Treibstoff der Zukunft kommt aus Mainz
Ein hoher Zaun mit Schiebetor, Empfangsgebäude, ein paar Industriehallen, Container und Aggregate – der Energiepark Mainz sieht ziemlich unscheinbar aus. Doch seit einem Jahr schreiben einige Konzerne und staatliche Unternehmen hier Industrie-Geschichte. Rund 17 Millionen Euro investierten sie, um die größte Power-to-Gas-Anlage der Welt zu betreiben.
Strom wird Wasserstoff
Wenn der Wind kräftig weht und die Sonne scheint, fällt jede Menge überflüssiger Strom an. Der Strompreis dreht an der Börse dann ins Minus, und die großen Windmasten werden ausgeschaltet, damit sie das Netz nicht überlasten. Im Jahr 2014 fielen sie für rund 4000 Stunden aus, berichtet Martin Kopp seinen Besuchern im Energiepark Mainz. Die Abschalt-Kosten und die Entschädigung für die Stromproduzenten zahlen alle Verbraucher. Eine Viertelmilliarde kostete sie diese Praxis im vorletzten Jahr. Martin Kopp sagt: „Es hat keiner etwas davon, wenn Windkraftanlagen abgeregelt werden.“
Es geht auch anders. Auf der windigen Höhe zehn Kilometer südlich des Mainzer Stadtzentrums betreiben der Chemiegase-Produzent Linde, der Technologie-Konzern Siemens, das Überlandwerk Groß-Gerau (eine Tochterfirma der Stadtwerke Mainz) und die Hochschule Rhein-Main seit Juli 2015 die weltgrößte Versuchsanlage zur Herstellung von Wasserstoff aus überschüssigem Windstrom. Die Hälfte der auf 17 Millionen Euro bezifferten Baukosten trägt der Bund. Wenn sich die Anlage bewährt, wird sie 2017 erweitert. Wenn nicht, droht ihr nach Silvester die Abschaltung.
Martin Kopp ist Doktorand der Hochschule Rhein-Main und führt eine Besuchergruppe der Mittelhessischen Energiegenossenschaft über das sonst menschenleere Versuchsgelände. Es braucht nur ein paar Computer, um die Anlage zu überwachen. Martin Kopp erklärt, was das Ganze soll: Sobald zu viel Strom im Netz ist, kann die Anlage binnen weniger Sekunden bis zu sechs Megawatt abnehmen und so das Netz stabilisieren. Mit dem geschenkten Strom betreibt der Energiepark drei große Elektroliseure – Anlagen zur Herstellung von Wasserstoff aus Leitungswasser. Das energiereiche Gas wird verdichtet und dann verkauft – es landet zum kleinen Teil im Erdgasnetz, außerdem an der einzigen Wasserstoff-Tankstelle des Rhein-Main-Gebiets in Frankfurt-Höchst und in den Chemiefabriken des Industrieparks Höchst.
Auf drei Arten kann der Energiepark Geld verdienen: mit der Abnahme von überschüssigem Strom, der Produktion und dem Verkauf von Wasserstoff – und mit der Einspeisung teuren Stroms ins Netz.
Der Strom für den Energiepark kommt von vier großen Windrädern, die die Stadtwerke Mainz schon lange in Sichtweite der Wasserstoff-Fabrik an der Eindhoven-Allee betreiben. Sie speisen bis zu acht Megawatt Ökostrom ins Netz. Doch wenn es zu viel davon gibt, „schalten wir uns als Verbraucher ein“, erklärt Martin Kopp. Schnelligkeit ist dabei Trumpf. „In fünf Minuten können wir auf volle Leistung gehen“, sagt Kopp stolz. Pro Sekunde lassen sich die Stromabnehmer um 200 Kilowatt auf- oder abregeln. Die Elektroliseure werden aber nur dann angeworfen, wenn der Börsenpreis des gerade überschüssigen Stroms auf null Cent gesunken ist. Der Energiepark muss dann nur noch die Erneuerbare-Energien-Umlage dafür bezahlen – das macht etwa fünf Euro pro Megawattstunde (also tausend Kilowattstunden) aus. Jeder der drei Elektroliseure kann bis zu zwei Megawatt aufnehmen, um demineralisiertes Leitungswasser in seine Bestandteile zu zerlegen: Wasserstoff und Sauerstoff. Ein Elektroliseur des Typs „Silyzer 200“ produziert so bis zu 35 Kilo Wasserstoff pro Stunde. Der Rohstoff kommt aus dem Wasserhahn – maximal tausend Liter pro Stunde.
Ein kleiner Teil des Wasserstoffs geht ins Gasnetz
Den frisch produzierten Wasserstoff speichert man an der Eindhoven-Allee bei einem Druck von 80 bar in zwei Tanks mit jeweils 82 Kubikmetern Inhalt. Hinein passen 780 Kilo eiskalter Wasserstoff, der einen Energiegehalt von rund 26 Megawattstunden hat. Vom großen Tank aus kann man Lastwagen mit schmalen weißen Tankzellen befüllen, die bis zu 600 Kilo Wasserstoff auf die Straße bringen.
Nur zwei Prozent des im Energiepark produzierten Wasserstoffs speist man mit einem Druck von etwa sieben bar direkt ins Erdgasnetz ein. Denn zum Beispiel im Sommer werde nicht so viel Gas gebraucht, erklärt Martin Kopp. Und aus Sicherheitsgründen dürften heute nur maximal fünf Prozent der brennbaren Gase im Gasnetz aus dem leicht entzündlichen Wasserstoff bestehen. Obwohl technisch noch ein weit höherer Anteil möglich sei. Am Ein- speise-Punkt dürfen bis zu 15 Prozent des Gases im Netz aus Wasserstoff bestehen. Bei Bedarf schickt der Energiepark mit einem Druck von sechs bar bis zu tausend Kubikmeter pro Stunde in die direkt zu den Verbrauchern führenden Rohre. Der Verkaufspreis für ein Kilo Wasserstoff liegt bei etwa zehn Euro, heißt es im Energiepark.
Wasserstoff als Stromquelle
Mit dem brennbaren Gas kann man aber auch wieder Strom machen – und zwar dann, wenn er im Netz knapp und teuer ist. Zum Beispiel an düsteren, kalten Novembertagen. Dann leitet der Energiepark den Wasserstoff aus den beiden großen Tanks in Brennstoffzellen, die daraus wieder elektrische Energie machen. Aus dem Verkauf lassen sich dann je nach Börsenpreis 20 bis 60 Euro je Megawattstunde erlösen.
Momentan rechne sich das Ganze noch nicht, verrät Martin Kopp. Weil der Energiepark beim Einkauf des Überschuss-Stroms zwar von der Stromsteuer befreit sei, aber die komplette Erneuerbare-Energien-Umlage in Höhe von etwa sechs Cent je Kilowattstunde bezahlen müsse. Das mache etwa 30 Prozent der gesamten Kosten aus.
Mehr über die Versuchsanlage auf www.energiepark-mainz.de
Auch die Mittelhessische Energiegenossenschaft plante ein Wasserstoff-Projekt. Vorläufig musste sie es aber abblasen. Mehr darüber hier.