35-Stunden-Woche

Der große Streik vor 40 Jahren

Von Bruno Rieb

Am 14. Mai 1984 begann der Streik für die 35-Stunden-Woche. Es war eine der bedeutendsten Tarifauseinandersetzungen in der Bundesrepublik, die weit über die normale Tarifpolitik hinausging und gesellschaftspolitische Dimensionen hatte. In Frankfurt wird am 40. Jahrestag an diesen Arbeitskampf erinnert.

Ein harter Kampf

Es waren die IG Metall und die IG Druck und Papier, die sich in den Kampf um die Arbeitszeitverkürzung warfen. „Der Streik begann am 14. Mai 1984 im Tarifgebiet Nordwürttemberg/Nordbaden, in Hessen eine Woche später. 57.500 Beschäftigte in 23 Betriegen legten die Arbeit nieder. Die Arbeitgeber reagierten mit Aussperrung. Zwischen dem 12. April und dem 5. Juli 1984 streikte auch die IG Druck und Papier für die 35-Stunden-Woche. Über Wochen hinweg erschienen keine Zeitungen“, heißt es in der Einladung zu der Gedenkveranstaltung in Frankfurt.

Es sei „der härteste Arbeitskampf in der Geschichte der IG Metall“ gewesen, erklärte Hans Mayr, der damalige Vorsitzende der Gewerkschaft. Mit der Durchsetzung der 40-Stunden-Woche und des arbeitsfreien Samstags schien seit den sechziger Jahren Ruhe in die Debatte um die Arbeitszeitverkürzung eingekehrt zu sein. Doch „angesichts der Zunahme der Arbeitslosigkeit seit Mitte der siebziger Jahre gewann die Frage der Arbeitszeitverkürzung eine neue Aktualität“, so Mayr. In seinen „Vorschlägen des DGB zur Wiederherstellung der Vollbeschäftigung“ aus dem Jahre 1977 forderte der Gewerkschaftsbund die Verkürzung der Arbeitszeit. Mayr: „In den siebziger Jahren hatte sich mehr und mehr gezeigt, dass die herkömmlichen Mittel antizyklischer Konjunkturpolitik allenfalls zu einer Abflachung der Zunahme der Arbeitslosigkeit, nicht aber zur Wirtschaftsbelebung und Vollbeschäftigung zu führen vermochten. Darüber hinaus wurde mehr und mehr deutlich, dass Hoffnungen auf ein Wirtschaftswachstum, das mittelfristig zur Vollbeschäftigung führen würde, illusionär waren.“ Es sei kein Zufall gewesen, dass die Forderung nach Verkürzung der Wochenarbeitszeit in der IG Metall besonders intensiv diskutiert und zum ausdrücklichen Bestandteil der tarifpolitischen Entschließung des Düsseldorfer Gewerkschaftstages 1977 wurde. Mit der Stahl-, der Werft- und der Elektroindustrie gab es in der IG Metall drei Branchen, die von der Wirtschaftskrise besonders stark betroffen waren.

Keine normale Tarifauseinandersetzung

Der Arbeitskampf war von der Dauer, dem Ablauf, der Qualität und den erzielten Ergebnissen keine „normale Tarifauseinandersetzung“, blickte der damalige Vorsitzende der IG Druck und Papier Erwin Ferlemann zurück. „Zunächst kann nicht bezweifelt werden, dass diese Auseinandersetzung auch politische Aspekte hatte, und zwar solche, die mit dem Ende des Arbeitskampfes nicht erledigt sind. Dieser Arbeitskampf war allerdings nicht deshalb politisch, weil, wie man in vielen Veröffentlichungen lesen konnte, die IG Druck und Papier ihn ‚politisiert‘ hätte, sondern weil die Frage der Arbeitszeitverkürzung über die tarifpolitische Seite hinaus gesellschaftspolitische Dimensionen hatte und weiterhin hat. Es ging vielmehr um die prinzipielle Frage, ob die Gewerkschaften weiterhin in wesentlichen Bereichen des Arbeitslebens eine Gestaltungsfunktion durch Tarifpolitik und damit eine Schutzfunktion für die Beschäftigten ausüben können, oder ob es gelänge, unter falschen Überschriften wie ‚Liberalisierung‘, ‚Erweiterung des persönlichen Freiheitsspielraums‘, ‚Selbstbestimmung über die eigene Arbeitszeit‘, alle schützenden und bindenden Ordnungen an den Arbeitsplätzen auszuhebeln und damit die Arbeitnehmer letztendlich wieder der ungehemmten Fremdbestimmung auszuliefern. In dieser Tarifrunde ist es uns, zumindest für die Druckindustrie, gelungen, einen Angriff der Unternehmer auf die Schutzfunktionen des Tarifvertrages zu stoppen – oder soll man besser sagen: zu unterbrechen?“, zog Ferlemann Bilanz.

Medien nicht gewerkschaftsfreundlich

Für die Unternehmer war dieser Arbeitskampf eine besondere Herausforderung und sie griffen zu ungewöhnlichen Mitteln: Der Arbeitnehmerverband der hessischen Metallindustrie zum Beispiel wetterte auf der Frankfurter Zeil per Megafon und Flugblättern gegen die 35-Stunden-Woche. Dabei hätten die Besitzer der Betriebe das gar nicht nötig gehabt: Sie hatten die Medien fest in der Hand. Wären die Gewerkschaften „den hohen Priestern der öffentlichen Meinung, den Kommentatoren in Presse, Funk und Fernsehen gefolgt, hätten sie die Verkürzung der Wochenarbeitszeit gar nicht erst auf die Tagesordnung der Tarifpolitik setzen, zumindest aber keinen Streik riskieren dürfen“, erinnert sich Hans-Jürgen Arlt, der Redakteur bei den Nürnberger Nachrichten gewesen war und damals Mitarbeiter der DGB-Bundespressestelle war. So wie immer sei das Echo der Medien auf den Arbeitskampf gewesen: „Die wenigen wohlwollenden Stimmen wurden übertönt vom großen Chor der Gewerkschaftskritiker und dieser wiederum wurde überschrien von den Vorwürfen der Gewerkschaftsgegner.“

In der Gedenkveranstaltung in Frankfurt wird mit Filmausschnitten und Musik an den Arbeitskampf erinnert und Akteure von heute diskutieren mit Zeitzeugen über die Bilanz und die Perspektiven des Kampfes um kürzere Arbeitszeiten. Die Teilnehmer sind der Frankfurter DGB-Vorsitzende Philipp Jacks, Michael Erhardt von der IG Metall Frankfurt, Christian Barthelmes vom Gesamtpersonalrat der Stadt Frankfurt, der ehemalige IG Metall-Bevollmächtigte Bernd Rübsamen, der ehemalige Frankfurter DGB-Vorsitzende Harald Fiedler, der einstige Betriebsrat der Frankfurter Rundschau Victor Kalla und die ehemalige Journalistin der Frankfurter Rundschau Jutta Roitsch. Manuel Campos von der IG Metall spielt Musik zum Arbeitskampf.

„40 Jahre Kampf um die 35-Stunden-Woche“, Dienstag, 14. Mai, 18 Uhr, Gewerkschaftshaus, Wilhelm-Leuschner-Straße 69-77, Frankfurt.

Ein Gedanke zu „35-Stunden-Woche“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert