Dichterfürst zerstört junges Glück
Hat Johann Wolfgang von Goethe das Glück zweier junger verliebter Menschen verhindert? Oder hat der Dichter, Wissenschaftler und Staatsmann einer Ehekatastrophe vorgebeugt? Dieser Frage ging in der Phantastischen Bibliothek in Wetzlar der Wissenschaftshistoriker Dr. Manfred Wenzel nach, der in Archiven die entsprechenden Original-Dokumente einsehen konnte und auch andere Quellen seinen interessanten Recherchen zugrunde legen konnte.
Ein folgenschwerer Brief
Der Referent berichtete in der Veranstaltung der Goethe-Gesellschaft über diese Recherchen zu einem Brief, den der Verfasser des „Faust“ 1799 von Pfarrer Heinrich Toel aus dem Dorf Pakens in Friesland, einem Landstrich zwischen Nordsee und Jadebusen, erhielt: Der Seelsorger flehte in dem Schreiben den Schriftsteller an, dafür zu sorgen, dass die Heirat zwischen dem Jura-Studenten Friedrich Christoph Gotthard Heinrich von Lützow und Ernestine Vulpius nicht zustande kommt. Ernestine war die in Goethes Haushalt in Weimar lebende Stiefschwester von Christiane Vulpius, der Lebensgefährtin Goethes, der als Haushaltsvorstand jetzt die Bitte aus dem Norden zu bewerten hatte. Pfarrer Toel wies in seinem Brief auf die Bedenken der Mutter und der Schwester Lützows gegen eine Heirat des Sohnes bzw. Bruders mit der Demoiselle Vulpius hin, da der Studiosus leichtsinnig mit Geld umgehe. Dazu scheint ins Bild zu passen, dass – so ist belegt – Lützow gern prahlte und dem Herrn Goethe schon mal teuren spanischen Wein geschenkt hat.
Wie Manfred Wenzel berichtete, entschied sich Goethe, der Bitte des Pfarrers zu entsprechen. Er antwortete Toel, „daß man den jungen Herrn von Lützow bald möglichst nach Hause berufen möge … Befindet er sich einmal wieder in der Mitte seiner Familie; so wird man ihn, durch dienliche Vorstellungen, schon von dem Wege überzeugen können der zu seinem wahren Glücke führt.“
Heirat verhindert
Die Heirat der jungen Leute kam also nicht zustande. Lützow wurde Vernehmungsrichter in Jever und war zweimal verheiratet. Ernestine Vulpius starb 1806 im Alter von nur 31 Jahren an Typhus. Ins Grab nahm sie möglicherweise das Geheimnis, ihren Verehrer aus Norddeutschland doch noch einmal getroffen zu haben. Denn Manfred Wenzel, der für die Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz im Frankfurter Goethe-Haus arbeitet, berichtete folgendes: In einem Brief von 1806 äußerte Christian August Vulpius, der Bruder von Christiane Vulpius, dass Ernestine wegen der „letzten Affaire mit Lützow … schrecklich gelitten“ habe.
Für den Vortrag des Wissenschaftshistorikers, der 1996 bis 2012 Vorsitzender der Goethe-Gesellschaft war, gab es langen Applaus der Zuhörer und von Angelika Kunkel (der Vorsitzenden des Veranstalters) Blumen und den Dank für die gründlichen Recherchen, die neben den Recherchen in Archiven auch bei einem Besuch bei dem für Pakens zuständigen Pastor Brahms zustande kamen. Der Briefwechsel mit Toel wird von der Akademie der Wissenschaften und Literatur Mainz im Rahmen der historisch-kritischen Ausgabe der Briefe Goethes ediert und auch in digitaler Form erscheinen.