Stauffenberg-Attentat

Das deutsche Alibi

Von Michael Schlag

Die Hamburger Journalistin und Historikerin Ruth Hoffmann erklärt in ihrem Buch das „Das deutsche Alibi“ warum das „Stauffenberg-Attentat“ vom 20. Juli 1944 gegen Hitler so verklärt und zu welchen Zwecken es politisch instrumentalisiert wird.

Misslungener Tyrannenmord

20. Juli, alle Jahre wieder großes Gedenken an den misslungenen Tyrannenmord. Mit dabei: Spitzenpolitiker, Militärs, öffentliches Gelöbnis. Seit Jahren plagt mich dabei ein ungutes Gefühl. Warum werden ausgerechnet diejenigen für den Widerstand gegen Hitler geehrt, die zuvor den Zweiten Weltkrieg fünf Jahre lang an vorderster Stelle mit betrieben haben, viele von ihnen Jahre lang flammende Nazis? Waren all die Generäle der Wehrmacht nur verführt, für falsche Ziele missbraucht – und haben sie nur gegen inneren Widerstand mit- und dabei große Karriere gemacht? Und was ist mit den vielen Tausend die schon 1933 und davor im Widerstand gegen Hitler waren, dafür ins KZ und in den Tod gingen? Ach nein, das sind die Falschen, das waren ja Kommunisten, die wollen wir nicht. Am 20. Juli ehrt sich das Militär selbst für den Bombenanschlag auf Hitler. Wie gesagt, seit vielen Jahren ein ganz übles Gefühl, wenn es um den 20. Juli 1944 geht.

Ruth Hoffmann. (Foto: Valeska Achenbach)

Jetzt endlich ist ein Buch erschienen, das alle Zusammenhänge aufklärt, über alle Jahre, in allen Details und das erreicht, was ein gutes Sachbuch erreichen soll: Es schafft Klarheit. Das Buch hat den Titel „Das deutsche Alibi“, geschrieben von der Hamburger Journalistin und Historikerin Ruth Hoffmann. Warum wird das „Stauffenberg-Attentat“ so verklärt und zu welchen Zwecken politisch instrumentalisiert? Heute sind die Verschwörer als Helden anerkannt, die das Wohl des Landes vor ihr eigenes Leben setzten und grauenhaft bestraft wurden. Diese Auffassung gab es aber keineswegs immer und auch nicht überall. Viele Jahre in der neuen Bundesrepublik galten sie unverändert als Landesverräter – die Todesurteile der Nazis hatten weiter Bestand. Der Rückblick in die 1950er Jahre lässt einen schaudern. Bundestagsabgeordnete, die völlig ungeniert mit Nazi-Sprüchen in der Öffentlichkeit erschienen, dafür freigesprochen wurden von ehemaligen NSDAP-Parteigenossen, die bruchlos weiter Richter bleiben konnten.

Warum wurde der Widerstand gegen Hitler im ersten Jahrzehnt nach Kriegsende in keiner Weise gewürdigt? Die Antwort, so klar und plausibel wie das ganze Buch: „Man hätte sich ja eingestehen müssen, dass man zwischen 1933 und 1945 auch anders hätte handeln können“, schreibt Ruth Hoffmann. In diesen Spiegel wollte man lieber nicht schauen. 1951 verurteilten immer noch ein Drittel der Westdeutschen das Attentat, die „nazistische Denkgewöhnung“ hatte weiter Bestand. Hinterbliebenen der am versuchten Umsturz Beteiligten wurde mit haarsträubenden Begründungen die Rente verweigert. So beschied die Oberfinanzdirektion München der Witwe des Mitverschwörers Eduard Wagner: Der habe ja gar kein nationalsozialistisches Unrecht erfahren, „denn er hat sich vielmehr selbst erschossen und ein evtl. nationalsozialistisches Unrecht nicht abgewartet.“ Urteil: Witwenrente abgelehnt. (Wie auch von Anderen anzunehmen, hat er sich erschossen, damit er unter der Folter der Gestapo keine Mitverschwörer preisgibt). Ganz anders der Umgang mit der Witwe des Präsidenten des Volksgerichtshofs: Marion Freisler bekam anstandslos ihre Rente und ab 1974 zusätzlich einen Schadensausgleich, weil ihr Mann, der so viele Widerständler in den Tod geschickt hat, nach dem Krieg ja in der Privatwirtschaft Karriere hätte machen können.

