Plötzlich lebt das alte Gießen wieder
von Jörg-Peter Schmidt
Das Oberhessische Museum am Brandplatz in Gießen bietet ab sofort den Besucherinnen und Besuchern digital einen eindrucksvollen historischen Spaziergang durch das fachwerkgeprägte Gießen, wie es etwa zehn Jahre vor der Ausbombung, die am 6. Dezember 1944 erfolgte, aussah. Das Besondere: Dieses Eintauchen in die Historie der Universitätsstadt erfolgt digital.
Stadtmodell spielt eine bedeutende Rolle
Die Leiterin des Museums Dr. Katharina Weick-Joch und ihr Team sowie Oberbürgermeister Frank-Tilo Becher hatten vor der Eröffnung für die Bevölkerung zu einem Presserundgang eingeladen. In dem Digitallabor-Raum neben dem Foyer fällt der Blick gleich auf das wunderbare Miniaturmodell von Gießen aus dem Jahr 1969, das man vom Leib’schen Haus her kennt und das die Stadt in den 1930-er Jahren zeigt. Daneben sieht man – ebenfalls in Kleinformat – ein Gebäude, an das sich die älteren Menschen noch gut erinnern können. Es handelt sich um das 1898 eingeweihte Volksbad, das bis Ende der 1960-er Jahre nicht weit von Karstadt entfernt in der Innenstadt seinen Platz hatte.
Wie das frühere Gießen einst aussah
Die beiden Modelle spielen eine große Rolle beim digitalen Beamen zurück in das einstige Gießen. Die Besucher, die fachlich beraten werden, erhalten einen Kopfhörer sowie ein Tablet und erfahren per Audiowalk durch den Bericht der fiktiven Studentin Lisa, was ihr ihre Oma vom alten Gießen erzählt hat. Während des Pressegesprächs und in einem Pressetext des Museums ist mehr über „Lisa“ und ihre Schilderung zu erfahren: Die Studentin ist stolze Erbin eines städtischen Kleingartens, in dem sie liebevoll Schmetterlinge ansiedelt. Derzeit recherchiert sie für einen Artikel, den sie für die Uni-Zeitschrift plant. Sie hat die Chance den großen Aufmacher zu schreiben, aber noch keine Idee worüber. Wir erleben sie dabei, wie sie behutsam einen eingesperrten Schmetterling aus einem Glas freilässt. Geleitet vom Schmetterling geht man zusammen mit Lina auf die Suche nach Gießens Beschäftigung mit dem Thema Nachhaltigkeit, erfährt etwas über den Klimawandel, die Rolle des Wassers und findet immer wieder Verknüpfungen zur historischen Stadtentwicklung.
Wie das wunderbare Projekt entstand
Während des Spaziergangs taucht man per Tablet in das Stadtmodell bzw. das Modell des Volksbads ein und erlebt dann Etappen der Stadtgeschichte. Programmierer Luka Tilinger stellte vor, wie das Ganze funktioniert.
Aber wie entstand dieses besondere Projekt im Alten Schloss, in dem das Oberhessische Museum untergebracht ist? Unter anderem Dr. Katharina Weick-Joch und Mario Alves seitens des Museums sowie OB Becher erläuterten die Entstehungsgeschichte, die mit dem Projekt „museum4punkt0“ zusammenhängt. In diesem Verbundprojekt vernetzt, steuert und koordiniert die Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Deutschland verschiedene Museen bei der digitalen Anwendung für die Vermittlung von Kultur. Die Museen informieren sich über Projekte. Durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien erfolgt eine Förderung aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages und ermöglicht auch die Fortsetzung und Erweiterung auf 27 Teilprojekte in einer weiteren Förderphase. Neun neue Institutionen wurden im März 2022 in die Förderung aufgenommen, darunter das Oberhessische Museum Gießen.
Projekt wurde im Team erarbeitet
Was jetzt den Gästen des Museums digital geboten wird, ist in Teamarbeit entstanden, im Zusammenwirken mit dem Gestaltungsbüro „Studio Neue Museen“, also Andreas Haase und seinem Team. Die Drehbuchautorin Jenny Alten schuf in enger Zusammenarbeit mit der Museummannschaft ein Skript, das als Grundlage für die Illustratorin Jelena Milunovic und den Programmierer Luka Tilinger für die verschiedenen Darstellungen diente. Zwischen dem 3. und 4. Mai 2023 wird das Oberhessische Museum Gießen im Kulturforum Berlin das Projekt vorstellen, das Oberbürgermeister Becher als ein Beispiel dafür bezeichnet, dass in Gießen etwas Neues entsteht, was nicht das einzige Beispiel ist. Ihn fasziniert, wie im Museum tatsächlich mit digitalen Methoden experimentiert wird. Man spüre förmlich das kreative Potenzial des Museums und es werde deutlich, mit welchem produktiven Teamgeist im Museum zusammen mit unterschiedlichen Partnerinnen und Partnern an der Weiterentwicklung von lebendiger, digitaler Geschichtsvermittlung gearbeitet wird. Soweit der OB. Nicht nur er ist beeindruckt von dem Projekt, das noch ausgebaut wird. Weitere „Charaktere“ wie der von „Lisa“, die über Gießens Historie berichten, werden noch erarbeitet.
Die Audiowalk-Öffnungszeiten: Di bis So 11 bis 18 Uhr, an langen Donnerstagen (27. April, 11. Mai, 25 Mai) bis 19 Uhr. Um den Audiowalk zu testen, wird um Anmeldung auf museum.giessen.de gebeten.
Titelbild: Das Stadtmodell dient als Grundlage beim Audiowalk (in der Mitte die Stadtkirche). (Fotos: Jörg-Peter Schmidt, 3/Oberhesssisches Museum, 1.)