Basilika Ilbenstadt

Gotteslob aus 2000 Pfeifen

Von Klaus Nissen

Die einzige erhaltene Orgel von Johann Onimus braucht nach 284 Jahren eine Erneuerung. Nur in Ilbenstadt steht noch ein Instrument des Mainzer Orgelmeistes Johann Onimus (1689-1759). Doch manche der taubenblau und golden gefassten Pfeifen scheppern. Sie können nicht mehr gestimmt werden. Manche Tasten klemmen immer wieder. Pfarrer Bernd Richardt hat jetzt fast eine halbe Million Euro für die Restaurierung beisammen. Und zeigt, wie Wetterhähne und Heilige die Jahrhunderte überdauern.

Basilika Ilbenstadt hat eine einzigartige Orgel

Andreas Rehn von Lotto Hessen (rechts) und Hans Dohm von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz (links) überreichten Pfarrer Bernd Richardt im Juni einen Scheck über 45 000 Euro für die insgesamt rund 500 000 Euro teure Orgel-Restaurierung. Foto: Nissen

Die große Orgel über dem Eingang der Sankt Peter und Paul-Basilika ist verstummt. Spezialisten der Licher Firma Förster und Nikolaus beginnen im Sommer 2018 mit dem Abbau aller Pfeifen, Züge und Register. Nur der hölzerne Rahmen bleibt vor Ort. Die Gottesdienste in der 1159 geweihten Kirche begleitet in den nächsten zwei Jahren eine mobile Klein-Orgel. Erst zum St. Gottfrieds-Fest im Oktober 2020 wird die 1734 erbaute Onimus-Orgel wieder Gottes Lob pfeifen. Und zwar anders als bisher.

So sieht eine Kirchenorgel von innen aus. Jede Menge Züge stecken im Inneren der 1734 erbauten Basilika-Orgel. Foto: Nissen

Die Pedale, der Windladen und etwa die Hälfte der gut 2000 Pfeifen stammt noch vom Baumeister Onimus, sagt Pfarrer Bernd Richardt. Die letzte Reparatur liegt gut 50 Jahre zurück. Der Staub der Jahrzehnte hat sich in und auf dem riesigen Musikinstrument abgelagert. Das kann man leider hören. An manchen Pfeifen aus Zinn oder Bronze sind Lötnähte ausgerissen. Die Orgel kann nicht mehr sauber gestimmt werden. Und  manche Tasten klemmen immer wieder, berichtet der Pfarrer bei einem Besuch auf der Orgel-Empore. Der Organist Rainer Walter habe seine Mühe, diesen störenden Defekt bei Gottesdiensten und Konzerten unhörbar zu machen.

Nun wird alles anders. Die Spezialfirma in Lich wird defekte Pfeifen durch neue, teils auch durch neue alte ersetzen, manche auch neu löten und verlängern. Die Register werden neu abgestimmt. Eins kommt vielleicht weg, sagt Pfarrer Richardt: „Die Quinte klingt ein bisschen schepp.“  Außerdem wird das Leder des Blasebalgs ausgetauscht. Und der Blasebalg mit dem Elektromotor, der ihn mit Luft befüllt, wird aus dem Orgelgehäuse verbannt. Denn diese Teile haben den Klangkörper seit 1960 eingeengt, sagt Richardt. Der 59-jährige katholische Seelsorger, der vor zwei Jahren aus Schotten nach Ilbenstadt kam, hat sich inzwischen zu einem richtigen Orgel-Experten entwickelt.

Diese uralten Mauerbögen hinter der Orgel werden bald teilweise wieder durchbrochen. Wie in alten Zeiten nimmt der Raum den Blasebalg und die Apparatur für den Blasebalg-Treter – den Kalkant – wieder auf. Foto: Nissen

Beim Ortstermin führt er seine Gäste dorthin, wo künftig die Luft für das gewaltige Gotteslob in die Pfeifen der Onimus-Orgel gedrückt wird. Es ist die über eine Wendeltreppe erreichbare St. Michaelskapelle hinter der Orgel, über dem Portal der alten Basilika. In früheren Jahrhunderten verfolgten von hier aus die im Kloster Nieder-Ilbenstadt lebenden Nonnen die Gottesdienste durch vier schmale und ein großes Bogenfenster. Vor knapp 300 Jahren ließ Abt Jakob Münsch die barocke Orgel-Empore einbauen, die den Ausblick versperrte. In der Kapelle schuftete fortan der Kalkant, um im Tretwerk den Blasebalg mit Luft zu versorgen. 1960 löste ihn der in die Orgel verlegte Elektromotor ab – doch künftig soll die Orgel auch wieder durch einen menschlichen Lufttreter beatmet werden können. Er wird gemeinsam mit dem wohl meistens an seiner statt arbeitenden Elektromotor in einem drei mal fünf Meter großen Gehäuse hinter die jetzt noch zugemauerten Bögen in der Michaelskirche platziert.