Verräter werden Helden

Erst mit der Bewegung der 68er kam es zur anderen Einschätzung des 20. Juli. Fiete Schulze spielt dabei eine Rolle, Kommunist und Nieter auf einer Hamburger Schiffswerft. Bei Veranstaltungen für Arbeiter hielt er mitreißende Reden gegen den aufkommenden Terror von SA und SS. Im April 1933 wurde er festgenommen und nach zwei Jahren Einzelhaft am 6. Juni 1935 in Hamburg „mit dem Handbeil“ enthauptet. Seine Zunge sei gefährlicher als Kugeln, so die Anklage „und es wäre eine schreiende Ungerechtigkeit, wenn dieser Mann mit dem Leben davonkäme.“ Von Fiete Schulze erfuhren die Deutschen aber nur, weil Bundespräsident Gustav Heinemann ihn in seiner Rede zum Jahrestag 1969 hervorhob.

Mit und mit waren aus den Verrätern Helden geworden – erst für das Bild der Deutschen im Ausland dann für das Bild, das die demokratischen Deutschen von sich selbst haben wollten. Sehr aufschlussreich und im Buch mit Akribie belegt: Wer hat die Reden gehalten zum Festakt des 20. Juli, was genau wurde gesagt, was war dann quasi die Stauffenberg-Parole des Jahres? 1974 gab es von Hans Filbinger die „üblichen Erlösungs- und Entlastungsfloskeln.“ Den Verschwörern sei es um „die Reinigung des deutschen Namens“ gegangen, der 20. Juli 1944 sei eine „Rettungstat für das deutsche Gewissen vor der Geschichte“ gewesen. Will sagen: Jetzt reicht es aber mal mit Vergangenheitsbewältigung (Filbinger hatte noch 1945 als Marinerichter Todesurteile ausgesprochen). Herbert Wehner dagegen durfte nicht zum 20. Juli sprechen, er war ja vor den Nazis nach Moskau geflohen und „Widerstand ist nicht gleich Widerstand“. Der 20. Juli 1944 habe in einer anderen geistigen Tradition gestanden, so Ludwig von Stauffenberg, CSU-Bundestagsabgeordneter; mit einer Rede von Wehner bekäme der 20. Juli eine falsche politische Färbung.

Und was war dann die richtige politische Färbung? Die Heroisierung von Stauffenberg und den Mitverschwörern aus Adel und Militär hatte einen ganz plausiblen Zweck: „So konnten die alten Eliten rehabilitiert werden.“ Und mit ihnen gleich alle Deutschen, alle von Hitler verführt und doch selbst von einer Verbrecherbande tyrannisiert.

Enorme Detailschärfe

Aus westdeutscher Sicht verdiente allein der sogenannte antitotalitäre Widerstand Anerkennung – wer als Sozialist oder Kommunist gegen Hitler gekämpft hatte, war der Ehrung nicht würdig. In der DDR sah man es vollkommen anders: „Aus Sicht der DDR war der 20. Juli der Aufstand einer reaktionären, imperialistischen und sowjetfeindlichen Elite, die angesichts der drohenden Kriegsniederlage versucht hatte, ihre Haut zu retten.“ Was das Buch „Das deutsche Alibi“ von der ersten bis zur letzten Seite auszeichnet: die enorme Detailschärfe, belegt mit Briefen, Urteilen, Zitaten, protokollierten Gesprächen. Greta Kuckhoff, die zur Roten Kapelle gehört und nur mit Glück überlegt hatte, warnte schon 1947, dass durch die Konzentration auf das Attentat all jene in Vergessenheit gerieten, „die sich nicht erst dann für den Widerstand entschieden, nachdem Hitlers Pläne in einen erfolglosen Krieg geführt hatten.“

