Redeverbot bei Bürgerversammlung
Wölfersheims Gemeindevorstände und Rewe-Vertreter verweigerten Kritikern des Logistiklagers das Mikrofon. Eine Beteiligung der Bürger sei wohl nicht erwünscht, schimpften die Grünen nach der Bürgerversammlung vom 18. Dezember 2018 in Berstadt. Die umstrittene Bebauung von 30 Hektar besten Ackerlandes mit Rangierplätzen und einem Hochregallager führt auch zu Streit zwischen den Gemeinden Wölfersheim und Echzell. Die bis zu 35 Meter hohe und gut 100 000 Quadratmeter umfassende Lagerhalle soll Anfang 2021 gebaut werden.Grüne: „Beteiligung nicht erwünscht“
Gut 18 Monate nach Beginn der Planungen informierte der Rewe-Konzern am 18. Dezember 2018 zum ersten Mal direkt die Anwohner über das geplante Logistikzentrum an der Autobahnauffahrt zwischen Wölfersheim und Berstadt. Etwa zwei Dutzend Planer, Vorstandsmitglieder, Öffentlichkeitsarbeiter und Helfer setzten Rewe und die Gemeinde Wölfersheim bei der Bürgerversammlung in der Berstädter Mehrzweckhalle ein. Rund 320 Menschen drängten sich im Saal – mehr als die Hälfte musste wegen fehlender Stühle stehen. Schon zur Begrüßung warb Bürgermeister Eike See (SPD) für den Bau der wohl größten Lagerhalle im Wetteraukreis. Sie werde der Gemeinde mehr als 500 Arbeitsplätze und gute Steuereinnahmen bringen. Den Kritikern im Saal rief er zu: „Hören Sie mit der Hetze gegen dieses Projekt auf!“
Hochrangige Rewe-Vertreter erläuterten, warum der Acker zwischen der Kreisstraße 181, der B455 und der A45 ideal für das neue Nachschublager sei. Und wie dringend sie es brauchten. Laut Logistik-Chef Manfred Sapper ist im Lager Rosbach der Umsatz binnen zehn Jahren um 60 Prozent auf 471 Millionen Euro gestiegen, in Hungen um 42 Prozent auf 583 Millionen. Bis 2025 werde die Menge der Supermarkt-Ware um 26 Prozent steigen. Die Zahl der Artikel für die Rewe-Märkte werde bei sofort verzehrfähigen Lebensmitteln um 70 Prozent wachsen, bei Getränken um 67, bei Fleisch- und Backwaren um 40 Prozent.
Applaus und Buh-Rufe hielten sich die Waage
Kurz darauf zeigte sich, dass Gemeinde und Bauherren entschlossen waren, die Kritiker nicht vor allen Leuten zu Wort kommen zu lassen. Überraschend für das Publikum, öffneten Helfer die Seiten-Säle und die Bühne für sechs vorbereitete Infostände mit Plänen und Experten. Da könne man sich eine Stunde lang im Detail informieren, so der Moderator Uwe Schröder. Auch 70 Minuten später gab man den Kritiken keine Chance, ans Mikro zu kommen. Man könne ihm Mails schicken und seine Meinung auf Zetteln in Infoboxen stecken, sagte Bürgermeister See. Pfiffe gellten. See darauf: „Mit diesen Pfiffen habe ich gerechnet. Wir wollten nicht mit zehn bis 15 Menschen über das Projekt diskutierten. Viele Bürger hätten nicht nachfragen können, wenn wir eine Frontalbeschallung gemacht hätten.“ Dann wünschte er allen einen besinnlichen Advent. Applaus und Buh-Rufe hielten sich etwa die Waage.
Die Gegner des Projekts hoffen nun, dass das Gießener Verwaltungsgericht am 23. Januar der Lager-Planung einen Riegel vorschiebt. Der BUND Hessen hält auf seiner Webseite Muster-Einwendungen gegen die Baupläne bereit. Der Rewe-Projektleiter Daniel Liebe lud die Bürger dagegen für den 15. Februar 2019 zu einer Besichtigung des Nachschublagers in Neu-Isenburg ein. Der Bus fahre um 13 Uhr am Wölfersheimer Rathaus ab.
