Büchner-Preis 2023

Mit „Kruso“ in den Urlaub

Von Corinna Willführ

Für sein Gesamtwerk ist der Lyriker und Schriftsteller Lutz Seiler von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet worden. Er ist mit 50.000 Euro die höchst dotierte Anerkennung für literarisches Schaffen in Deutschland. Verliehen wird der Preis am 4. November 2023 im Staatstheater Darmstadt. Noch genug Zeit bis dahin, Seilers Bücher zu lesen.

Sehnsüchte und Hoffnungen

Auch wenn man nicht in den Urlaub fährt oder fliegt: Wer selten zum Lesen kommt, sollte seine freie Zeit für die Lektüre von Seilers Debütroman „Kruso“ nutzen, ausgezeichnet mit dem Deutschen Buchpreis (2014), oder von „Stern 111“, das den Preis der Leipziger Buchmesse 2020 erhielt.

Es ist kein romantischer Ort, an dem sich Edgar Bendler, genannt Ed, und Alexander Krusowitsch, genannt Kruso, kennenlernen. Ed hat im Sommer vor dem Mauerfall nach dem Tod seiner Freundin in der Küche des Lokals „Zum Klausner“ als Aushilfskraft einen Job gefunden. Kruso auch. Ihre Arbeit ist eintönig, eine Veränderung wie der Westen in weiter Ferne. „Zum Klausner“ ist auf der Insel Hiddensee. Beliebtes Ziel für Touristen, die abends wieder mit dem Schiff abreisen. Und Ort von „Schiffbrüchigen“ und Aussteiger, die um das Lokal gestrandet sind. Sie haben Enttäuschungen und Verletzungen hinter sich, hegen noch Sehnsüchte und Hoffnungen.

Erfolgreicher Lyriker

Für dieses 2014 bei Suhrkamp erschienene Werk erhielt der in Gera in Ostthüringen aufgewachsene Lutz Seiler, Jahrgang 1963, neben dem Uwe-Johnson-Preis im selben Jahr seines Debüts aus Romanautor bereits den Deutschen Buchpreis. Sechs Jahre später zeichnete die Leipziger Buchmesse seinen Roman „Stern 111“ aus. Doch Romane sind nur ein Teil seines Schaffens, ist doch Lutz Seiler auch erfolgreicher Lyriker. Gerade die ungewöhnliche Kombination seines Schreibens überzeugte die Jury für den Georg-Büchner-Preis: „In Lutz Seiler ehrt die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung einen Autor, der mit klangvollen Gedichtbänden begann, von dort zum Erzählen fand, stets aber ein so klarer wie rätselhafter, dunkel leuchtender Lyriker bleibt, zuletzt mit „schrift für blinde riesen“.

Lutz Seiler hat es im Literaturbetrieb ganz nach oben geschafft. Im Kritikervotum wie bei den Leserinnen und Leser. „Kruso“ war ein Bestseller, wurde in mehr als 20 Sprachen übersetzt und verfilmt. „In die Wiege gelegt worden“, wie es gerne immer wieder heißt, war Seiler das Schreiben nicht. Er war nach seiner Ausbildung zum Baufachmann in der DDR Zimmermann. Erst in seiner Zeit in der Volksarmee fand er zur Literatur. Zu lesen, immer mehr zu lesen, ermunterte ihm zum Schreiben. Nach der Wende studierte Seiler Geschichte und Germanistik. Seit 1994 arbeitet er als freier Schriftsteller. Seit 1997 leitet er das literarische Programm des Peter-Huchel-Hauses im brandenburgischen Wilmenhorst. Wo der dreifache Vater mit seiner Familie und seiner schwedischen Frau neben Stockholm auch sein Domizil hat.

