Arbeits- und Sozialagenda gefordert
Angesichts der Verhandlungen über eine Neuauflage der Großen Koalition in Berlin fordert die Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) eine „Arbeits- und Sozialagenda“. „Für die rund 95.000 Beschäftigten im Landkreis Gießen hängt viel davon ab, wie die politischen Weichen in Berlin gestellt werden: Wie viel ist künftig in der Lohntüte? Wird Arbeiten in der Nacht oder am Wochenende zur Normalität? Was passiert mit der Rente?“, erklärt die NGG Nord-Mittelhessen in einer Pressemitteilung.
Gegen Aufweichung des Arbeitszeitgesetzes
Die Arbeitszeit ist der NGG besonders wichtig. 31.000 Menschen im Kreis Gießen haben nach aktuellen Angaben der Arbeitsagentur eine Teilzeit-Stelle – trotz Hochkonjunktur, beklagt die Gewerkschaft. Das seien 16 Prozent mehr als noch vor fünf Jahren. Dabei würden 78 Prozent aller Teilzeit-Jobs von Frauen erledigt. Nötig sei ein verbrieftes Rückkehrrecht auf Vollzeit, meint Andreas Kampmann, Geschäftsführer der NGG-Region Nord-Mittelhessen. „Wer seine Arbeitszeit für die Erziehung der Kinder oder die Pflege der Angehörigen runterfährt, der muss danach auch wieder voll in den Job zurückkehren können.“ Genau dafür habe bereits ein Gesetz auf dem Tisch gelegen, das jedoch am Widerstand der Union gescheitert sei. Sollte es wieder zur Koalition von CDU/CSU und SPD kommen, dürfe diese „Von-Teilzeit-zu-Vollzeit-Garantie“ nicht noch einmal verschleppt werden.
Auch die Aufweichung des Arbeitszeitgesetzes, wie sie Arbeitgeberverbände fordern, lehnt die NGG ab. „13-Stunden-Tage und Dauer-Verfügbarkeit per Smartphone können nicht die Arbeitswelt von morgen sein. Wer flexible Arbeitszeiten braucht, kann sie per Tarifvertrag regeln“, sagt Kampmann. Genauso wenig dürfe an den Aufzeichnungspflichten beim Mindestlohn gerüttelt werden: „Nur wenn die Arbeitgeber die Arbeitszeiten ihrer Beschäftigten aufschreiben, können sie die Stunden auch korrekt bezahlen. Darauf ist jeder ehrliche Unternehmer angewiesen. Wer an die Dokumentationspflicht will, der öffnet dem Lohnbetrug Tür und Tor“, betont der Gewerkschafter.
Kräftiger Nachschlag beim Mindestlohn
Nötig sei zudem ein kräftiger Nachschlag beim Mindestlohn. „Wir brauchen einen zweistelligen Euro-Betrag als unterste Lohngrenze. Das geht nur, wenn dahinter auch ein deutlicher politischer Wille steht. Genau das erwarten Mindestlohn-Empfänger von der neuen Bundesregierung“, sagt Kampmann. Ganz oben auf die Agenda gehöre auch ein Plan, um die Krankenversicherung auf neue Füße zu stellen. In einem Land, dem es wirtschaftlich so gut gehe, müsse die „Zwei-Klassen-Medizin“ ein Ende haben. Es könne nicht sein, dass der mit dem dickeren Geldbeutel schneller und besser behandelt werde. Nötig sei eine solidarische Bürgerversicherung, in die alle – auch Beamte und Selbstständige – einzahlten. Dafür habe sich zuletzt die SPD starkgemacht.
Kampmann: „Die nächste Bundesregierung hat die Chance zum Umsteuern. Gut gefüllte Haushaltskassen bieten den Spielraum für Reformen, von denen die Beschäftigten heute, aber auch die der nächsten Generation etwas haben.“