Die Rote Kapelle, bereits 1942 ein Netzwerk des Widerstands von Männern und Frauen in hohen staatlichen Positionen hatte allerdings den Makel, dass sie für die Alliierten Spionage betrieben. An der Front gegen die Sowjets kämpfen: ehrenvoll. Ihnen militärische Informationen zutragen: Verrat. Nein, die wollen wir auch nicht. Und was war mit der späteren DDR-Elite? Auch sie hatten nicht erst 1944 gemerkt, dass Hitler und die NSDAP Verbrecher sind, sondern bereits 20 Jahre früher und flohen nach Moskau. Also: schlechter Widerstand, noch in den 1990 Jahren protestierten Nachfahren von Graf Stauffenberg dagegen, dass Bilder von Walter Ulbricht und Wilhelm Pieck in derselben Ausstellung gezeigt wurden. Vom ganzen linken Widerstand wollte man nichts wissen. Gerade der zeigte aber doch, dass man bereits in den 1920 Jahren und mehr noch in den 30ern gegen Hitler sein konnte, es gab solche Menschen.

Ein praktischer Nationalheiliger

Auch Wilhelm Leuschner gehörte dazu, damals SPD-Innenminister von Hessen und sein Mitarbeiter Carlo Mierendorff. Dieser stimmte 1933 als Abgeordneter im Reichstag gegen das Ermächtigungsgesetz, wurde verprügelt uns verhaftet, ebenso Leuschner. Claus von Stauffenberg hingegen hatte, wie viele Offizierskollegen, in dieser Zeit den Aufstieg Hitlers begrüßt, sah den Machtwechsel als Chance für ein großes Deutsches Reich. Auch der spätere Verschwörer Henning von Tresckow warb damals für die Wahl der NSDAP, und war „beseelt von der nationalen Aufbruchstimmung“. Als diese sich schließlich zum aktiven Widerstand entschlossen, hatten Leuschner, Mierendorf und viele andere wegen ihres Kampfes gegen Hitler schon Jahre in Gefängnissen und Konzentrationslagern verbracht. Das ist eine weitere Stärke des Buchs: Es stellt Lebensläufe nebeneinander: Was haben die Menschen zu bestimmten Zeiten in der Diktatur gemacht, wie war denn ihre Position, als es mit der Diktatur noch aufwärts ging? Mal so gefragt: Wenn Hitler noch 1944 siegreich im Krieg gewesen wäre, hätte es das Attentat dann gegeben?

Und heute: Ein Nationalheiliger wie Stauffenberg ist für ein ehemaliges Täterland doch praktisch: In welcher Tradition steht die Bundeswehr heute? Stauffenberg natürlich. Was sind die tiefen demokratischen Wurzeln unseres Landes? Klarer Fall, Stauffenberg. Der war in schwerer Zeit der bessere Deutsche, hat sein Leben dafür gegeben und Hand aufs Herz: Heute sind wir doch alle Stauffenberg.

Anders als diese Besprechung ist „Das deutsche Alibi“ nie polemisch, reiht Fakten an Fakten, Zitat an Zitat. So entsteht rund um den 20. Juli ein politisches und gesellschaftliches Bild erst des Deutschen Reiches, dann des Großdeutschen Reiches, dann der beiden Deutschlands und schließlich der heutigen Bundesrepublik. Wir besprechen an dieser Stelle regelmäßig aktuelle politische Literatur. Darunter gute und sehr gute Bücher – dieses hier ist herausragend.

P.S.: Am 20. Juli 2024, zum 80. Jahrestag des Stauffenberg-Attentats, fand in Berlin eine große Gedenkfeier statt. Hier kann man sie vollständig sehen:

Mein Tipp: Erst das Buch lesen, dann das aktuelle militärische Täterä ansehen. So sieht man klarer.

„Das deutsche Alibi Mythos ‚Stauffenberg-Attentat‘ – wie der 20. Juli 1944 verklärt und politisch instrumentalisiert wird“ von Ruth Hoffmann, 400 Seiten, 24 Euro, ISBN 978-3-442-31722-6, Verlag Goldmann, 2024

Blick ins Buch

https://www.bic-media.com/mobile/mobileWidget-jqm1.4.html?isbn=9783442317226

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