Die Wölfersheimner Grünen Michael Rückl und Franz Grolig kommentierten am 20. Dezember die Choreographie der Bürgerversammlung: „Es erinnert eher an die Verhältnisse in Ungarn und Russland, wenn einzig die Botschaften der Befürworter des Rewe-Logistikzentrums und die des Investors verbreitet, jegliche kritische Äußerungen aber verhindert werden.“ Bürgermeister Eike See habe jede Achtung vor Bedenken und anderen Meinungen vermissen lassen, als er sie der „Hetze“ gegen das Projekt bezichtigte. Eine Beteiligung der Bürger sei nicht erwünscht, so Rückl und Grolig. Denn die Gemeinde habe erst spät auf das bis zum 1. Februar dauernde Beteiligungsverfahren zum Projekt hingewiesen. Bei der Bürgerversammlung habe man die Projekt-Informationen in der kurzen Zeit kaum sichten oder kritisch hinterfragen können. „All dies zeigt, dass die Befürworter jeglichen offenen Umgang meiden.“
Echzeller fürchten den Verkehr
Auch die Nachbargemeinde Echzell wehrt sich gegen das Projekt. Inzwischen wurde bekannt, dass Wölfersheim und Echzell vor gut zwei Jahren über eine gemeinsame Erschließung des Gewerbegebiets gesprochen haben. Doch Wölfersheims damaliger Bürgermeister Rouven Kötter (SPD) habe das Projekt dann alleine durchgezogen, beschwerte sich nun sein Echzeller Kollege Wilfried Mogk (parteilos). Die Wölfersheimer hätten „knallhart gehandelt“. Die Gemeinde Echzell will im Bebauungsplan-Verfahren Einwendungen machen und notfalls klagen. Bei Bedarf werde Echzell auch die Verwaltungsklage des BUND gegen die Gemeinde Wölfersheim unterstützen, sagte Mogk. Dass in der Lagerhalle viele Jobs für Echzeller entstehen, glaubt er nicht. Das sei angesichts der Automatisierung in dieser Branche noch völlig unklar. Und Echzell würde durch den Lieferverkehr stark belastet. Das meint auch der dortige SPD-Gemeindevertreter Ralf Winter: Wenn die A45 bei Unfällen gesperrt werde, fließe der Ausweichverkehr durch Echzell, Bingenheim, Leidhecken und Staden nach Süden. Da gebe es fünf Nadelöhre – die Echzeller haben nach Winters Ansicht also Nachteile vom Logistikzentrum. Es habe sich „wie eine Ohrfeige“ angefühlt, als Rouven Kötter als Gast in einer Echzeller SPD-Fraktionssitzung gesagt habe, die Echzeller seien vom Wölfersheimer Projekt gar nicht betroffen.
Der Wölfersheimer Rouven Kötter, der seit März 2018 als Erster Beigeordneter beim Regionalverband FrankfurtRheinMain arbeitet, hielt den Echzellern nun vor, sie hätten nicht ernsthaft über eine Beteiligung am Gewerbegebiet diskutiert. „Echzell könnte diese Chance meiner Meinung nach auch heute noch ergreifen. An anderen Stellen hat die Gemeinde Echzell wenige Möglichkeiten, Fläche für ihre Unternehmen zur Verfügung zu stellen.“
Dieser öffentliche Schlagabtausch zwischen den Repräsentanten zweier Gemeinden mit absoluter SPD-Mehrheit könnte den Eindruck befördern, die SPD sei zerstritten. Um das zu vermeiden, kam es in der Woche vor Weihnachten 2018 zu einem Treffen zwischen Rouven Kötter und den Bürgermeister Eike See (SPD) aus Wölfersheim und Wilfried Mogk. Die drei ließen sich gemeinsam fotografieren und teilten anschließend mit: In Sachen Logistikpark seien sie unterschiedlicher Meinung. Jenseits dessen sei das gutnachbarschaftliches Verhältnis aber keineswegs belastet. :