„Jeder Hof ist ein Unikat“
Von Klaus Nissen
Manche füttern Pensionspferde mit ökologisch angebautem Heu, andere erzeugen Bio-Rindfleisch, Gemüse oder Obst. Anfang 2025 gibt es 71 Bio-Landwirtschaftsbetriebe in der Wetterau, Ihre Zahl stagniert. Trotzdem gibt es Wachstum – zum Beispiel bei den Solawis. Der Bio-Landwirt Sebastian Mager in Karben weiß mehr darüber.Wetterauer Bio-Landwirtschaft
Ein später Vormittag auf der Anhöhe am verlängerten Ulmenweg bei Klein-Karben. Ringsum Äcker, am Horizont die Frankfurter Wolkenkratzer. In einem Gebüsch neben dem Aussiedlerhof tummeln sich ein paar dick angezogene Kinder und zwei gackernde Hühner. Am knallrot gestrichenen Bauwagen der Kita „Hofhüpfer“ ist wenig los.
Am Ende des Hofplatzes verlässt Sebastian Mager gerade sein Ladengeschäft, um den Besucher zu begrüßen. Der Biobauer ist 47 Jahre alt, wirkt aber jugendlicher. Der große Mann hat seine langen braunen Haare zu einem Pferdeschwänzchen zusammengebunden. Er trägt ein rotes Sweatshirt und bequeme hellgraue Hosen. Seine Füße stecken in grauen Clogs. Heute nimmt er sich Zeit für ein Gespräch – obwohl so viel zu tun ist.
Linsen sind gesund – und schwer zu erzeugen
Kartoffeln: Die aus Peru stammenden Erdäpfel sind ein wichtiges Standbein für den Biobetrieb. „Wir liefern Kartoffeln an zehn Rewe-Märkte“, sagt Sebastian Mager. Leider sei der letzte Sommer so nass gewesen, dass die Erträge sanken. Und falls es im Sommer wieder eine Dürre gibt, ist es auch nicht recht. Die Pflanzen wachsen nach Magers Erfahrung nicht mehr richtig, selbst wenn sie einen Hitzestress überstanden haben.
Linsen-Experimente: Hülsenfrüchte sind gesund. 2024 pflanzten die Magers auf einer kleinen Fläche erstmals Tellerlinsen an. Es gelang – aber: „Schwierig erweist sich die Reinigung und Sortierung, da bestehende Sortiersysteme bei Kollegen nur größere Chargen aufnehmen. Deshalb versuchen wir es nun selbst – was aber viel Handarbeit bedeutet.“ Vorerst hat der Betrieb nur kleine Verkaufsmengen. Vom Staat wünscht sich Sebastian Mager mehr Anbau-Forschung für solche „neuen“ Feldfrüchte.
Solawi fand schnell viele Mitglieder
Salat im Winter: Hinter dem roten „Hofhüpfer“-Wagen hat die Landwirtsfamilie zwei gebrauchte Gewächshäuser auf den Acker gestellt. Die gut 20 Meter langen Nissenhütten bestehen aus Metallgestellen mit transparenter Folie. Darin halfen die Hofhüpfer neulich, den Feldsalat einzusäen. Er ist aufgegangen. Auch die in langen Reihen gesetzen Mangoldpflanzen und der Asia-Salat wachsen, dem Winter zum Trotze. Es ist im Folientunnel deutlich wärmer als draußen.
Solawi macht Freude: Erst während der Corona-Epidemie begann Familie Mager mit der Solidarischen Landwirtschaft. Auf zweien ihrer ihrer 75 Hektar Ackerland kultiviert sie nun auch Zucchini, Gelbe Bete, Violette Bohnen und diverse Kohlsorten. Inzwischen hat sie gut 130 Kunden und eine Warteliste. Mitglieder können für etwa 90 Euro im Monat reichlich Gemüse abholen. „Wir bieten auch halbe Anteile an“, sagt Sebastian Mager. Die Solawi verschaffe der Familie ein kalkulierbares Einkommen. Man nehme in Kauf, dass es keine hohen Gewinne, sondern „nur“ eine Vergütung für die eigene Arbeitskraft bringt.
Mager würde gern eine Garten-Fachkraft für die Solawi einstellen, findet aber niemanden. Schön sei, dass man gute Beziehungen zu den Solawi-Mitgliedern aufbauen könne. Mager bezahlt einen gelernten Koch dafür, dass er den Kunden per Newsletter immer neue Gemüse-Rezepte schickt.
