Selbsteinschätzung ist häufig zu hoch
Sollten ältere Autofahrer in regelmäßigen Abständen verpflichtend ihre Fahreignung testen lassen? Und falls sie den Test nicht bestehen, ihren Führerschein abgeben müssen? Menschen ab 70 oder 75 Jahre empfinden das als diskriminierend. Doch es gibt andere Methoden, die es älteren Autofahrern ermöglichen, weiter am Straßenverkehr teilzunehmen, ohne dass sie ein zusätzliches Risiko für andere werden. Der Neue Landbote sprach darüber mit Bernhard Schlag, ehemaliger Professor für Verkehrspsychologie an der TU Dresden.Unfallbilanz ist gar nicht so schlecht
Landbote: Wie sicher sind die Alten denn tatsächlich im Straßenverkehr?
Professor Bernhard Schlag: Das Alter bringt naturgemäß Probleme mit sich, man sieht schlechter, man hört schlechter, die Beweglichkeit lässt nach. Trotzdem verursachen alte Autofahrer nicht deutlich mehr Unfälle, die damit zu tun haben könnten. Die Unfallbilanz ist bei den Älteren nicht so schlecht, wie es gemeinhin angenommen wird. Sie ist schlechter als für die mittleren Jahrgänge, aber nicht so sehr, dass die Alten ein riesiges Risiko im Straßenverkehr wären. Das hängt damit zusammen, dass man viele von diesen Einschränkungen, die man im Alter verspürt, auch kompensieren kann. Wer feststellt, dass er bei Dunkelheit nicht mehr so gut sieht wie früher, der meidet eben Fahrten bei Nacht. Das machen die Älteren. Nicht unbedingt, weil sie besonders selbstkritisch mit ihren Kompetenzen wären. Aber es macht einfach keinen Spaß Auto zu fahren, wenn ich im Dunkeln nicht mehr gut sehe. Oder wenn ich merke, dass ich unsicher bin und mich erschrecke, wenn ich scharf abbiegen muss. Das ist unangenehm, das will man nicht und dann meide ich solche Situationen. Diese Kompensationsleistungen, die man im Alter macht, wenn man es selbstkritisch nimmt, die sind schon bemerkenswert. Die Älteren sind nicht mehr so wie junge Leute, die manchmal mit dem Kopf durch die Wand wollen, jedenfalls die ganz überwiegende Mehrheit nicht, sondern sie kompensieren viele ihrer Einschränkungen.
Wie zutreffend ist denn die Einschätzung älterer Autofahrer, wenn es um ihre eigene Fahreignung geht?
Das ist bei den Alten genauso wie in allen anderen Altersgruppen: Die Selbsteinschätzung der Kompetenz als Autofahrer ist durch die Bank zu positiv. 70 bis 80 Prozent sagen: Ich bin überdurchschnittlich gut als Autofahrer, bei Frauen etwas weniger, bei Männern etwas mehr. Also, auf die pauschale Selbsteinschätzung sollte man nicht so viel geben. Aber man kann ja differenzierter fragen: Wie ist es mit Ihrem Sehen, hören Sie noch gut, welche Tabletten nehmen Sie, können Sie sich noch gut bewegen, sind Sie auch ohne Auto noch mobil? Dann bekommt man ein genaueres Bild und dann werden die Leute auch ein bisschen selbstkritischer, als wenn man nur oberflächlich nach der Kompetenz als Autofahrer fragt.
Selbstreflektion fördern
Und wie gut folgen Senioren im Straßenverkehr der Einschätzung durch andere? Also der Klassiker, die Kinder sagen dem Vater: Wir glauben, du fährst besser nicht mehr selber mit dem Auto? Oder man nimmt gar dem Opa den Autoschlüssel weg?
In der Familie ist das höchst problematisch, das kann zu schlimmen Zerwürfnissen führen. Also innerhalb der Familie vorsichtig sein mit dem Thema. Aber es geht auch anders. Wir haben mit der Unfallforschung der Versicherer eine Rückmeldefahrt für Ältere entwickelt und mit großem Aufwand getestet; mit alten und ganz alten, bis über 90jährigen Autofahrern. Rückmeldefahrt bedeutet: Man macht mit einer alten Person eine Fahrt in deren eigenem Umfeld. Begleiter waren eine Psychologin und ein Fahrprüfer. Entscheidend ist dann die Art der Rückmeldung, und da sind wir bei dem psychologischen Anteil. Die Rückmeldung muss man einbetten in eine positive Erfahrung, dann wurde sie sehr gut akzeptiert und als hilfreich anerkannt. Selbst von denen, die eigentlich den Hinweis bekamen, dies und jenes zu machen, damit sie nicht gefährdend unterwegs sind. Der Kern der Methode: Rückmeldefahrten fördern die Selbstreflektion. In diese Richtung sollte es gehen. Trainings, in denen alte Autofahrer ihre Fahrkompetenzen prüfen und erhalten können. Wenn es darum geht, zu bewahren was man kann oder nochmal zu verbessern, dann sind die Alten durchaus dabei. Denn sie wissen sehr genau, wie viel ihnen das wert ist. Verpflichtende Tests der Fahreignung mit Androhung des Führerscheinentzugs werden dagegen als massive Diskriminierung empfunden und abgelehnt.
