Muslimisches Gräberfeld

Zeichen gesellschaftlichen Wandels

von Michael Schlag

Vor genau zehn Jahren wurde auf dem Hauptfriedhof in Friedberg das muslimische Gräberfeld eröffnet. Heute umfasst es etwa 40 Gräber, sie erzählen von Einwanderung und Arbeitsmigration, von Vertreibung und Krieg, aber auch vom politischen Willen für Integration und einer sich wandelnden Gesellschaft.
Recep Kaplan. (Fotos: Michael Schlag)

Recep Kaplan, Vorsitzender des Ausländerbeirats der Stadt Friedberg, kam 1980, im Alter von zwölf Jahren mit den Eltern aus der Türkei nach Deutschland. Er bleibt vor einem der Gräber stehen. „Ihn habe ich gut gekannt“, erzählt Kaplan. Wenn er damals als kleiner Junge mit dem Fahrrad durch die Friedberger Altstadt sauste, habe der alte Herr ihn ermahnt: „In Deutschland brauchst Du einen Führerschein für das Fahrrad.“ Den meisten Einwanderern dieser ersten Generation sei aber klar gewesen, dass sie am Ende ihres Lebens in der alten Heimat begraben würden, wo sie auch geboren wurden, selbst wenn sie 40 Jahre hier gelebt hatten. So machten es auch Kaplans Eltern, ihre Gräber sind in der Türkei. Doch heute sähen es viele anders: „Unsere Generation überlegt sich hierzubleiben“.

Die Grabsteine gleichen sich

Dafür aber braucht es einen Friedhof, der die Beerdigung nach islamischem Ritus möglich macht. Im Grunde sind die Unterschiede zwischen den Religionen gering, wie ein Grabstein aus Marmor auf dem Friedberger Friedhof zeigt. Er ist als aufgeschlagenes Buch gestaltet, darin liest man auf Deutsch: „Wir gehören Allah und zu ihm kehren wir zurück.“ Diese Sure aus dem Koran bedeutet sinngemäß nichts Anderes, als auch das Christentum sagt. Allerdings gibt es bei muslimischen Bestattungen keinen Sarg, der oder die Verstorbene wird in einem Leichentuch gehüllt direkt in die Erde gelegt. Auch gibt es keine Feuerbestattung, denn „wir sagen: Wir kommen von der Erde und wir gehen zurück zur Erde“, sagt Kaplan. Der Hauptgrund für das gesonderte moslemische Grabfeld ist die vorgeschriebene Ausrichtung der Gräber. „Der Leichnam liegt mit der rechten Schulter Richtung Mekka, das ist unsere Gebetsrichtung“, erklärt Recep Kaplan. Ist das gesichert, könnte sich ein Moslem auch auf einem christlichen Friedhof beerdigen lassen, „aber der christliche Friedhof hat auch seine Ordnung und wir können die Gräber ja nicht drehen“, sagt Kaplan, „deshalb haben wir es getrennt, sonst ist der Platz eigentlich egal.“ Auf dem Gebetsplatz, wo sich die Trauergemeinde versammelt, ist die Richtung deutlich eingezeichnet. In einem roten Kreis bilden schwarze Steine ein Dreieck, dessen Spitze weist genau nach Mekka. Der gepflasterte Weg dahin ist mit Rosenbüschen gesäumt, denn der Prophet Mohammed liebte Rosen, deshalb findet man sie auch auf vielen Gräbern.

Den gepflasterte des muslimischen Gräberfeldes zieren Rosen, denn der Prophet Mohamed liebte Rosen.

Diese Richtung nach Mekka eint alle, die hier begraben liegen, ansonsten ist der muslimische Teil des Friedhof international: Hier haben Türken, Afghanen, Bosnier, Pakistaner ihre letzte Ruhe, auch Deutsche, die mit einem Moslem verheiratet waren. Und manche Gräber erzählen von Kriegen aus der jüngsten Vergangenheit. „Für mich ist es sehr wichtig, dass es diesen Friedhof hier gibt“, sagt die Frau aus dem Kosovo. Sie trägt ein weißes Kopftuch, wäscht die Grabsteine ihrer Eltern, die im Kosovo-Krieg nach Deutschland geflohen waren. Sie steht einen Moment ruhig im Gebet, die Handflächen nach oben. „Wenn meine Eltern im Kosovo beerdigt wären, könnte ich ihre Gräber nie besuchen.“ Und dort gäbe es auch niemanden mehr, der die Gräber pflegen würde. Sie möchte nicht mit Namen genannt werden, auch kein Foto für die Zeitung, sie ist Muslim und sie ist Serbin und sagt zur Begründung nur: „zu viel Hass dort.“

Die Gräber erzählen von Zuwanderung und Integration

Und immer erzählen die Gräber von Zuwanderung und Integration, die hier zu ihrem letzten Abschluss kommt. 2008 hatte der Ausländerbeirat der Stadt Friedberg vorgeschlagen, ein Gräberfeld für muslimische Mitbürger einzurichten. Bis dahin wurden verstorbene Muslime fast immer in aller Eile in ihre Herkunftsländer ausgeflogen. Nach islamischem Ritus muss die Beerdigung innerhalb von 24 Stunden stattfinden; das ist wenig Zeit, wenn dazwischen ein Flug in die Türkei liegt. Zur der Eröffnung im August 2011 waren alle drei muslimischen Gemeinden Friedbergs eingeladen, die auch eigene Moscheen haben. In den Gemeinden wurde das sehr begrüßt, erinnert sich Kaplan, zeigte es doch: „Unsere Stadt tut auch für uns etwas“. Ihm bedeutet der Friedhof mehr als nur die religiöse Toleranz: „Stellen Sie sich vor, Sie leben 50 Jahre in einer Stadt, aber begraben werden Sie woanders“. Wenn man aber hier bestattet werden kann, „dann fühlt man sich zugehörig zu dieser Stadt“, so sieht es Kaplan, „ich denke, das war ein Riesenschritt für die Integration“.