Das Solawi-System findet nicht nur in Karben Anklang. Neun Initiativen zählt die Modellregion Ökolandbau mittlerweile in der Wetterau. Zum Beispiel in Dorheim, Ockstadt, Ober-Mörlen, Wallernhausen und Wölfersheim. Details dazu gibt es unter dem Stichwort Solawi auf der Webseite tourismus.wetterau.de.
Die Fleisch-Vermarktung ist zu aufwändig
Abschied von den Tieren: Landwirtschaft ist dynamisch. Der erste Karbener Biohof ist schon 30 Jahre alt und muss sich trotzdem ständig neu erfinden. Seit Jahresbeginn liegt nichts mehr in der Kühltheke. Familie Mager hat den Schweinestall und die beiden Hühnermobile geleert. Das Sortieren der Bio-Eier war zu aufwändig. Auch die Herstellung der Fleischprodukte. Die eigens dafür ausgebildete Bäuerin Ria Mager musste die Tiere nach dem Schlachten in Oberdorfelden auf dem Hof verarbeiten. Im Newsletter schreiben die Magers ihren Kunden: „Wir merken, dass unsere Kräfte den Anforderungen unseres arbeitsreichen Alltangs auf Dauer nicht standhalten können.“
Café statt Hofladen: Sobald die Kühltheke einen Abnehmer gefunden hat, soll sich die Sitzecke im Hofladen zu einem veritablen Hofcafé erweitern. Wann es so weit ist, steht noch nicht fest. Sicher ist: Donnerstags und freitags zwischen 14 und 20 Uhr können die Gäste bald zum Kaffee und Kuchen kommen. Carsten Mager – der Bäcker in der Familie – wird wie gewohnt seine Brote im Regal auslegen. Die Familie baut Dinkel und Weizen an, der teils an die Bio-Mühlen geht, teils auf dem Hof zu Backwaren veredelt wird. Der 16. und 17. Januar sind am Ulmenweg 50 die nächsten Verkaufstage. Ebenso die Wochenmärkte – samstags vor der katholischen Kirche in Karben, mittwochs in Büdesheim.
Biohöfe in der Wetterau
Genau 5 435 Hektar werden in der Wetterau nach Ökolandbau-Richtlinien genutzt. Das sind etwa zehn Prozent der landwirtschaftlichen Gesamtfläche. 71 Biobetriebe zählte Yanic Rudolph vom Fachdienst Landwirtschaft des Kreises im vorigen Februar. Das ist ein Betrieb weniger als im Jahr zuvor. Das starke Wachstum seit 2015 (damals gab es nur 40 Bio-Betriebe) ist vorbei.
Die Ursachen dafür sind vielfältig, glaubt Biobauer Sebastian Mager in Karben. „Jeder Hof ist ein Unikat“. Nahezu jeder Bio-Landwirt habe ein anderes Geschäftsmodell. Im Ballungsraum funktioniere zum Beispiel die Direktvermarktung mit Marktständen, Hofläden und -cafés. Im Osten der Wetterau sei eher die Öko-Viehhaltung machbar.
Alle Bauern haben sehr viel tun. Man müsse aufpassen, dass man sich nicht verausgabt. „Als junger Mann war ich auf dem Absprung“, gesteht Sebastian Mager. Doch dann übernahm er den 1994 von seinem Vater Albrecht auf Biolandbau umgestellten Hof. Beide blieben den teils gewaltsamen Bauernprotesten des vorigen Jahres fern. Die Landwirte leiden zwar unter Bürokratie, so Mager, aber Regeln müssten nun mal sein. Und noch besser werden, damit der Nitrat aus dem Kunstdünger nicht noch mehr Trinkwasser verunreinige. Wichtig sei auch, dass die EU die Agrarzuschüsse endlich an die Qualität der Bodenbewirtschaftung ausrichte statt an der Hektar-Zahl. Auf der Webseite agrarzahlungen.de. ist nachlesbar, wie viel Geld jeder einzelne Landwirt von der EU bekommt.
Geld allein motiviert Mager nicht. „Ich kann hier meine eigenen Ideen umsetzen. Und es ist wunderschön, im Frühjahr in den lebendigen Boden zu greifen. Aus dem Samenkorn wächst eine Pflanze heran – das ist faszinierend!“