„Besser ernährt als Menschen“
Von Michael Schlag
Würden die Menschen essen wie die Schweine in unseren Ställen, dann gäbe es weniger Übergewicht, weniger Mangelernährung und weniger ernährungsbedingte Krankheiten; weniger Lebensmittel würden vergeudet und zum guten Schluss würde auch die Umwelt geschont. „Tiere ernähren sich im Grunde gesünder als Menschen“, sagt Prof. Klaus Eder vom Institut für Tierernährung und Ernährungsphysiologie der Universität Gießen.
Verantwortungsvoll ernährte Mastschweine
Ein Mastschwein ist in der heutigen Haltung nicht nur besser, sondern auch verantwortungsvoller ernährt als der durchschnittliche Bürger in Deutschland – für Männer trifft das noch mehr zu als für Frauen. Soll das nur eine nicht ganz ernst zu nehmende Provokation sein? Keineswegs. Prof. Klaus Eder lieferte kürzlich im Seminar Nutztierwissenschaften die wissenschaftlichen Belege für die These.
Wer entscheidet, was wir essen? Selbstverständlich entscheidet der Mensch selbst, was er isst, und in der Wohlstandsgesellschaft stehen ihm alle Möglichkeiten offen. Vorrangig lässt sich der Mensch dabei von den „sensorischen Eigenschaften“ der Lebensmittel leiten: Er isst, was ihm am besten schmeckt. Und so nimmt das Verhängnis seinen Lauf. „Wir haben evolutionsbedingt eine Vorliebe für Zucker, denn das Gehirn braucht Zucker“, sagt Eder. Auch die Vorliebe für Salz „war überlebenswichtig“, ebenso, wie Energiereserven in Form von Fettdepots für Notzeiten anzulegen. „Und jetzt sind wir in der Falle,“ sagt der Experte für Ernährungsphysiologie. Die Evolution konnte nämlich nicht so schnell auf das allgegenwärtige Überangebot reagieren, sondern ist unverändert auf Mangel eingestellt, also sagt sie mir weiterhin: „nimm Zucker“. An diese Stelle müsste jetzt der Wille einschreiten, und mir sagen: „Du brauchst keinen.“ Sonst baut der Körper immer weiter Energiereserven auf, obwohl der Kühlschrank voll ist. Die Folgen sind in der Nationalen Verzehrstudie nachzulesen: Im Durchschnitt sind heute 66 % der Männer und 52 % der Frauen jenseits vom Normalgewicht (definiert als Body-Mass-Index BMI unter 25). „Das ist das Ergebnis unserer selbst gewählten Nahrung“ sagt Prof. Eder, „Normalgewicht stellt mittlerweile die Ausnahme dar.“
Es wird auch bedacht, was ausgeschieden wird
Eigentlich könnte man es ja besser wissen, schließlich steht auf jeder Lebensmittelverpackung, was drin ist. Die Angaben zu Inhalt und Energiegehalt von Produkten sagen aber nur die halbe Wahrheit, denn wie gut der Organismus die Nährstoffe tatsächlich verwertet, „findet bei Zufuhrempfehlungen wenig Beachtung.“ Und obwohl alle Welt über ökologische Ernährung redet, sieht Klaus Eder die ökologischen Aspekte in der menschlichen Ernährung zu wenig beachtet. Was gemeint ist: Wie viel der aufgenommenen Nahrung wird ungenutzt wieder ausgeschieden und belastet damit die Umwelt? „Darüber machen wir uns in der Nutztierernährung ständig Gedanken“, sagt Prof. Eder, in der Humanernährung dagegen spiele es überhaupt keine Rolle. „Fragen Sie einen Humanernährer einmal nach der Stickstoff- oder Phosphorausscheidung, darüber hat er sich noch nie Gedanken gemacht.“
Und jetzt zum Vergleich das „Ernährungsregime“ der Nutztiere in moderner Haltung: „Wir berechnen zuerst den Bedarf“, sagt Eder, abhängig von Spezies, Lebendmasse, Alter und Wachstum. Dieser Bedarf an Energie und Nährstoffen ist gut erforscht, ebenso deren Verwertung im Organismus. Zeigen sich in der Futtermittelration Defizite von einzelnen Nährstoffen, wird das Futter mit natürlichen oder synthetischen Zusätzen ergänzt, wie Vitamine, Mineralstoffe oder Enzyme, und „Futtermittelwerke, die Alleinfutter herstellen, betreiben das in Perfektion“. Dabei werden auch die Umweltaspekte der Fütterung optimiert, die Tiere sollen die Nährstoffe ja zum Wachstum und zur Produktion von Milch und Eiern verwenden, und nicht ungenutzt ausscheiden.
