Joe Biden

Altersstarrsinn im Weißen Haus

Von Michael Schlag

„Schon was die Öffentlichkeit von seiner Fähigkeit, das Amt auszuüben, zu sehen bekam, gab Anlass zur Sorge. Aber was sich hinter den Kulissen abspielte, war noch viel schlimmer.“ Die Rede ist von Joe Biden und seiner Kandidatur für eine zweite Amtszeit als Präsident der USA. Alle, die ihm nahe waren, konnten wissen, dass er dazu überhaupt nicht mehr in der Lage war, weder körperlich noch mental. Wie konnte es trotzdem dazu kommen? Das beschreiben Jake Tapper und Alex Thompson in dem Buch „Hybris – Verfall, Vertuschung, und Joe Bidens verhängnisvolle Entscheidung.“ Ein 400 Seiten starker Politthriller erster Güte.

Viele bessere Kandidaten

Hätten die Demokraten mit einem besseren Kandidaten die Wahl 2024 gewinnen können? Hätte er oder sie 1,5 % in Michigan, 1,8 % in Pennsylvania und 0,9 % in Wisconsin aufgeholt, dann wäre Donald Trump heute nicht Präsident. Es gab genug aussichtsreiche Politiker: Transportminister Pete Buttigieg, Senatorin Amy Klobuchar, oder die Gouverneure Gavin Newsom, Gretchen Whitmer, JB Pritzker. Einer von ihnen wäre aus einem offenen und umkämpften Vorwahlprozess als stärkerer Kandidat hervorgegangen. Aber tritt schon gegen den Präsidenten aus der eigenen Partei an, wenn dieser selbst eine weitere Kandidatur ankündigt?

Abgeschirmt vom „Politbüro“

Es gab schon während seiner Amtszeit „Momente, in denen er augenscheinlich erstarrt war, den Faden verlor, die Namen wichtiger Mitarbeiter vergaß.“ Doch Biden wurde geschützt und abgeschirmt vom engsten Kreis seiner Mitarbeiter, dem „Politbüro“, wie es die beiden Washingtoner Journalisten nennen. Biden habe zunehmend gewirkt „wie der Großvater, den man eigentlich nicht mehr ans Steuer lassen darf.“ Teilweise ist das quälend zu lesen, abschweifende Reden ohne roten Faden, unzusammenhängende Anekdoten, die eigenen Leute peinlich berührt. Vieles klingt normal für einen alten Mann, aber warum will jemand dann noch einmal Präsident werden, und zwar bis zum Alter von 86 Jahren?

Privilegiertes Seniorenheim

Aber so etwas Neues war das gar nicht: „Stillschweigen zu bewahren über einen alt werdenden Politiker oder Politikerin, ist weit verbreitet im modernen Washington,“ schreiben Tapper und Thompson. Die Stadt habe eine lange Tradition von mächtigen Alten, die ihre unübersehbare Gebrechlichkeit vertuschen, unterstützt von Familie und Mitarbeitern, „die die Augen vor diesen Katastrophen verschließen“. Im Juli 2024 gab die Kongressabgeordnete Kay Granger im Alter von 81 Jahren zum letzten Mal ihre Stimme ab „und wurde dann still und heimlich in eine betreute Wohneinrichtung für Demenzpatienten gebracht“. Ihre Wähler habe man darüber nicht offiziell informiert, sie trat auch nicht zurück und bekam weiterhin ihr Gehalt. Als Mitch McConnell im August 2023 bei einer öffentlichen Rede seltsam erstarrte, sagte die frühere Republikanische Gouverneurin Nikki Haley: „Der Senat ist das privilegierteste Seniorenheim im ganzen Land. Man muss wissen, wenn man gehen sollte.“

Geistig verwirrte Gesetzesmacher

Aber warum wissen es viele nicht? Jerry Brown, ehemaliger Gouverneur von Kalifornien wird dazu zitiert: „Politik macht süchtig. Es ist aufregend, es ist eine Art Kokain für die Psyche. Die Leute wollen einfach nicht wieder in ihr vorheriges langweiliges Leben zurückkehren.“ Es gebe wohl keine andere Welt „in der eine derartige toxische Dysfunktion in solchem Umfang toleriert wird – und mit so weitreichenden Konsequenzen“. Strom Thurmond hatte bis wenige Monate vor seinem Tod einen Sitz im Senat, er starb hundertjährig. Zuvor hatte er schonmal die Mexikaner mit den Russen verwechselt und „die Liste der geistig verwirrten Gesetzesmacher lässt sich endlos fortsetzen.“