Stellen wir uns eine Person vor, einmal im Alter von 18 bis 23, junger Mann, Fahranfänger. Und dann dieselbe Person 60 Jahre später, dann wäre sie 78 bis 83. Wer von den beiden ist gefährlicher im Straßenverkehr?
In der statistischen Bilanz die Jüngeren, die mehr Gefahren für andere auslösen. Wenn es um die Gefährdung der eigenen Person geht, ist es nochmal differenzierter zu sehen. Aber auch da würde ich sagen, es sind eher die Jüngeren, die auch für sich selbst mehr Gefahren verursachen. Der angerichtete Schaden, die Vulnerabilität ist aber bei den Älteren größer, bei gleichem Aufprall sind sie einfach schwerer verletzt. Die Gefahr für die Allgemeinheit geht aber stärker von den Jüngeren aus. Obwohl man sagen muss, in den vergangenen 20, 30 Jahren hat sich das deutlich verbessert.
Fahreignungsprüfung hat negative Folgen
Könnte man von älteren Fahrern nicht auch sagen: Wenn sie fahren, dann fahren sie langsam, sie fahren kürzere Strecken, insgesamt entsteht nicht so viel Gefahrenpotenzial verglichen mit Jüngeren, die schnell, viel und weite Strecken fahren?
Natürlich bedeuten Alte im Straßenverkehr ein zusätzliches Gefahrenpotenzial, verglichen damit, wenn sie nicht auf der Straße wären. Aber in anderen Altersgruppen ist das nicht weniger, da ist es eher mehr, gerade bei den Jüngeren. Ältere Autofahrer haben insgesamt nicht mehr Unfälle als die mittleren Altersgruppen, die statistisch am besten abschneiden. Man bekommt allerdings ein anderes Ergebnis, wenn man die Unfallzahlen auf die Fahrleistung bezieht, also wie viel ist jemand mit dem Auto tatsächlich unterwegs. Diese Unfallbilanz in Bezug auf die gefahrenen Kilometer ist für die Älteren deutlich schlechter als für die mittleren Altersgruppen. Aber die Unfallbilanz bezogen auf die Personen insgesamt ist es nicht.
Und was nimmt man als Basis für politische Entscheidungen?
Man muss sehr aufpassen, wie eine politische Maßnahme oder rechtliche Maßnahme hinterher wirkt. Verpflichtende Überprüfungen der Fahreignung im Alter werden in Deutschland mit gewissem Recht sehr kritisch gesehen. Gerade für ältere Menschen, die auf dem Land leben und ihr Leben lang selbständig ihr Auto genutzt haben, kann das richtig problematisch werden.
Worin bestehen die Probleme?
Es gab dazu eine Untersuchung in den USA, mit alten Menschen, die in einer Gegend wohnten, wo es bei der Mobilität keine Alternative zum Auto gab. Das waren Leute, die 50, 60 Jahre lang Auto gefahren sind. Wenn diese nicht mehr selbst fahren konnten, sie also ihre Mobilität verloren, dann hatte man nicht nur den Effekt, dass sie unselbständiger wurden, sondern oftmals starben sie früher. Sie waren richtig gefährdet dadurch, dass sie sozusagen am Leben nicht mehr teilnehmen konnten, sich selber nicht mehr gut versorgen konnten, ihre Selbständigkeit verloren. Gesundheitlich bauten sie schneller ab als diejenigen, die noch mit dem Auto unterwegs sein konnten. Also es gibt starke negative Effekte, die so eine rechtliche Einschränkung mit sich bringen würde, das muss man beachten. Ich denke, das Problem ist eigentlich nicht so sehr das Alter, sondern das Problem ist die Art des Fahrens, die Art, wie unser Straßenverkehr organisiert ist. Die müsste man abstimmen, so dass alle mitkommen.
Den Verkehr insgesamt besser gestalten
Was meinen Sie damit, was wäre zu ändern?
Geringere Geschwindigkeiten fahren, mehr Abstände einhalten, auch möglicherweise längere Ampelphasen. In großen Kreuzungen Grünabbieger extra schalten, das ist eine kritische Situation, gerade für Ältere. Das Gleiche in Richtung Fußgänger. Die Querungszeiten von Fußgängerampeln sind viel zu kurz. Wie schnell muss man gehen, damit man es noch bei Grün bis zur anderen Seite schafft? Das sind heute meistens 1,5 Meter pro Sekunde. Ältere Leute gehen aber oft nur noch mit einem Meter pro Sekunde. Dann stehen sie bei Rot in der Mitte der Straße, werden ängstlich und pendeln hin und zurück. Was ich damit sagen will: Wenn man Verkehrssicherheit gut managen will, dann muss man nicht zuerst bei den Alten ansetzen. Sondern besser bei der Gestaltung des Verkehrs und den Regelungen, wie man sich im Straßenverkehr zu verhalten hat, und das gilt für alle. Möglicherweise ist das der wirksamere Weg.