Der Dreiklang des Bienenjahres
Seit 70 Jahren hütet Robert Velte aus Wehrheim seine Bienenvölker. Der Umgang mit den nützlichen Insekten hat sich in dieser Zeit mehrfach verändert. Nun hat Velte ein seltenes Jubiläum gefeiert.Der älteste Imker von Wehrheim
Wer die alte Schulungsmappe des Deutschen Imkerbundes aufschlägt, wird umgehend mit den „Voraussetzungen für einen Imker“ vertraut gemacht. „Interesse an den Vorgängen in der Natur, an Tier- und Pflanzenwelt sowie an allen Witterungseinflüssen“ sind ebenso grundlegend wie „gute Beobachtungsgabe“ und „Handfertigkeit“.

Als Robert Velte im März 1954 beim Fachverband der Bienenzüchter in Hessen-Nassau als neues Mitglied angemeldet wird, vereinen sich all diese Voraussetzungen bereits in der Person des Wehrheimer Jungimkers. Nun wurde der mittlerweile 93-Jährige zum – höchst seltenen – 70-jährigen Imkerjubiläum vom Deutschen Imkerbund für „hervorragende Verdienste um die Bienenzucht“ geehrt – und vom Landesverband der Hessischen Imker aufgrund „vorbildlichen Wirkens“ zum Ehrenmitglied ernannt.
Überbringer der frohen Botschaft waren Reiner Ettling, Vorsitzender des Heimatvereins, und Birgitt Madlung, beide dem Imkerverein Usingen & Umgebung angehörend. Dass sich während der kleinen Feierstunde zum Gestern und Heute imkerlicher Praxis lebhaft ausgetauscht wurde, liegt in der Natur der Sache.
Einst lebten 1,9 Millionen Völker in Deutschland
Mit zwei Völkern der Westlichen Honigbiene fängt es in der Hauptstraße 39 von Wehrheim an. Es ist Lehrer a.D. Wolfgang Fährer, der Robert Velte im Nachsommer 1954 einen Ableger überlässt. Ein weiterer Staat des wichtigen Nutzinsekts stammt von Nachbar Curt Jäger. Aus Tuffsteinen baut der junge Maurermeister Robert Velte im Garten das eigene Bienenhaus mit Raum für ein Dutzend Völker auf. Ein Standort, der jedoch wegen der gegenüber befindlichen Gärtnerei-Treibhäuser immer schwieriger zu bewirtschaften ist und schließlich aufgegeben werden muss. Deutschlandweit sind in jener Zeit rund 200 000 Imkerinnen und Imker für 1,9 Millionen Bienenvölker zuständig.
In Wehrheim – mit Usingen, Wernborn, Eschbach, Pfaffenwiesbach, Ziegenberg und Langenhain die Imkervereinigung Usingen bildend – sind Mitte der 50er Jahre immerhin 19 Mitglieder an 200 Bienenvölkern zugange. Von Dr. Helmut Löw mit zwei Einheiten bis zu Josef und Horst Stracke mit 50 reicht der Reigen. Weitere bekannte Namen sind Helmut Schollenberger, Richard Eckhardt oder August Wolf.
Schädlinge gab es schon immer
Gearbeitet wird damals an den so genannten Hinterbehandlungsbeuten, die 10 Waben im Brutraum und 14 Waben im Honigraum fassen. Sorgfalt ist jederzeit angebracht: Nosema, Amöben und Faulbrut bedrohen die Existenz. 1958 befinden sich bereits zehn Völker in der Velte‘schen Obhut. Die Freundschaften zu dem Ziegenberger Kollegen Erwin Müller und Wehrheims Berufsimker Horst Stracke sind dauerhaft und leiten schließlich in andere Bienen-Dimensionen.
„Anfang der 1960er sind wir dann ins Neue Feld, auf die Waldweide umgezogen“, erzählt Robert Velte. Ein im Bremthaler Quarzitwerk stillgelegtes Behelfsheim wird zum neuen Domizil, zu dem grünen Bienenhaus unter Buchen und Eichen. Die bis heute anhaltende Ära der Magazin-Imkerei beginnt. „Die ersten Magazin-Beuten haben wir selbst zusammengezimmert.“ Unaufhaltsam wird der Velte-Bestand auf rund 70 Völker aufgestockt – untergebracht auf vier verschiedenen Standplätzen. Eine Leidenschaft, die eine weitere Arbeitsfreudigkeit neben dem Leben als Landwirt und Maurer verlangt.
Längst haben die Imker ihre Bienenrasse von den „stechfreudigen Italienern“ auf die sanftere Carnica umgestellt, längst dürfen höhere Honigerträge dokumentiert werden. Die Gemeinschaft Stracke/Velte ist während der Trachtwochen auf Wanderschaft, zieht mitsamt summender Gefolgschaft bis nach Gau-Algesheim in die Obstblüte, ins Siegerland zum Gamander, zur Soester Börde in den Raps. Mit dem Aufkommen der Varroa-Milbe zum Ende der 70er Jahre ändert sich das Imkerwesen dann umfassend.
Imkerei kam erst nach 1930 im großen Stil
Robert Velte hat die großen Entwicklungsschritte und tiefgreifenden Veränderungen in sieben Jahrzehnten als Bienenvater erlebt. Bis zur Stunde lässt ihn die Begeisterung am Dasein von Apis mellifera nicht los. Um drei Völker kümmert er sich weiterhin, dabei von einer lebenslangen Erfahrung profitierend. Selbstverständlich auch von dem Wissen als Archivar des örtlichen Geschichtsvereins: „Bis zum Anfang der 1930er hat die Imkerei in den hiesigen Dörfern kaum eine Rolle gespielt.“ In den Stockbüchern seien nur wenige Bienenhäuser verzeichnet. „Wenn Honigernte, dann nur für den Hausgebrauch.“
Über die „faszinierende Biologie“ der Honigbiene sind sich Birgitt Madlung, Reiner Ettling und Robert Velte einig. Vielfalt ist das Zauberwort – auch für die 35 Mitglieder des heutigen Usinger Vereins. Ein 170 Völker starker Zusammenschluss, dem Bienen-Verantwortung genauso wichtig ist wie Honigertrag und geistvolles Handwerk. Und, natürlich: „Jedes Bienenjahr ist anders.“ Ein Dreiklang aus „Volksstärke, Blütenangebot und Wetterverhältnissen“.