Yourplace Wetterau webt inklusives Netz
Von Elfriede Maresch
Als im April 2011 der Verein yourplace Wetterau gegründet wurde, war das Motto schnell gefunden: „Gemeinsam handeln, Inklusion ermöglichen“. Menschen mit Handicaps und ihre Angehörigen sowie Fachkräfte der Sozialarbeit suchten eine Plattform, um die Ziele der UN-Behindertenrechtskonvention lebenspraktisch im Sozialraum Wetterau voranzutreiben. Menschen mit Behinderungen sollten bei ihren individuellen Plänen für Bildung, Arbeit, Wohnen und Freizeit begleitet werden. In zehn Jahren vielseitiger Vereinsarbeit hat yourplace am „inklusiven Netz“ in der Wetterau mitgewirkt.Dank Fördermitteln von „Aktion Mensch“ konnte mit der Geschäfts- und Beratungsstelle in Ortenbergs Philipp Glenz-Straße ein guter Rahmen für Beratung, Arbeitsgruppen und Vereinsaktivitäten entwickelt werden. Zugleich ist dort eine Bibliothek mit Fachzeitschriften und -literatur, mit CDs und DVDs, aber auch eine „flexible Galerie“ für Künstler der Region, ein Raum für sonntägliche Matineen mit Live-Musik.
Konsequent vernetzt gerade in Corona-Zeiten
Lockdown und Abstandsregelungen verzögern manche Projekte. „Uns geht es nicht anders als anderen Vereinen zu Corona-Zeiten!“ sagt Rainer Gimbel, Diplom-Sozialarbeiter und yourplace-Vorsitzender. „Umso mehr vernetzen wir uns konsequent: als Mitglied im Inklusionsbeirat Wetterau, im Paritätischen Wohlfahrtsverband Hessen, in der Lebenshilfe Wetterau, im Kontakt mit Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen, Förderschulen, Kommunen, Kirchengemeinden, Sportvereinen. Im Hessischen Ministerium für Soziales und Integration haben wir Ansprechpartner“.
Eine yourplace-Idee gab den Zündfunken zur „Inklusiven Arbeit Wetterau“ (InkA gGmbH.), die dann mit den Gesellschaftern Lebenshilfe Wetterau e.V. und Behindertenhilfe Wetterau gGmbH. und mit Förderung durch die „Aktion Mensch“ aufgebaut wurde. Die InkA gGmbh mit yourplace-Vorstand Jochen Rolle als Geschäftsführer ist ein unabhängiger Beratungsdienst rund um inklusive Arbeitsmöglichkeiten für Menschen mit Behinderungen, aber auch für Unternehmen, die solche Beschäftigungen anbieten. Für Jugendliche ist damit nach der Schule die Werkstatt für Menschen mit Behinderung nicht mehr die einzige Alternative. InkA unterstützt sie bei Praktika, Ausbildungs- und Arbeitsformen auf dem ersten Arbeitsmarkt.
Nicht isoliert und ausgegrenzt
Freizeit nach individuellen Neigungen, aber nicht isoliert und ausgegrenzt, verbringen – da sieht yourplace noch viele Aufgaben. Aber: „Wir konnten 2014 in Kooperation mit den Wohn- und Arbeitsstätten Rauer Berg (Gelnhaar) und mit der Büdinger Turnerschaft 1869 – 1904 ein inklusives Judoprojekt starten, den ‚Großen Wurf‘“ berichtet Rainer Gimbel. Seither trainieren hier sechs Menschen mit Behinderung in einer größeren Judogruppe. Das Konzept mit gemeinsamen Übungen und differenzierten Angeboten für Fortgeschrittene einerseits, für Neueinsteiger und weniger Leistungsstarke andererseits bewährt sich. 2016 wurde der „Große Wurf“ mit dem IFB-Inklusionspreis der „Stiftung Inklusion durch Förderung und Betreuung e.V.“ ausgezeichnet. 2019 organisierten yourplace-Vorstand Erich Scheurmann und Mitglied Sandra Lüttecke einen Selbstverteidigungskurs für Frauen mit und ohne Behinderung.
Mehrere Jahre hintereinander bot yourplace im Rahmen der Ferienspiele der Stadt Ortenberg einwöchige Angebote für Kinder mit und ohne Behinderung an, etwa einen Tanzworkshop, einen Graffiti-Workshop oder Aktionen mit der Künstlerin Goshia Stephan. Spaß an gemeinsamer Aktivität, Anregung von Fantasie und Selbstbewusstsein waren die Ziele. Auch diese Sommerprojekte wurden durch „Aktion Mensch“ gefördert. Erste Schritte zur Vorbereitung von Langzeitprojekten gab es schon: die Weiterbildung von Übungsleitern zu Wetterauer Experten für inklusiven Sport (WEfiS) und die „Clowns in Kontakt“ als inklusives Kinder- und Jugendangebot. Die Corona-Einschränkungen behindern derzeit die praktische Umsetzung.
Heim oder daheim?
Als wichtige Aufgabe sehen die yourplace-Aktiven die Öffentlichkeitsarbeit, wenn auch derzeit durch die Pandemien eingeschränkt. 2012 organisierte der Verein eine Fachtagung zu den vier Themenfeldern von Teilhabe: „Werkstatt versus Erster Arbeitsmarkt“, „Bestehende Bildungsangebote öffnen – aber wie?“ „Heim oder daheim – Neue Modelle des Zusammenlebens“ und „Offene Freizeitangebote – warum findet keine Inklusion statt?“ 102 Teilnehmende tauschten sich in den Arbeitsgruppen über Bedürfnisse und Möglichkeiten wie auch über Schwierigkeiten der Umsetzung aus.
Überwältigendes Publikumsinteresse fand ein Film, zu dem yourplace 2016 ins Fantasia-Kino Bad Nauheim einlud. Im darstellerisch sehr überzeugenden Werk „24 Wochen“ ging es am konkreten Fall eines jungen Paares um vorgeburtliche Diagnostik und den Schwangerschaftsabbruch bei einem Kind mit Down-Syndrom und schwerem Herzfehler. Eine Diskussion auf dem interdisziplinär besetzten Podium folgte. Der Frage „Sind nur `mängelfreie Kinder´ gesellschaftlich akzeptabel?“ stand die von yourplace eingenommene Position entgegen „Eltern in dieser Situation müssen frei entscheiden können. Betroffene Kinder und ihre Familien brauchen solidarische Unterstützung“.
Welches Fazit können die yourplace-Vorstände nach zehnjähriger Vereinsarbeit ziehen? „Barrieren sind noch in vielen Köpfen“ meint Gimbel. „Inklusion gilt als `teuer´ oder `zu schwierig´. Dabei ist gelungene Inklusion eine win-win-Situation. Nichtbehinderte werden einfühlsamer und sicherer in Kontakt mit behinderten Menschen, entdecken auch deren Stärken. Diese wiederum gewinnen an sozialer Kompetenz, je mehr sie am alltäglichen Leben teilnehmen können – mit so viel Selbstständigkeit wie möglich und so viel Unterstützung wie nötig.“
Titelbild: Noch vor der Pandemie: Übungsleitende aus Wetterauer Sportvereinen trafen sich zur Weiterbildung für inklusive Sportangebote