DOCMA Award 2017

Skurrile Kurzgeschichten in Fotos

Von Detlef Sundermann

Sie wollte nur ein bisschen Auszeit. Ein paar Tage in die Sonne, die Wärme genießen, dem Alltag entfliehen. Jetzt stand er vor ihr und doch würde sie nie mehr zurückkommen, seine verflossene Liebe. (Kategorie Lehrlinge Platz 1: Florian Janßen / Verschwunden)

Skurrile Kurzgeschichten in Fotografien und mit höchsten 300 Buchstaben Text erzählt, sind ab Donnerstag, 28. September 2017, im Frankfurter Museum für Kommunikation zu sehen. Es sind die preisgekrönten Arbeiten des insgesamt mit 30 000 Euro dotierten DOCMA Award 2017. Seit 2003 schreibt die Bildbearbeitungszeitschrift DOCMA den Preis aus, der zu den renommiertesten im deutsch-sprachen Raum zählen soll. Das Thema lautete diesmal: „SSST – Super Short Story Telling“. Eine Jury aus Redakteuren, Sponsoren und freien Künstlern bewertete die anonymisierten Einsendungen. Betrachtet wurde, wie treffend der Text mit der Fotografie umgesetzt wurde. Unterteilt wurde je nach Bildbearbeitungsgrad in die Kategorien Lehrling, Geselle und Meister.

Mittelstreifen zu Klopapier

Die Dorfbewohner leiden allesamt an Magendarm-Grippe, Klo-Papier-Notstand herrscht. Die clevere Tochter des Krämers hat die Idee: Sie rollt den Mittelstreifen auf der Landstraße zu Toilettenpapier auf. Die WC-Sitzungen können weitergehen. Der Schweizer John Wilhelm erzählt diese schräge SSST und legt zum Beweis eine Fotografie vor.

Der Berliner Ch. Baridpourreza titelte seine SSST mit „Ich vermisse ihn…“. Er lässt die Zigarette des verstorbenen Alt-Kanzler Helmut Schmidt sprechen: „…wie er mich zwischen seinen zarten Lippen hielt und meine Seele in seine warme Lunge zog, wo ich aus den Teichen schwarzen Sirups wieder empor stieg…“. Diese verqualmte Poesie wird mit einer glimmenden Mentholzigarette verbildlich, deren aufsteigender Rauch Schmidts Portrait zeigt. Für diese Hommage erhielt der bekennende Nichtraucher Baridpourreza den 1. Preis in der Kategorie Meister.

Diese wie auch die meisten anderen Arbeiten verkörpern sie in Bestleistung die Besonderheit des DOCMA Awards. Die Fotografien sind nicht nur gestalterisch von vorn bis hinten konstruiert, sind auch mehr oder weniger mit einer Bildbearbeitungs-Software wie Photoshop kunstvoll zusammengebaut worden. Dass hierbei die Realität bis ins Surreale verborgen wird, ist gewünscht. Die Faszination dieser Bilder besteht nicht allein in ihrer Merkwürdigkeit. In den montierten Welten stimmen alle Details, von Licht- und Schattenfall bis hin zu den Perspektiven, was den Eindruck einer realen Aufnahme verstärkt.

»I’m slowing down the tune/I’ve never liked it fast/You wanna get there soon I wanna get there last/It’s not because I’m old/It’s not the life I led/I always liked it slow/That’s what my mamma said« (Leonard Cohen) Kategorie Meister Platz 3: John Wilhelm / Just a rail snail

Composings sind längst eine Kunstform

Hans D. Baumann (Foto: Sundermann)

Composings haben sich längst zu einer Kunstgattung entwickelt, die mit der Digitalisierung der Aufnahmetechnik nicht ohne Folgen für die Fotografie sind. „Auf der Rezipientenseite hat es eine starke Veränderung gegeben. Die Leute sagen heute zu Recht, man darf keiner Fotografie mehr trauen“, sagt Doc Baummann, der mit bürgerlichen Namen Hans D. Baumann heißt und Mitgründer sowie Herausgeber des Magazins DOCMA ist, im Gespräch mit dem Landboten. Fotografien seien von je her bearbeitet worden, sei es in der Belichtung oder beim Schnitt. Dies schade in der Regel nicht der Authentizität etwa einer Fotoreportage. „Eine übersteigerte Bildbearbeitung wie sie in der Werbe- oder Modefotografie betrieben wird, muss bei Fotografien, bei denen es auf die Echtheit einer Situation ankommt, allerdings verpönt bleiben.“

Das Leben in der Nähe von Kernkraftwerken ist absolut problemlos und harmonisch! Egal was diese Lügenpresse behauptet! (Kategorie Meister Platz 2: Christine Gerhardt / Fake News)

Eine Verpflichtung, etwa manipulierte Werbebilder mit einem Hinweis zu versehen, wie es beispielsweise seit Jahren in Frankreich diskutiert wird, steht der Bildbearbeitungs-Guru nicht ablehnend gegenüber. Aber Baumann hegt Bedenken hinsichtlich der Umsetzung: „Es müsste zunächst einmal eine Schwelle in der Bildmanipulation definiert werden, ab wann dieser Hinweis erfolgen muss.“ Wer mit Fake-Fotografien die Leute hinters Licht führen wolle, werde sich sicherlich nicht an Regeln halten. Diese Bildmanipulateure könnten noch von einer Hinweis-Pflicht profitieren. Denn der Betrachter ginge dann davon aus, nicht gekennzeichnete Bilder seien per se authentisch, so Doc Baumann.

„SSST – Super Short Story Telling“ ist bis 19. November 2017 im Museum für Kommunikation, Schaumaikai 53, zu sehen. Weitere Informationen unter www.mfk-frankfurt.de.

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