Goethe

Der Märchenerzähler

Von Jörg-Peter Schmidt

Der Verfasser des „Faust“, des „Werther“ und der „Wahlverwandtschaften“ ist „in“, seine Persönlichkeit und seine Literatur haben offensichtlich an Popularität nichts eingebüßt. Dies wurde kürzlich wieder einmal deutlich, als es bei einem Vortrag um die schriftstellerische Tätigkeit des ehemaligen Juristen am Wetzlarer Reichskammergericht ging. Die Goethe-Gesellschaft Wetzlar hatte zu einem Wiedersehen mit dem in Neuss lebenden Goethe-Kenner Hartmut Schmidt eingeladen – und die Resonanz war überwältigend: Über 100 Gäste strömten in die bis auf den letzten Platz besetzte Phantastische Bibliothek Wetzlar. Sie wurden erwartungsgemäß nicht enttäuscht: Der Museumsdirektor i. R. (ehemaliger Leiter der Städtischen Sammlungen Wetzlar) hatte zum Thema „Goethe als Märchenerzähler“ interessante Fakten und Details zusammengetragen.

Märchen – eher nicht für Kinder

Hartmut Schmidt, früher lange in Wetzlar kulturell engagiert, untermauerte seinen Vortrag mit interessanten Daten und Fakten. (Fotos: Jörg-Peter Schmidt)

Er kam in der Veranstaltung  der Kunst- und Kulturtage Wetzlar gleich auf „die von viele Experten völlig unterschätzte“ Märchen- und Novellensammlung mit dem Titel „Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten“ zu sprechen, die der Schriftsteller 1795 abgeschlossen hat: Geflüchtete erzählen sich Geschichten, um sich über ihr Schicksal (die Auswirkungen der Französischen Revolution) hinwegzutrösten. Die Texte, eher nicht für Kinder gedacht, sind spannend, bisweilen regelrechte Thriller und auch durchaus erotisch: Geisterstimmen ertönen; ein rätselhaftes Klopfen erschrickt eine junge Frau; eine reizende Ladenbesitzerin teilt dem Marschall v. Bassompierre mit, dass sie eine Nacht mit ihm zu schlafen wünscht. Anderseits animiert die Lehre aus manchen der Geschichten die Menschen zu einer Umkehr in ihrem Lebensstil, beispielsweise zu strengerer Sparsamkeit.

Wie Hartmut Schmidt weiter berichtete, hat der Verfasser des „Faust“ noch zwei weitere Märchen geschrieben: „Der neue Paris“ (1811), das den Übergang vom Jüngling zum Mann behandelt, und „Die neue Melusine“ (1812). Die Erzählung geht auf eine alte französische Sage zurück und handelt in der Fassung Goethes von der Liebe eines „Taugenichts“ zu einer geheimnisvollen Frau.
„Der Dichter hat sich sein ganzes Leben lang für Märchen und Sagen interessiert“, unterstrich der Referent, der aufzählte, was der Autor, Wissenschaftler und Staatsmann im Laufe der Jahre der unter anderem gelesen hat: „Märchen aus 1001 Nacht“, die „Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm“, die Stoffe der antiken Mythologie, die französischen Feenmärchen und die „deutschen Volksmärchen“ sowie weitere Geschichten, die man günstig auf dem Jahrmarkt oder beim Krämer kaufen konnte (beispielsweise „Eulenspiegel“, „Dr. Faust“ und „Kaiser Octavian“). Hartmut Schmidt vergass nicht zu erwähnen, dass es Goethes Mutter „Aja“ war, die „dem Sohn die Lust zu fabulieren als genetischen Erbteil mitgegeben hat.“

In der Phantastischen Bibliothek waren beim Wiedersehen mit dem Museumsdirektor i. R. alle Stühle besetzt und es gab langen Applaus für den Referenten.

Der Referent erhielt langen Applaus und ein Geschenk von Angelika Kunkel, der Vorsitzenden der Wetzlarer Goethe-Gesellschaft, die im übrigen die am weitesten angereiste Zuhörerin vorstellte: Dr. Irina Bezukladova, Vorsitzende der Goethe-Gesellschaft Tambow aus Russland, die Partner-Gesellschaft der Goethe-Gesellschaft Wetzlar.

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