Wie Diktaturen an der Macht bleiben
Von Michael Schlag
In ihrem Buch „Die Achse der Autokraten“ erklärt Anne Applebaum, wie sich Diktaturen weltweit gegenseitig an der Macht halten.Westliche Demokratien werden ausgespielt
Wie schön hatten wir uns das ausgemalt, nach 1990: Die freiheitliche Demokratie hat gewonnen, bald wird sie sich überall durchsetzen. Befördert noch vom Internet mit der großen Freiheit der Information. Was für ein naiver Irrtum, das Gegenteil ist eingetreten: „Niemand konnte sich vorstellen, dass stattdessen die Autokratie und ihr Gedankengut in die demokratische Welt vordringen könnten“, schreibt Anne Applebaum in dem Buch „Die Achse der Autokraten“. Sie erhielt dafür in diesem Jahr den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.
Wie kann das sein: Russland greift die Ukraine an und findet weltweit Verbündete in den unterschiedlichsten totalitären Regimen. Und die Bedrohung der westlichen Demokratien kommt nicht nur von außen, sie werden auch von innen durch radikale Kräfte ausgehöhlt. Die Historikerin erklärt auf 200 Seiten (übrigens für ein Sachbuch ein guter und ausreichender Umfang), wie Diktaturen sich weltweit gegenseitig an der Macht halten, welche Interessen dabei greifen und wie die westlichen Demokratien ausgespielt werden.
Skrupellose Entschlossenheit
Es geht längst nicht mehr um den altbekannten Systemwettstreit von Kommunismus gegen Kapitalismus mit den klaren Fronten des kalten Krieges. Kommunismus in China, Nationalismus in Russland, bolivarischer Sozialismus in Venezuela, Schia der islamischen Republik in Iran, die Kim-Dynastie in Nordkorea: „Den Zusammenhalt liefert keine gemeinsame Ideologie, sondern nur die skrupellose Entschlossenheit, mit der sie sich selbst bereichern und ihre Macht erhalten.“ Mag der Westen die Regime mit Sanktionen belegen, den Machthabern ist das ziemlich egal, sie sind dadurch keineswegs isoliert sie haben neue Verbündete. Chinesische Unternehmen investieren in Belarus, das Land steht in diplomatischem Austausch mit Iran. Venezuela erhält russische Kredite und Investitionen in seine Ölindustrie. Proteste von Hunderttausenden wurden in den Ländern brutal unterdrückt.
Die Menschen haben aber nicht nur ihre eigene Regierung gegen sich, sondern „ihre Gegner sind die Autokraten in aller Welt, sie versorgen ihre Mitglieder nicht nur mit Geld und Waffen, sondern sie bieten etwas weniger Greifbares: Straflosigkeit.“ Und das sei neu, schreibt Applebaum: Das Bewusstsein unter den Diktatoren, dass ihnen die Welt nichts anhaben kann; Kritik aus dem Ausland ist ihnen gleichgültig. In aller Offenheit werden Demonstranten getötet, Oppositionspolitiker inhaftiert, die iranischen Mullahs machen sich gar nicht die Mühe, die Unterdrückung von Frauen zu verheimlichen.
Es geht um die Weltordnung
Obwohl ihre Ideologien meilenweit auseinander liegen, eint die Autokraten der Welt ein gemeinsamer Feind. „Dieser Feind sind wir“ – die demokratische Welt mit ihrer unabhängigen Justiz, legitimer politischer Opposition, mit vom Staat garantierter Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit. So gehe es beim Überfall auf die Ukraine gar nicht zuvorderst um Eroberung, meint Applebaum, sondern Putin „wollte der Welt auch zeigen, dass die alten Regeln des internationalen Zusammenlebens keine Gültigkeit mehr besitzen.“ Es geht um die Weltordnung und wie es aussieht, sind wir auf der Verliererseite. Die Diktatoren fanden auf ihrem Weg in die neue Weltordnung aber nicht nur Unterstützung untereinander, sondern genauso in den Demokratien. Schonungslos schildert die Historikerin den Weg in die Abhängigkeit Westeuropas vom russischen Gas unter der Überschrift „In Gier vereint“. Und entstand die russische Diktatur wirklich nur durch die Kräfte des KGB im eigenen Land? Keineswegs, „auf der anderen Seite stand die nicht minder zynische und amoralische internationale Finanzwelt.“
Wie sehen die internationalen Verflechtungen der Diktaturen heute aus, wie funktioniert das? Applebaum erklärt es detailliert am Beispiel von Venezuela: „Wie überlebt ein Schurkenstaat unter Sanktionen?“ Nach dem Tod von Hugo Chavez gab es Proteste im ganzen Land und es schien, als sei das Ende des Regimes gekommen. Westliche Unternehmen ziehen sich zurück, doch russische Unternehmen füllen die Leerstellen mit Getreide, Benzin und Waffen. Als die internationalen Institutionen keine weiteren Kredite geben, springt China ein, und zwar „mit Krediten, die nicht an Reformen geknüpft waren.“ Und es bestanden weitere Beziehungen: zu Kuba, zur Türkei, jedoch „keine der Auslandsbeziehungen Venezuelas ist so merkwürdig, wie die enge Verbindung zum Iran“. Die beiden Länder haben kaum etwas gemeinsam, aber was Gottesstaat und linken Internationalismus verbindet, „sind das Erdöl, der Antiamerikanismus, die Unterdrückung ihrer Demokratiebewegungen und die Notwendigkeit, Sanktionen zu umgehen.“ Weitere Beispiele sind Kirgisistan und Simbabwe, das sich für die russischen MiG-35 mit seinem Abstimmungsverhalten in den Vereinten Nationen bedankte. „Simbabwe befürwortete 2014 als eines von elf Ländern in der UN die Annexion der Krim, neben Nordkorea, Kuba, Venezuela, Belarus“.
