Gießener Initiative unterstützt Erkrankte
Tuberkulose ist für die meisten Menschen heute eine Krankheit aus vergangenen Zeiten. Kein Wunder, die medizinische Versorgung in Deutschland ist gut und damit auch die Heilungschance für Erkrankte. Allerdings ist die Therapie langwierig und fordert Disziplin bei der Medikamenteneinnahme. Um die Patientinnen und Patienten während der Therapie zu unterstützen, haben das medizinische „Schwerpunktcurriculum Global Health“ der Justus-Liebig-Universität Gießen und das Gesundheitsamt des Landkreises Gießen das Projekt „Together Against Tuberculosis“ ins Leben gerufen. Das Bild zeigt einen befallene Lunge (Foto: Wikipedia)
Erste Initiative dieser Art in Deutschland
„Gemeinsam wollen wir dazu beitragen, dass die Behandlung ein Erfolg wird“, wird Hans-Peter-Stock, Gesundheitsdezernent des Landkreises Gießen, in einer Pressemitteilung des Landratsamtes zitiert. „Together Against Tuberculosis“, auf Deutsch „Gemeinsam gegen Tuberkulose“, ist die erste kommunale Initiative dieser Art in Deutschland. Sie basiert auf der Strategie einer begleiteten Therapie. „Studentische Patinnen und Paten begleiten die Patienten und helfen ihnen bei Problemen, die zu einer Unterbrechung oder gar zum Abbruch der Therapie führen können“, erklärt Projektleiter PD Dr. Michael Knipper von Institut Geschichte der Medizin an der Justus-Liebig-Universität Gießen.
Damit verfolge man ein doppeltes Ziel, erläutert Dr. Jörg Bremer, Leiter des Gesundheitsamtes im Landkreis Gießen und Mitinitiator des Projekts. Für die Erkrankten erhöhe sich die Chance auf eine erfolgreiche Therapie und damit sinke auch die Ansteckungsgefahr in deren sozialem Umfeld. Gleichzeitig sammelten die Studierenden Erfahrung für den späteren Beruf. „Die zukünftigen Ärztinnen und Ärzte erleben das Gesundheitssystem aus Patientensicht und erkennen die Hürden für Erkrankte“, ergänzt Michael Knipper.
Funktionierenes Immunsystem schützt
Tuberkulose, kurz Tb oder Tbc, ist eine bakterielle Infektionskrankheit. Sie betrifft am häufigsten die Lunge, das Hauptsymptom ist dann Husten mit oder ohne Auswurf. Die Infektion erfolgt von Mensch zu Mensch über das Einatmen kleinster, erregerhaltiger Tröpfchen. „Tuberkulose ist aber nicht so ansteckend wie etwa Masern, eine Ansteckung setzt einen längeren und engen Kontakt mit einer infizierten Person voraus“, erklärt Bremer. Und nur zwei bis zehn Prozent der Menschen, die den Erreger in sich tragen, erkranken auch tatsächlich an Tuberkulose. „Ein normal funktionierendes Immunsystem schützt vor einer Erkrankung“, erklärt der Leiter des Gesundheitsamtes. Dem Gesundheitsamt werden alle Tbc-Erkrankungen gemeldet.
„In der Geschichte war Tbc in Deutschland ein großes Thema“, sagt Michael Knipper. Es gibt vielschichtige Gründe, die das Risiko einer Erkrankung erhöhen: Armut, schlechte Lebens- und Hygienebedingungen, fehlende medizinische Versorgung, das Zusammenleben vieler Menschen auf engem Raum, Alkohol- oder Drogensucht. „Traditionell erkranken vor allem Menschen aus sozialen Randgruppen an Tuberkulose“, erläutert Knipper. „Dank guter Lebensverhältnisse in Deutschland hatten wir lange Jahre nur wenige Tuberkulose-Erkrankungen“, ergänzt Jörg Bremer. Im Landkreis Gießen etwa 20 pro Jahr.
Fallzahlen gestiegen
International ist Tuberkulose vor allem in Ländern ein Problem, in denen Armut herrscht und es kein funktionierendes Gesundheitssystem gibt. Im Zuge der Flüchtlingsbewegung sind viele Menschen aus eben diesen Regionen nach Deutschland gekommen. „Sie waren oft monatelang und unter unvorstellbar schlimmen Bedingungen auf der Flucht“, erinnert Hans-Peter Stock. Bedingungen, die das Immunsystem schwächen und zu einer Tuberkulose-Erkrankung führen können. Dadurch sind die Fallzahlen in den vergangenen Jahren gestiegen. „2015 wurden uns 96 tbc-Erkrankungen gemeldet, 2016 waren es 76“, sagt Jörg Bremer. Nachvollziehbar, da es in Gießen eine Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete gibt. Wer hier ankommt, wird binnen 24 Stunden medizinisch untersucht. „Dazu gehören auch das Röntgen oder spezielle Tests, um Tbc zu erkennen“, erklärt Dr. Karin Schönberger, die im Regierungspräsidium Gießen diese Untersuchungen organisiert. „Wer krank ist, wird sofort behandelt.“
Behandelt wird zunächst mindestens drei Wochen im Krankenhaus, auch um zu verhindern, dass sich weitere Menschen anstecken. Wer aus der Klinik entlassen wird, ist nicht mehr ansteckend, muss aber noch mindestens ein halbes Jahr Medikamente einnehmen. In dieser Zeit finden regelmäßige Kontrolluntersuchungen statt. Der Übergang in die ambulante Behandlung und die Fortführung der Therapie sind entscheidend für die Heilung. „Bei einem Therapieabbruch können multiresistente Erreger entstehen, gegen die es dann keine wirksamen Medikamente gibt“, erläutert Bremer.
