So starben Heinrich und Liesl Will
Von Klaus Nissen
Bis einschließlich Sonntag, 19. Oktober 2025 erzählt das Museum am Brandplatz in Gießen (jeweils von 11 bis 18 Uhr) die Lebensgeschichte des Künster-Ehepaares Heinrich und Liesl Will. Der Neue Landbote erzählt sie in diesem Artikel nach – damit nie vergessen werde, mit welcher unerbittlichen Grausamkeit die Nazis Menschen vernichteten.
Vom Nationalsozialismus hielten sie nichts
Es ist 130 Jahre her, seit Heinrich Will geboren wurde. Eigentlich war ihm ein Leben als Landwirt vorbestimmt. Heinrich war der erste Sohn eines Bauern-Paares im Dorf Treis – heute ein Stadtteil von Staufenberg bei Gießen.

Doch es kam ganz anders. 1914 wurde der 19-Jährige zum Kriegsdienst eingezogen. Bei einem Giftgas-Angriff während der deutsch-französischen Kämpfe wurde der Bauernsohn schwer verwundet. Er überlebte die Massaker des Ersten Weltkrieges – doch für die Arbeit auf dem Hof der Eltern war er nicht mehr geeignet.
Der kriegsversehrte Bauernsohn durfte ans Städel
Die bessere Alternative war die Kunst. Schon als Junge zeigte Heinrich Will Talent beim Malen und Zeichnen. Die Eltern erlaubten, dass ihr erster Sohn die Städelschule in Frankfurt besuchen durfte. Zwischen 1920 und 1926 lernte er auch an der Kunstakademie in Düsseldorf und in der Meisterklasse der Wiener Akademie der Bildenden Künste.
In Wien lernte Heinrich Will seine spätere Frau Liesl kennen. Die 1901 geborene Elisabeth Klein war in einer reichen jüdischen Familie aufgewachsen. Die Eltern – eine Konzertpianistin und ein Ingenieur -besaßen ein Maschinenbau-Unternehmen. Liesl, wie alle sie nannten, genoss eine gute Schulbildung. Aufenthalte in Prag, Karlsbad, Sarajewo, Unterricht in mehreren Sprachen, viele Opern- und Konzertbesuche prägten ihre Kindheit.
Als sie Heinrich Will kennenlernte, studierte Liesl gerade deutsche Literatur und Musikgeschichte. Das Paar verlobte sich nach einer mehrmonatigen Studienreise durch Italien. Danach arbeitete Liesl in Wien als Kindergärtnerin.
Aus München ins provinzielle Gießen
Als frisch verheiratetes Paar zogen Heinrich und Liesl Will im Sommer nach Gießen um. Heinrich schaffte es in seiner Heimat, sich als Kunstmaler und Porträtist zu etablieren. Und seine Frau baute Freundschaften und ein soziales Netzwerk auf. Das half ihrem Mann auch, genug Mal-Aufträge zu bekommen. Sein Atelier lag im Dachgeschoss der Gießener Goetheschule.
Heinrich Will war kein Linker. Er empfand her deutsch-national. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten engagierte er sich in einem „Kampfbund“, der für einen traditionellen Kunstbegriff einstabnd. Als Will aber sah, wie die Nazis Andersdenkende beseitigten und die Demokratie begruben, wuchs seine Gegnerschaft zu den neuen Herren.
Um sich zu schützen, zeigte das Ehepaar seine Opposition nur im privaten Umfeld. Es lebte ab 1933 zurückgezogen.
Bis Ende 1935 konnte Heinrich Will noch seine Bilder in Ausstellungen zeigen, dann wurde er als Ehemann einer Jüdin aus der Reichskammer der bildenden Künste ausgeschlossen. Die Aufträge blieben aus, nur enge Freunde und Verwandte kauften seine Bilder und Zeichnungen. Von seiner Liesl wollte sich Heinrich Will nicht scheiden lassen.
Seit dem Frühjahr 1941 war das Ehepaar Will Teil einer „Hörergemeinschaft“, die sich einmal wöchentlich beim Theologen Dr. Alfred Kaufmann traf, um ausländische Rundfunksender zu hören. Etwa zehn Menschen trafen sich da und versuchten, das Weltgeschehen unabhängig von der nationalsozialistischen Propaganda zu erfassen.
Eine Gestapo-Agentin verrät die Radiohörer
Das war streng verboten. Und ging nicht lange gut. Ein Mitglied des Kreises, die Schwedin Dagmar Imgart, verriet die Radiohörer. Am 6. Februar 1942 wurden sie durch die Gestapo verhaftet. Alfred Kaufmann und die anderen kamen bald frei – doch an den Wills wollten die Nazis ein Exempel statuieren. Sie verbrachten die nächsten Monate in einem Darmstädter Gefängnis.

Ende Juli 1942 wird Heinrich Will zum Tode verurteilt, wegen „landesverräterischer Begünstigung des Feindes in Verbindung mit einem Verbrechen nach § 1 der Verordnung für außerordentliche Rundfunkmaßnahmen“.
Elisabeth Will kommt nach Monaten Haft ins KZ
Das Urteil wird nicht sofort vollstreckt. Angehörige von Heinrich Will und 22 Einwohner seines Heimatdorfes Treis nutzen die Zeit und haben den Mut, insgesamt zehn Gnadengesuche zu stellen. Sie werden alle abgelehnt. Heinrich Will fertigt eine Woche nach dem Todesurteil seine letzten Zeichnungen an. Sie zeigen zwei Mitgefangene und ihn selbst.
Elisabeth Will wird am 14. August 1942 von Darmstadt ins Frauenzuchthaus Ziegenhain verlegt. Im letzten Brief an ihren Mann beschwört sie ihn, sich scheiden zu lassen. Am Dezember 1942 bringen die Nazis Elisabeth Will ins Konzentrationslager Auschwitz. Sie wird dessen Auflösung drei Jahre später nicht mehr erleben.
Heinrich Will schreibt am 19. Februar 1943 einen letzten Brief an seine Familie. Am Abend dieses Tages wird der 47-jährige Kunstmaler in der Haftanstalt Preungesheim durch ein Fallbeil geköpft. Einfach nur, weil er ausländische Radiosender hörte und sich nicht von seiner Frau scheiden lassen wollte.
Einen Tag nach der Hinrichtung schreibt der Gießener Schreitsteller Eduard Geilfus in sein Tagebuch: „Es ist ein schrecklicher Schlag für alle anständigen Menschen, die noch gehofft hatten, Will würde so lange am Leben bleiben, bis der bestialische Hitler-Despotismus sein Ende erreicht hätte.“ Doch der und das Wüten seiner millionenfachen Anhängerschaft würde noch zwei weitere Jahre dauern.
Zwei Tage nach der Hinrichtung feiern die Gießener Nazis zusammen mit Schulkindern den Tod des Malers. In den örtlichen Fabriken gibt es dazu Betriebsfeiern.
Die Denunziantin wird zunächst freigesprochen
Erst nach dem Einmarsch der Amerikaner gibt es am 21. Januar 1946 im Gießener Stadttheater eine Gedenkfeier für Heinrich und Elisabeth Will. Die Urne mit der Asche des Malers kann erst im Mai 1946 auf dem Friedhof seines Heimatdorfes beigesetzt werden.
Die Gestapo-Agentin Dagmar Imgart wird im Herbst 1951 vor dem Schwurgericht Limburg freigesprochen. In höherer Instanz verurteilt sie 1954 das Schwurgericht Kassel zu 15 Monaten Zuchtshaus und zwei Jahren „Ehrverlust“. Den Namen des hingerichteten Malers Heinrich Will trägt seit 1983 je eine Straße in Gießen und in Treis an der Lumda.