Abschaffen!
Von Dietrich Jörn Weder
Der deutsche Staat hat durch ein Gerichtsurteil plötzlich Schwierigkeiten bekommen, nötige Ausgaben zu finanzieren. Wieso? Jeder Unternehmer, der mit der Zeit Schritt halten will, nimmt für größere Vorhaben, wenn nötig, Schulden auf. Und der Bund als größter Investor des Landes sollte eigentlich nicht daran gehindert sein, Gleiches zu tun. Er ist er aber. Die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse legt der Regierung für die Aufnahme von Krediten Fesseln an. Nur in „außergewöhnlichen Notsituationen“ darf sie sich von diesen befreien, und auch das seit Neuem nur, um ausschließlich dieser Not abzuhelfen.Investitionen auf Kredit nicht behindern
Als die Corona-Epidemie uns in den Bann schlug, hat sich die Bundesregierung zum ersten Mal mit der Notklausel ordentlich viel Leihgeld beschafft. Davon ist ein großer Batzen übriggeblieben, den sie aber nicht für den Klimaschutz verwenden darf. Das hat ihr das Bundesverfassungsgericht mit einer hochpolitischen Auslegung des einschlägigen Artikels 115 untersagt. Damit sind jeder deutschen Bundesregierung die Hände für Aufnahme von Krediten noch enger gebunden.
Schuldenbremse auf die Schutthalde
Das gibt den alten Gegnern der Schuldenbremse ein neues Argument: In wirtschaftlich bewegten Zeiten müssten die Lenker des Staatsschiffs freie Hand haben, dem Auf und Ab gegenzusteuern, hatten sie schon 2009 bei der Einführung der Bremse gesagt. Mit dem Urteil des Verfassungsgerichtes wird dies noch schwieriger. Hätte die seinerzeitige Merkel-Regierung diese neue Komplikation – dazu noch Corona und den Ukraine-Krieg – vorausgesehen, hätte sie die Bremse erst gar nicht installiert, denke ich.
In ihrer jetzigen Form und Auslegung gehört die Kreditfessel in die historische Ablage. In jeder größeren Problemsituation steht sie vernünftigem Regierungshandeln im Wege. Der Ukraine mit Waffen helfen will auch die Opposition. Die Notwendigkeit, den Energiepreisschock für die Industrie abzufedern, ist auch nicht strittig. Aber muss man dafür jeweils eine „außergewöhnliche Notlage“ ausrufen und gerichtsfest begründen?
Nicht am Klimaschutz sparen
Nein! Die klimaschonende Umstellung unseres Wirtschaftens verlangt gewaltige Anstrengungen und Aufwendungen, und das noch über Jahre hinweg. So spricht alles dafür, die jahrzehntelang vernachlässigte Deutsche „Bummelbahn“ klimaverträglich auf die Reihe zu bringen. Dafür gemachte Schulden werden wir Ältere nicht mehr tilgen, aber unsere Kinder erben dafür eine sanierte, hochmoderne Bahn. Wenn Klimaschutz auf Kredit die Erderwärmung bremst, werden sie ebenfalls dafür dankbar sein.
Schuldzinsen bleiben tragbar
Für den Staatshaushalt gibt es tatsächlich nur zwei echte, quasi natürliche Schuldenbremsen: Erstens: Staatsanleihen finden nur noch zu unannehmbar hohen Zinsen Käufer, weil die Geldgeber an der Bonität des deutschen Staats zu zweifeln beginnen. Das aber ist hier und heute ganz und gar nicht der Fall.
Zweitens: Die Belastung der öffentlichen Haushalte mit Zinszahlungen wird so hoch, dass sie für staatliche Investitionen keinen Spielraum mehr lässt. Mit einem Anteil von zuletzt nur 3,2 Prozent der Staatsausgaben sind die Zinsausgaben aber auf einem sehr niedrigen, mithin gut verkraftbarem Niveau. Auch da kein Grund zur Sorge!
Verantwortung nicht an Karlsruhe abgeben
Also, sage ich zusammen mit anderen Kommentatoren , weg mit dem juristischen Plunder des Grundgesetzartikels 115.Was eine vorsorgende und gleichwohl auf lange Sicht gesunde Haushaltspolitik ist, sollen allein die politischen Kräfte frei und jeweils neu bestimmen. Oder will Berlin das Karlsruhe überlassen?
P.S. Die Finanzierungsprobleme des Bundeshaushaltes 2024 wären ein guter, ja zwingender Anlass, sich von einer Ausgabenpolitik der leichten Hand zu verabschieden und zu schauen, welche der fiskalischen Wohltaten der letzten beiden Jahre man zusammenstreichen kann. Denn es wird mit und ohne Kredit enger werden.
Dr. rer. pol. Dietrich Jörn Weder war Jahrzehnte lang leitender Umweltredakteur und Fernsehkommentator des Hessischen Rundfunks. Seit seiner Pensionierung arbeitet er als freier Autor für Print- und Audiomedien. Er betreibt den Blog Wachposten Frankfurt, auf dem er Kommentare zu aktuellen Themen veröffentlicht. Wachposten