Ein Therapieabbruch muss also verhindert werden – genau da setzt das Projekt „Together Against Tuberculosis“ an. Das Konzept dafür haben zwei Studentinnen im Rahmen einer Hospitanz im Gesundheitsamt ausgearbeitet, ebenso ein Handbuch für zukünftige begleitende Studierende. Lena Scheffler, Medizinstudentin an der Justus-Liebig-Universität Gießen und Maxi Haslach, Medizinstudentin an der Philipps-Universität Marburg, betreuen außerdem eine Pilotpatientin.
Nebenwirkungen der Medikamente
Lena Scheffler erklärt den Ablauf der Therapiebegleitung: „Die erste Kontaktaufnahme findet schon im Krankenhaus statt. Es geht darum, Vertrauen herzustellen und eine soziale Beziehung aufzubauen.“ Denn die Teilnahme der Patientinnen und Patienten ist freiwillig. Nach dem Klinikaufenthalt finden dann regelmäßig Treffen und Gespräche statt. Dabei betreuen immer zwei Studierende eine Patientin oder einen Patientin, die sich gegenseitig unterstützen. Sie haben insbesondere die regelmäßige Einnahme der Medikamente und die Teilnahme an den Kontrolluntersuchungen im Blick. „Es geht darum, mögliche Schwierigkeiten in der Therapie frühzeitig zu erkennen und sich dieser Baustellen anzunehmen“, erläutert Maxi Haslach.
Ein Problem können Nebenwirkungen der Medikamente sein. Bei der Tuberkulose-Therapie kommt eine Kombination aus verschiedenen Medikamenten zum Einsatz, die täglich eingenommen werden müssen. Durch diesen Mix und die lange Einnahmedauer kommt es häufig zu Nebenwirkungen wie etwa Übelkeit. Bei Flüchtlingen kommt noch hinzu, dass sie sich im „Dschungel des Gesundheitssystems zurechtfinden müssen“, berichtet Maxi Haslach aus ihrer Erfahrung. „Termine beim Arzt vereinbaren, Medikamente in der Apotheke besorgen, einen Antrag stellen, um von der Zuzahlung zu den Medikamenten befreit zu werden – das ist schwierig, wenn man sich nicht damit auskennt.“
„Wir kümmern uns mit diesem Projekt um die Erkrankten“, fasst Michael Knipper zusammen. „Gerade die erkrankten Geflüchteten sind ein sehr verletzliche Menschgruppe, der wir uns besonders annehmen wollen. Sie müssen sich in einer fremden Kultur und Sprache zurechtfinden, haben oft Schreckliches erlebt und sind häufig in Sorge über zurückgelassene Familienmitglieder. In dieser Situation ist es schwer, sich auch noch mit einer schweren Erkrankung auseinanderzusetzen und eine langwierige Therapie einzuhalten.“
Positive Resonanz
„Together Against Tuberculosis“ sei eine ideale Unterstützung für erkrankte Flüchtlinge, sagt André Rieb von der Abteilung Flüchtlingsangelegenheiten, Erstaufnahmeeinrichtung und Integration des Regierungspräsidiums Gießen. „Uns ist es wichtig, dass die Erkrankten auch nach Verlassen der Ersteinrichtung weiter betreut werden. Dafür arbeiten wir Hand in Hand mit den Projektbeteiligten.“
Bei den Studierenden gibt es großes Interesse an dem Projekt. Zahlreiche Patinnen und Paten für die Betreuung weiterer Erkrankter haben sich gemeldet. „Die teilnehmenden Studierenden treffen sich regelmäßig zum Erfahrungsaustausch und um das Projekt weiterzuentwickeln“, erklärt Michael Knipper.
Prof. Dr. Joachim Kreuder, Studiendekan des Fachbereichs Medizin der Justus-Liebig-Universität Gießen plant, das Projekt in der Mediziner-Ausbildung zu verankern. „Das Zusammenspiel von medizinischer und psycho-sozialer Betreuung ist ein Modell, das sich auf andere Krankheiten übertragen lässt, die eine komplexe und langfristige Behandlung nötig machen, etwa auf Diabetes.“
Positive Resonanz gebe es auch aus nationalen und internationalen Fachkreisen, berichtet Jörg Bremer. „Das bestätigt uns und wir hoffen, damit ähnliche Initiativen in weiteren Kommunen anzustoßen.“