Filmreifen Roman vorgestellt
von Jörg-Peter Schmidt
Der Buchpreisträger Tonio Schachinger aus Österreich las jetzt in Gießen aus seinem in Wien spielenden Erfolgsroman „Echtzeitalter“ vor begeistertem Publikum. Da der Veranstaltungsort (ein Hörsaal der Technischen Hochschule) das ehemalige Kino Roxy war, mag manchen der rund 260 Zuhörerinnen und Zuhörer der Gedanke gekommen sein: Dieser Bestseller bietet sich an, verfilmt zu werden.Es geht um ein Elite-Gymnasium
In der Tat wäre der Stoff des im Rowohlt-Verlag erschienenen Romans eine prima Grundlage für einen Spielfilm, der mit Songs, die gleich ins Ohr gehen, untermalt werden könnte. Aber worum geht es denn in der Geschichte, die der Autor so toll erzählt, dass sie viele Literaturfreunde verschiedener Generationen gleichermaßen anturnt? Die Story dreht sich um ein Wiener Gymnasium, in der die Kinder vorwiegend von Großkopferten-Eltern auf ihre Berufskariere vorbereitet werden. Diese Karriere ist meistens durch den Reichtum der Eltern geebnet (Traditionen reicher Familien müssen schließlich gewahrt werden).
Es lag nahe, dass man sich während der gemeinsam vom Literarischen Zentrum Gießen (LZG) sowie der Technischen Hochschule Mittelhessen ausgerichteten und von Felix Luckau moderierten Lesung an die eigene Schulzeit erinnerte, auch wenn man kein Elitegymnasium besucht hat: Man hat sympathische, aber auch vielleicht nicht so liebenswerte Lehrerinnen oder Lehrer erlebt. Tonio Schachinger (Vater Diplomat, Mutter Künstlerin) hat übrigens das Wiener Gymnasium Theresianum absolviert und studierte in der österreichischen Bundeshauptstadt unter anderem Germanistik und Romanistik.
Eingangsszene: Schlossidylle in Wien
Auch die Eingangsszene, mit der der Autor seine Lesung im gemütlich eingerichteten früheren traditionsreichen Kino begann, würde sich für eine Verfilmung eignen: Tag der offenen Tür an der Elite-Schule. Da ist die anheimelnde Kulisse eines Schlosses mit der schönbrunnergelben Fassade, da sind die großzügig angelegten Sport- und Wiesenanlagen, da ist scheinbare Idylle. Da ist aber auch eine Mauer, die ahnen lässt: Irgendetwas an diesem anziehenden Flair scheint nicht stimmig…
Lehrertyrann Dolinar demütigt die Schüler
Und so ist es auch: Till, der die Hauptfigur des Romans ist, muss in seiner Klasse schon sehr bald erfahren, dass die Schüler von einem hyperautoritären Klassenlehrer namens Dolinar seelisch gequält werden. Dieser Psychopath hat sich im Laufe der Jahre unzählige muffige Prinzipien aus früheren Jahrhunderten zu eigen gemacht, die jegliche Freiheit Jugendlicher im Keim ersticken.
Schachinger stellte in Gießen diesen knöchernen Bürokraten, der missliebige Schüler vor der gesamten Klasse demütigt, vor. Ab Seite 13 lernt man ihn in dem Roman kennen. Es gibt einen dicken Katalog an Dolinar-Strafen: „Vergehen werden mit Aufsätzen geahndet. 300 Wörter Über das Fußballspielen in geschlossenen Räumen, 250 Wörter Wie man richtig grüßt, 450 Wörter Über das Öffnen und Schließen von Türen.. Mit den Jahren steigert sich die Wortanzahl kontinuierlich…“ Während man das alles liest, packt einen die Wut, weil die Schulleitung diesen Antipädagogen gewähren lässt.
Das Gegenmittel zu Dolinar
Als Regisseur seiner Romanhandlung musste sich Tonio Schachinger überlegen: Was kann Till tun, um nicht durch den Irrsinn dieses Lehrers seelisch zugrunde zu gehen? Till hat ein Gegenmittel zu Dolinar gefunden: In seiner Freizeit begibt er sich in die Welt der Computerspiele, wird immer besser vor allem beim Echtzeitstrategiespiel „Age of Empire II“, steigt hier sogar in die vorderen Ränge der Spielerinnen und auf.
Computerspiele prägen den Roman “Echtzeitalter“. Sogar Tills Mutter zockt, aber nur ein bisschen (Sie entscheidet sich für „Candy Chrush“, bei dem es um Süßigkeiten und Hindernisse geht).
Schafft Till letztlich sein Abitur trotz Dolinar-Terror?
Schachinger, der sich im Gespräch mit Felix Luckau (LZG) und dem Publikum als humorvoll, sympathisch und schlagfertig erwies, umrahmt seine Geschichte um diesem Schulalptraum mit allerlei Beschreibung von Österreichischem, den Sonderlingen, den Wahnsinnigen, den Liebenswerten, den Politikerinnen und Politikern. Über Sebastian Kurz, den ehemaligen Bundeskanzler, wird kontrovers und heftig diskutiert. Toni Polster, der Kultfußballer, wird erwähnt. Es wird auch drüber nachgedacht, wie die Österreicher die Deutschen sehen.
Und Till wird nach und nach erwachsener, verliebt sich, ist auf dem dornigen Weg zum möglichen Abitur und wird Dolinar als Klassenvorstand nicht los. Das alles beschreibt der Schriftsteller in einer Mischung aus Ernsthaftigkeit (Tills Vater stirbt viel zu früh), an passenden Stellen mit Witz, Ironie oder Sarkasmus. Ob Till das Abitur trotz Dolinar wohl schafft? Ob Till früher oder später das Gymnasium verlässt: „Schoo’l’s out“ von Alice Cooper würde als Backgroundrhythmus beim Finale passen…
„Echtzeitalter“ ist bei Rowohlt erschienen und kostet 24 Euro.
Titelbild: Toni Schachinger signierte in Gießen viele seiner Bücher. Die Schlange der Literaturfreunde mit Schachinger-Büchern im ehemaligen Roxy war lang. (Fotos: Jörg-Peter Schmidt)