Die Michaels-Kapelle über dem Eingangstor der Basilika birgt die gerade nicht für den öffentlichen Raum gebrauchten Heiligenfiguren. Sie stehen hier womöglich schon seit mehr als 200 Jahren. Foto: Nissen

Der hintere Teil dieser fürs Publikum verschlossenen Anlage bleibt unverändert – eine Zeitkapsel, in der eine Spinnen-Dynastie, ein knappes Dutzend lebensgroßer Heiligenfiguren und zwei mit Grünspan überzogene Wetterhähne die Jahrhunderte überdauern. Die Figuren kamen wohl 1803 in dieses Gelaß, vermutet Pfarrer Richardt. Damals ließ Napoleon das Kloster Ilbenstadt schließen. Die überflüssig gewordenen Heiligen aus bemaltem Holz kamen in die Rumpelkammer über dem Basilika-Eingang. Mit vergeistigten Gesichtern ertragen sie diese lange Verbannung in großer Gleichmut. Bald wird sich in ihrer Nachbarschaft einiges tun. Und ab Herbst 2020 können sie, wenn sie es denn hören, die göttlichen Klänge von Bach, Händel und Vivaldi aus der runderneuerten Onimus-Orgel vernehmen.

All das kostet eine Menge. Schon seit 2001 sammelt der zur Orgel-Restaurierung gegründete Verein Geld. Rund 200 000 Euro brachte die 1600 Katholiken aus Ilbenstadt, Bruchenbrücken und Assenheim zählende Gemeinde selbst auf. 150 000 Euro stiftete das Bundesamt für Denkmalschutz, weitere 50 000 die hessische Denkmalbehörde. Den gleichen Betrag überwies das Bistum Mainz. Zuletzt sagte die aus Lotterie-Mitteln gespeiste Deutsche Stiftung Denkmalschutz 45 000 Euro zu. Nun fehlen noch 20 000 Euro, berichtet Pfarrer Richardt.

Die Ilbenstädter Basilika

Die Basilika von Ilbenstadt wurde ab 1123 erbaut. Das hell verputzte Haus St. Gottfried daneben ist heute eine Bildungsstätte der Diözese Mainz. Foto: Nissen
In dem nach ihm benannten Haus neben der Basilika steht eine Figur ihres Gründers Gottfried von Cappenberg. Der westfälische Adlige hatte vor fast 900 Jahren all seinen Besitz den Prämonstratensern übertragen. Foto: Nissen

Vor 900 Jahren gehörte Ilbenstadt dem westfälischen Hochadligen Gottfried von Cappenberg. Der beschloss, sein beträchtliches Vermögen dem frisch gegründeten Prämonstratenser-Orden zu stiften – was seinen Schwiegervater Friedrich von Arnsberg derart erboste, dass er sogar Sodaten gegen Gottfried in Marsch setzte. Vergeblich. 1127 starb der später heiliggesprochene Gottfried mit nur 31 Jahren und wurde in der neuen Basilika von Ilbenstadt beigesetzt.

Die Kirche war mit einem flachen Dach nach dem Vorbild römischer Markthallen (Basiliken) erbaut worden. Der halbrunde Chor mit dem Altar war ursprünglich die Nische für den römischen Marktaufseher. Das Dach lastete in Ilbenstadt außerhalb der Mauern auf den horizontal darauf liegenden Balken. Um 1500 wurde jedoch das heutige Gewölbe aufgesetzt. Seitdem drückte das höhere Dach die Außenmauern auseinander. Risse bildeten sich, erst im 20. Jahrhundert wurde die Statik der Kirche wieder stabilisiert. Auf den Ländereien wirtschafteten die in Ilbenstadt lebenden Mönche und Nonnen bis 1803, als die Grafen von Westerburg-Altleiningen den Besitz übernahmen. Sie verkauften ihn 1921 an den Volksstaat Hessen. 1958 kaufte das Bistum Mainz die ganze Anlage. Im Gottfriedshaus neben der Basilika betrieb sie ein Mädchenheim. Inzwischen dient es als Jugend- und Bildungsstätte der Kirche.

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