Sich selbst beweisen

Viel Kraft und Zeit koste ihn sein Schreiben, hat der Büchner-Preisträger 2023 in Interviews immer wieder betont. Mitnichten sei es ein „Selbstläufer“ die Texte zu Papier zu bringen. Mit jedem Buch geht es ihm darum, „sich selbst zu beweisen“. Das gelingt ihm immer wieder neu und wohl auch aufs Beste: Denn vor dem Georg-Büchner-Preis ist Lutz Seiler 2023 bereits mit dem Bertolt-Brecht-Preis und dem Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung und dem Berliner Literaturpreis ausgezeichnet worden. Zudem war er bereits Poetik-Professor an der Universität Bamberg. Nicht zu vergessen seine Stipendien, die ihn nach Los Angeles und in die Villa Massimo nach Rom brachten.

Man darf auf die Rede von Lutz Seiler zur Verleihung des Georg-Büchner-Preises gespannt sein, wie der so vielfach ausgezeichnete Autor im November in Darmstadt die Tatsache sieht, dass er es immer wieder auf das Siegerpodest der Literaturkritiker schafft – und damit, wie er es sieht, wie es um das literarische Schaffen in Deutschland aussieht. Nicht zuletzt, das junger Autorinnen und Autoren.

Die bisherigen Preisträger

Der Büchner-Preis wurde bislang 72 Mal vergeben, darunter zwölfmal an eine Frau. 1951 Gottfried Benn, 1952 nicht vergeben, 1953 Ernst Kreuder, 1954 Martin Kessel, 1955 Marie Luise Kaschnitz, 1956 Karl Krolow, 1957 Erich Kästner, 1958 Max Frisch , 1959 Günter Eich, 1960 Paul Celan, 1961 Hans Erich Nossack, 1962 Wolfgang Koeppen, 1963 Hans Magnus Enzensberger, 1964, Ingeborg Bachmann, 1965 Günter Grass, 1966 Wolfgang Hildesheimer, 1967 Heinrich Böll, 1968 Golo Mann, 1969 Helmut Heißenbüttel, 1970 Thomas Bernhard, 1971 Uwe Johnson, 1972 Elias Canetti, 1973 Peter Handke (Handke gab das Preisgeld 1999 zurück), 1974 Hermann Kesten, 1975 Manès Sperber, 1976 Heinz Piontek, 1977 Reiner Kunze, 1978 Hermann Lenz, 1979 Ernst Meister, 1980 Christa Wolf, 1981 Martin Walser, 1982 Peter Weiss, 1983 Wolfdietrich Schnurre, 1984 Ernst Jandl, 1985 Heiner Müller, 1986 Friedrich Dürrenmatt, 1987 Erich Fried, 1988 Albert Drach, 1989 Botho Strauß, 1990 Tankred Dorst, 1991 Wolf Biermann, 1992 George Tabori, 1993 Peter Rühmkorf, 1994 Adolf Muschg, 1995 Durs Grünbein, 1996 Sarah Kirsch, 1997 H. C. Artmann, 1998 Elfriede Jelinek, 1999 Arnold Stadler, 2000 Volker Braun, 2001 Friederike Mayröcker, 2002 Wolfgang Hilbig, 2003 Alexander Kluge, 2004 Wilhelm Genazino, 2005 Brigitte Kronauer, 2006 Oskar Pastior, 2007 Martin Mosebach, 2008 Josef Winkler, 2009 Walter Kappacher, 2010 Reinhard Jirgl, 2011 Friedrich Christian Delius, 2012 Felicitas Hoppe, 2013 Sibylle Lewitscharoff, 2014 Jürgen Becker, 2015 Rainald Goetz, 2016 Marcel Beyer, 2017 Jan Wagner, 2018 Terézia Mora, 2019 Lukas Bärfuss, 2020 Elke Erb, 2021 Clemens J. Setz, 2022 Emine Sevgi Özdamar, 2023 Lutz Seiler

Titelbild: Lutz Seiler. (Foto: Wikipedia/Amrei-Marie – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=35031238

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