Eder macht es am Beispiel der Eiweißversorgung deutlich: Eine Mischung von Getreide und Soja enthält die Aminosäuren in einem natürlichen Verhältnis, das aber nicht den Bedarf von Aminosäuren beim Schwein trifft. Damit kein Mangel entsteht, muss man den Eiweißanteil in der Ration so hoch setzen, dass auch die letzte Aminosäure 100 % des Bedarfs deckt, in der Schweineernährung ist das die Aminosäure Lysin. Deshalb müsste man insgesamt eine Ration mit 18 % Gesamtprotein füttern, was allerdings bedeutet: Fast alle anderen Aminosäuren sind deutlich zu hoch dosiert. Dieser Überschuss wird in der Leber abgebaut und belastet letztlich als Harnstoff die Umwelt. In der Schweineernährung macht man es deshalb anders: Man ergänzt die Ration an den Mangelstellen durch synthetische Aminosäuren zu einem Idealprotein, das weder Lücken noch Überversorgung zulässt. Die „Supplementierung“ mit den essenziellen Aminosäuren Lysin, Methionin, Cystin und Threonin sorgt dafür, dass auch alle anderen Aminosäuren vollständig ausgenutzt werden. Das Aminosäurenverhältnis ist jetzt im Gleichgewicht und man kann den Gehalt an Rohprotein auf 14 % absenken. Das ist wirtschaftlich, schont die Umwelt und „funktioniert nur deshalb, weil wir den Bedarf an Aminosäuren so genau kennen.“ In der menschlichen Ernährung findet diese Überlegung aber gar nicht statt. Wenn überhaupt, rechnet man nur mit dem Gesamtprotein. Was aber solle man sich vorstellen unter einem Begriff wie „good quality protein?“ (Zitat aus einer Ernährungsempfehlung). „Da stellen sich einem Tierernährer die Haare zu Berge“, sagt Eder, „es ist nicht einmal die Verdaulichkeit berechnet“, vom Aminosäuremuster ganz zu schweigen.
Bei Menschen ist Mangelernährung verbreitet
Es geht aber nicht nur um Überernährung. Auf der anderen Seite nämlich hinterlässt die übliche menschliche Ernährung Mangel bei vielen Mikronährstoffen, obwohl „die meisten Menschen denken, sie sind gut versorgt,“ sagt Eder. Besonders weit verbreitet ist der Mangel bei Folsäure, Vitamin D, Kalzium und Eisen. Geradezu „ein Problemfall“ sei die Versorgung mit Vitamin D: 80 % der Bevölkerung (Nationale Verzehrstudie) hat zu niedrige Vitamin D – Werte im Blut, denn „die Zufuhr ist weit, weit unter dem Bedarf“. Und dann konkurrieren auch noch die Empfehlungen: Die Einen sagen „geht in die Sonne“ (zur körpereigenen Vitamin D Bildung), aber „die Hautärzte sagen: bloß nicht.“ Es bleibt die höhere Zufuhr über die Ernährung: Zu empfehlen wären täglich Matjeshering, Lachs und Sardinen mit wirklich hohen Gehalten von Vit. D; wogegen „in anderen Lebensmitteln, die als Vit. D reich gelten, sind die Werte gar nicht so hoch.“ Butter etwa hat nur ein Zehntel des Vit. D -Gehaltes von Lachs. Aber auch diese Werte sind nicht allgemeingültig, denn „das Körpergewicht hat Einfluss darauf, wie Vitamin D im Stoffwechsel verarbeitet wird“, die tatsächliche Wirkung ist individuell verschieden. „Wie gut haben wir es in der Tierernährung“, seufzt Ernährungsphysiologe Eder, „wir setzen das einfach zu“. Gegen „Supplementierung“ solcher Problemsubstanzen wäre auch in der menschlichen Ernährung nichts einzuwenden, findet Eder, durchgesetzt hat es sich bislang aber nur beim Jod. Die Ursache: In der Diskussion über Lebensmittelzusätze „drängen sich die Risiken in den Vordergrund“, so sei es schon bei der (eigentlich notwendigen) Supplementierung mit Folsäure gewesen, „und bei Vitamin D wird es wahrscheinlich auch so sein.“
Für Prof. Klaus Eder ist das Fazit eindeutig: „Die Ernährungskonzepte in der Tierernährung sind der praktischen Situation in der Humanernährung weit voraus.“ Dabei ist die Frage nach der idealen Ernährung so einfach zu beantworten. „Die ideale Ernährung ist eine bedarfsorientierte Ernährung, das trifft beim Menschen genau so zu wie beim Tier“. Bliebe nur noch eine Frage offen: Wie sähen die Schweine aus, wenn auch sie ungebremst im Aldi einkaufen dürften? Es besteht noch Forschungsbedarf.