Preis und Politik in Frankfurt
Von Bruno Rieb
Den Roman „22 Bahnen“ von Caroline Wahl haben die unabhängigen Buchhandlungen zu ihrem Lieblingsbuch 2023 gekürt. Der Preis wurde während der Buchmesse am Donnerstag verliehen. Eine andere Preisverleihung wurde verschoben: die an die in Israel geborene Schriftstellerin Adania Shibli für ihr Buch „Eine Nebensache“. Das sorgte für Unverständnis.Fünf Romane auf der Shortlist
Was ist denn da los? Massig Publikum an der Leseinsel der unabhängigen Verlage. Alle Stühle sind besetzt und drumherum scharen sich reichlich Leute. Die unabhängigen Verlage haben ihre Bühne den unabhängigen Buchhandlungen überlassen. Die wählen hier heute ihr Lieblingsbuch 2023. Rund 100 unabhängige Buchhandlungen hatten 267 Romane ins Rennen geschickt. Daraus war die Shorlist mit fünf Büchern ausgewählt worden; „Leonard und Paul“ von Ronan Hession, „22 Bahnen“ von Caroline Wahl, „Marsch-Lande“ von Jarka Kubsova, „Paradise Garden“ von Elena Fischer und „Oben Erde, unten Himmel“ von Milena Michiko Flasar.
Über diese fünf Romane stimmten die unabhängigen Buchhandlungen erneut ab. Es siegte Caroline Wahl. In „22 Bahnen“ erzählt sie von Tilda, die sich um ihrekleine Schwester Ida kümmert. Vater gibt es keinen, die Mutter ist alkoholabhängig. Als Tilda glaubt, alles könnte gut werden, gerät die Situation außer Kontrolle… „Ich wollte diesen Preis unbedingt haben“, sagte Wahl. Die unabhängigen Buchhandlungen seien ihr besonders wichtig.
Das ist kein Fußballlspiel
Massig Publikum wenig später im Frankfurt Pavillon (Agora). Über „Israel und Palästina – Wege aus der Unversöhnlichkeit“ sprechen hier die Journalistin Alena Jabarine, Tochter einer Deutschen und eines palästinensischen Israeli, und Meron Mendel, Leiter der Bildungsstätte Anne Frank. Es moderiert die Journalistin Basha Mika.
Eigentlich sei vor vier Wochen noch ein Gespräch über die Demokratie in Israel geplant gewesen, sagt Mika. Wegen des Terroranschlags der Hamas wurde das Thema geändert. „Ein sehr tiefes Gefühl der Ohnmacht und der Leere“, stellt Mendel bei sich fest. „Ich habe noch nie so viel geweint wie in den letzten Tagen“, sagt Jabarine. Die jetzt in Deutschland für den Anschlag der Hamas auf die Straße gehen, die seinen eine absolute Minderheit, betonen beide. Jabarine warnt aber davor, die Palästinenser kollektiv zu verurteilen. Als Beispiel nennt sie, dass die Verleihung des LiBeraturpreises an die in Isreal geborene palästinensische Schriftstellerin Adania Shibli für „Eine Nebensache“ auf die Zeit nach der Messe verschoben wurde. Sie erhält für diese Kritik reichlich Beifall. Das Buch handelt von der Vergewaltigung eines Beduinenmädchens 1949 durch israelische Soldaten in der Negevwüste nahe dem Kibutz Nirim, der jetzt von der Hamas grausam überfallen wurde. Auch Mendel kritisiert, dass die Preisverleihung verschoben wurde, räumt aber ein, das Buch nicht gelesen zu haben.
Während Mendel eine stärkere Verurteilung des Hamas-Terrors fordert, wünscht sich Jabarine mehr Zurückhaltung. „Das ist kein Fußballspiel, in dem man sich auf eine Seite schlägt“, sagt sie. Im Gazastreifen müssten die Menschen schon lange unter völkerrechtswidrigen Bedingungen leben.
Titelbild: Preisverleihung „Lieblingsbuch der Unabhängigen“