Informationswaschanlagen
Und was ist mit dem Internet, das doch den freien politischen Diskurs anschieben sollte, als Mittel zur Verbreitung der Demokratie, als Schutz vor Tyrannei? Stattdessen wurde das Internet zu einem Kontrollinstrument totalitärer Regime mit Überwachungskameras, Tracking-Apps auf Handys, Gesichtserkennung, Stimmerkennung.
Die Autokratien von heute verheißen ihren Bürgern nicht mal mehr eine bessere Welt, wie noch die kommunistische Propaganda des 20. Jahrhunderts. China propagiert stattdessen Nationalstolz und wirtschaftliche Entwicklung. Russen werden ständig über den Niedergang in Europa und den USA informiert: nichts als Dekadenz und Russlandfeindlichkeit, verbreitet mit absurden Falschinformationen, Applebaum nennt das „Informationswaschanlagen“. Zugvögel werden in der Ukraine präpariert, um Viren nach Westeuropa zu tragen; die Nato will ukrainische Paramilitärs nach Frankreich entsenden, um die Proteste gegen die Rentenpolitik niederzuschlagen. Das Schlimme an dem Unsinn: Solche Nachrichten infiltrieren auch die seriösen Medien und die Politik in den westlichen Ländern, wie Applebaum an haarsträubenden Beispielen nachweist.
Kann man wenigstens noch darauf vertrauen, dass alle Staaten sich an internationale Gesetze halten, das Seerecht, das Luftverkehrsrecht? Nein, kann man nicht, man erinnere sich an die erzwungene Landung eines Ryanair-Fluges in Belarus im Jahr 2021. Unterwegs von Athen nach Vilnius (zwei EU-Länder), musste der Pilot in Minsk zwischenlanden, wo der belarussische Machthaber Lukaschenko zwei Oppositionelle in dem Flugzeug verhaften ließ. Diese Aktion war extrem, denn sie zeigte, so Applebaum: „Lukaschenko war zum vollständigen Bruch mit Europa bereit – und konnte sich der Unterstützung der autokratischen Welt sicher sein. Und er kam straflos davon.“
Man bleibt ratlos zurück
Es gibt noch weit mehr Beispiele, wie Autokratien ihre Kritiker auch im Ausland verfolgen, entführen und ermorden. Autokratien liefern untereinander Dissidenten aus und „allen gemeinsam ist die Verachtung für internationale Spielregeln jeder Art.“ Das Buch „Die Achse der Autokraten“ ist niederschmetternd zu lesen. Autokratien kooperieren, um sich an der Macht zu halten, für ihr System zu werben und Demokratien zu schaden. „Es ist die Welt, in der wir heute leben,“ schreibt Applebaum, „es gibt keine freiheitliche Weltordnung mehr.“ Und jetzt? Man bleibt ratlos zurück. „Demokraten, vereinigt Euch!“, so lautet der Epilog des Buches – wenn es noch nicht zu spät ist.
„Die Achse der Autokraten – Korruption, Kontrolle, Propaganda: Wie Diktatoren sich gegenseitig an der Macht halten“ von Anne Applebaum, Siedler-Verlag, ISBN 978-3-8275-0176-9, 208 Seiten, 26 Euro. Originaltitel: Autocracy, Inc.
Blick ins Buch: bic-media.com