Nervige Talks der Antike
So manche Prominente gehen in Talkrunden mit hochnäsigem Geschwätz aufeinander los, was die Fernsehzuschauer nervt. Dieses unwürdige Szenario gehörte allerdings bereits vor 2000 Jahren zum Alltagsgeschehen. Die Beschreibungen solcher hochphilosophischer Streitgespräche von Wichtigtuern verdanken wir einem Chronisten der damaligen Zeit: Lukian von Samosata, der 120 bis 180. n. Chr lebte.
Duo Möllendorff/Guckelsberger in Aktion
In der Wetzlarer Phantastischen Bibliothek stellten kürzlich Prof. Peter von Möllendorff (JLU Gießen) und Rudolf Guckelsberger (Sprecher beim Südwestrundfunk, SWR) diesen begnadeten Schriftsteller vor. Das eingespielte Duo, das schon oft zusammen Werke der Antike der Öffentlichkeit präsentiert hat, brachte den Zuhörern die in griechischer Sprache verfassten Schriften des Lukian auf so spannende und informative Art nahe, das es immer wieder Zwischenapplaus gab.
Man merkte Peter von Möllendorff, der an der Justus-Liebig-Universität Gießen Klassische Philologie und Gräzistik lehrt, und Rudolf Guckelsberger, der auch Moderator beim SWR ist, an, wie es ihnen Spaß machte, Auszüge aus den weitgehend satirischen Texten dieses hochinteressanten Autors vorzulesen und zu erläutern, dessen Beschreibungen von Charakteren in der Tat auch für das Jahr 2017 gelten könnten.
Vornehmer Schaumschläger
Rudolf Guckelsberger rezitierte mit temperamentvoller Gestik, wie Lukian einen vornehmen Schaumschläger auf den Arm nimmt, der in der Öffentlichkeit zur Schau stellt, dass er viele wertvolle Bücher besitzt. Diese Schriften hat er allerdings weder gelesen noch verstanden. Solche Zeitgenossen gibt es bekanntlich auch im Jahr 2017: Es ist groß in Mode, seinen Gästen zu einem Glas Wein die Sammlungen teurer antiquarischer Wälzer zu zeigen, die in wuchtigen Altholzregalen platziert sind. Ob sich die Hausherrin oder der Hausherr in den einen oder anderen dieser Schinken mal vertieft hat, ist dann eine andere Frage …
Peter Möllendorff erläuterte, wie und warum Lukian in seinen fast 80 überlieferten Werken Mythen von Göttern und Helden in neuer, verfremdeter Gestalt präsentiert hatte. Dazu gehören auch die „Totengespräche“, die die Botschaft enthalten, dass nach dem Ableben die Seelen der Reichen und Berühmten denen der Armen oder Ausgestoßenen keineswegs bevorzugt werden. Die „Totengespräche“, die philosophische Dialoge in der Unterwelt beschreiben, animierten in späteren Jahrhunderten beispielsweise Erasmus von Rotterdam, Johann Wolfgang von Goethe, Franz Grillparzer und Bertold Brecht zu Streitschriften, Dokumentationen, Erzählungen, Romanen und Theaterspielen. So findet man die Lehre des Lukian, wonach Reichtum und Bekanntheit nach dem Tod keine Garantie auf den Zutritt in paradiesische Spähren mit sich bringt, in Brechts Hörspiel „Die Verurteilung des Lukullus“ wieder: Der Feldherr Lucius Licinius Lucullus, den es tatsächlich gab und der etwa 120 v. Chr. geboren wurde, landet im Brecht’schen Hörspiel nach seinem Ableben im Totenreich, wo er zu seinem Erstaunen feststellen muss, dass es für das zuständige Gericht keine Rolle spielt, wie viele Regionen der Römer zusammen mit seinen Soldaten erobert hat. Vielmehr wird Lukullus (der von Brecht mit k statt einem c geschrieben wird) aufgrund von Zeugenaussagen vom Gericht klar gemacht, dass durch sein oft ungerechtes Handeln unzählige Menschen ihr Leben verloren haben. Laut Gerichtsurteil des hohen Rates wird dem entsetzten Militärstrategen der Zugang in die Gefilde der Seligen verwehrt.
Am Ende der Lesung in der Phantastischen Bibliothek gab es für Rudolf Guckelsberger, der dank der literarischen Steilvorlagen der Texte des Lukian als Sprecher bzw. Rezitator auch sein schauspielerisches Talent unter Beweis stellen konnte, und Peter von Möllendorff, der die historischen Schriften spannend zu entschlüsseln wusste, langen Schlussbeifall. Maren Bonacker dankte ihnen im Namen des Teams der Phantastischen Bibliothek für ihren Vortrag, bei dem ein Erzähler und Essayist vorgestellt worden war, der offensichtlich seiner Zeit voraus gewesen ist.