Alex Thompson (links) und Jake Tapper. Foto: Elliot ODonovan
Alle halten den Mund

Für Joe Biden gilt, auch nachdem er seine Kandidatur für die zweite Präsidentschaft bekannt gegeben hat: Öffentliche Termine nur zwischen 10 und 16 Uhr, keine Termine spät am Abend, viele Wochenenden ganz ohne öffentliche Veranstaltungen, das Weiße Haus schirmt ihn ab, während er sich um eine zweite Amtszeit bewirbt. Das Buch ist erst nach der für die Demokraten verlorenen Wahl entstanden, mit 200 Leuten hätten sie gesprochen und einer sagte über diese Zeit: „Wir konnten nichts daran ändern, dass er kandidierte, und keiner wollte außen vor sein, falls er gewinnen sollte. Also hielten alle den Mund.“

Briefings mit Videos

Im Juni 2023 stolperte Biden auf der Bühne der US Air Force Academy über einen Sandsack. Mitarbeiter planten in der Folge bei Auftritten immer den kürzesten Weg zur Bühne und zum Mikrofon. Alle Stufen zur Bühne mussten mit Handläufen versehen sein. Briefings mit Videos von Örtlichkeiten, die besucht wurden, wurden immer detaillierter. Und die Redenschreiber mussten sich immer kürzer fassen, damit die Zeit auf dem Podium nicht zu lang wurde.

Monologe ohne Zusammenhang

Manchmal ist es quälend über zwei, drei Seiten zu lesen, wie der mentale Zustand von Joe Biden als Präsident wirklich war. 20. September 2023 kurz nach 16 Uhr, bei einer Spendenveranstaltung in Mannhatten. Biden erzählt, wie es zu der erneuten Kandidatur kam. Beginnt mit Charlottesville 2017, kommt auf Deutschland in den 1930ern, erzählt von Familientreffen, ein Monolog ohne Zusammenhang – und erzählt dann dieselben Geschichten gleich nochmal. Bei der Befragung des Sonderermittlers Hur zu den Aktenfunden in seinem Haus plaudert Biden, schweift ab zu Themen, die nichts mit der Sache zu tun haben, verliert den Faden, findet nicht das richtige Wort, macht Witze, erzählt Anekdoten, Reisegeschichten aus der Mongolei, der tragische Tod von seinem Sohn. „Biden war knapp 81 Jahre alt und wirkte keinen Tag jünger“.

Angst um die eigene Karriere

Ganz wenige wagten es, öffentlich die Wahrheit zu sagen. Einer war Ari Emanuel, CEO der Künstler- und Unterhaltungsagentur Endeavor und Unterstützer der Demokraten. Auf einer Klausurtagung legt er sich mit demokratischen Führungskräften an, fordert unumwunden einen jüngeren Kandidaten. Der andere ist Dean Phillips, demokratischer Abgeordneter im Repräsentantenhaus. Phillips will Parteikollegen mobilisieren zur Kandidatur. Im August 2023 spricht er sich im TV-Interview bei CBS für demokratische Gouverneure wie Pritzker und Whitmer aus, und wenn sich niemand findet, bringt er sich auch selbst ins Spiel. Alle Angesprochenen jedoch lehnen ab und „manche unserer Leute haben mich gebeten, ihre Namen nicht zu nennen, da sie befürchten, dies könne Auswirkungen auf ihre Karriere haben.“ Am 27. Oktober 2023 dann verkündet Phillips seine Kandidatur, will ein Debatte erzwingen, bekommt sie aber nicht. Er lernte nun das demokratische Establishment kennen, wie es in dem Buch heißt, beendete seine Kampagne, unterstützte in der Folge Joe Biden „und sah zu, wie seine Partei in die Katastrophe schlafwandelte.“ Diese politische Katastrophe dauert bis heute an.

Jake Tapper, Alex Thompson: Hybris – Verfall, Vertuschung und Joe Bidens verhängnisvolle Entscheidung, Verlag dtv ISBN: 978-3-423-26443-3, 400 Seiten Taschenbuch 20 Euro, E-Book 17,99 Euro

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