bläst sogar schon der Nato-Generalsekretär Stoltenberg ins gleiche Horn wie die britischen Anschuldigungen. Will man so eine Ausweitung von Nato und EU nach Osten vorbereiten und die Ukraine ins westliche Boot holen? Angesichts der Schrecken jedes Krieges sollte man vorsichtiger sein und Behauptungen nicht zu Tatsachen machen. Denn jeder Konflikt kann gefährlich eskalieren, bei der weltweit angehäuften Menge von Waffen.
Schon die Künstlerin Käthe Kollwitz forderte „Nie wieder Krieg!“. Sie hatte einen Sohn im ersten Weltkrieg verloren, so wie ich meinen Vater im Zweiten Weltkrieg verlor. Heute fordern die traditionellen Ostermärsche Abrüstung statt mehr Aufrüstung. Nur wenige nehmen an ihnen teil, gemessen an der Bevölkerungszahl. Zwar bekennt sich jede/r zum Frieden, aber Ostern will man wohl was Besseres tun als an blutige Schrecken denken. In Giessen findet am 31. März „nur“ eine Mahnwache im Seltersweg statt, die um 10 Uhr beginnt. Das ist für mich mit meinem Rollator genau das Richtige. Veranstaltungen und Demos zu Fuß und zu Rad finden in über 60 weiteren Städten statt, so auch in Marburg, Frankfurt oder Bruchköbel.