Prof. Thomas Lemmen von der Katholischen Hochschule in Köln ist Experte für christlich-islamischen Dialog und verfolgt die Entwicklung seit vielen Jahren. Man müsse auch wissen, sagt Lemmen: „In Deutschland ist Religionsfreiheit ein Grundrecht und gleichzeitig ist es ein Menschenrecht.“ Wenn jemand stirbt, hätten dieser Mensch und seine Familie einen Anspruch darauf, diese Religionsfreiheit auch beim Begräbnis zu bekommen. Und Lemmen findet: „Wenn ich den Toten Respekt zeige, dann ist das auch ein Respekt für die Lebenden.“ Lemmen hatte bereits in den 1990er Jahren Stadtverwaltungen bei der Einrichtung muslimischer Grabfelder beraten. Ab den 2000er Jahren hätten die Bundesländer dann begonnen, die Bestattungsgesetze zu liberalisieren und auch für muslimische Regeln zu öffnen.

Das Grab muss nicht prächtig sein

Für Friedbergs Bürgermeister Dirk Antkowiak war das muslimische Gräberfeld eine städtische Pflicht. „Hier werden alle Religionsformen geboren, sie gehen hier zur Schule, sie arbeiten hier, zahlen Steuern, gründen Familien,“ sagt Antkowiak, „dann sollte auch jeder die Möglichkeit bekommen, so bestattet zu werden, wie es ihm seine Religion vorgibt.“ Darüber bestand Einigkeit in Stadtparlament und Magistrat, und am Ende „war es kein so großer Kulturschock für die Friedberger Bürgerinnen und Bürger“. Amtlich liest es sich dann so in der Friedhofsordnung der Kreisstadt Friedberg, § 25: „Auf dem Hauptfriedhof ist ein Grabfeld für Muslime eingerichtet, welches den besonderen Anforderungen der islamischen Religion entspricht.“

Recep Kaplan mit Bürgermeister Dirk Antkowiak (rechts).

Äußerlich unterscheidet sich das muslimische Gräberfeld kaum vom christlichen Teil des Friedhofs mit seinen stattlichen, verzierten Grabsteinen und Grabeinfassungen aus Marmor. Allerdings – gerade das ist ungewöhnlich. Denn so schlicht die Erdbestattung im Leichentuch, so schlicht sollte eigentlich auch das muslimische Grab sein, sagt Recep Kaplan, und zeigt auf einen grün bewachsenen Erdhügel, am Kopfende ein kleiner Stein mit Namen. „Es muss nicht unbedingt prächtig sein“, selbst die Gräber von Islam-Gelehrten in Saudi-Arabien seien nicht aufwendig mit Marmor gestaltet. Die Imame seien aber zu dem Schluss gekommen, dass es nicht gegen den Koran verstößt und Kaplan meint schmunzelnd: „Hat hier schon angefangen, die Integration bei den Gräbern“. Die Grabsteine im muslimischen Teil des Friedhofs sind häufig schwarz mit zwiebelförmiger Spitze und aufwendigen Gravuren in arabischer Schrift, und dem Glaubensbekenntnis: „Es gibt keinen Gott außer Allah und Mohammed ist sein Prophet“. Vereinzelt sieht man kleine Minarette.

Die Gebühren sind für alle gleich

Bei den Gebühren und Laufzeiten macht der städtische Friedhof keinen Unterschied zwischen Religionen. Das Einzelgrab gilt 25 Jahre, ein Familiengrab 40 Jahre, mit der Möglichkeit zu verlängern. „Daran müssen wir uns hier halten“, sagt Kaplan. In der Türkei bestünden Familiengräber zwar ohne zeitliche Fristen, „aber jedes Land hat eigene Gebräuche, der Islam macht dazu keine Vorschriften.“ Auf dem muslimischen Gräberfeld gibt es pro Jahr etwa zwölf Beerdigungen, eine Richtung ist offen für die Erweiterung. „Es leben etwa zehn Prozent Moslems in Friedberg; bei 28.000 Einwohnern wären das 2800 Moslems,“ schätzt Kaplan, „die gehen nicht alle zurück in ihre Heimat.“ Er selber hat sich noch nicht endgültig entschieden. „Weil ich in der Türkei geboren bin, wollte ich zurück gehen“, sagt Kaplan, „aber jetzt lebe ich 40 Jahre hier und ich denke, dass mein Grabfeld auch hier sein wird.“ Andernfalls würde es so wie bei seinen Eltern, die in der Türkei begraben sind: Die Kinder kommen nur alle zwei bis drei Jahre vorbei. Doch wenn man Alles nur mit Blick auf die Gemeinsamkeiten der Religionen betrachtet, ist es ohnehin einerlei: „Wir glauben an ein Leben nach dem Tod und die Wiederauferstehung; wann das sein wird, weiß natürlich keiner, aber wir glauben daran,“ sagt Recep Kaplan.

Ein Gedanke zu „Muslimisches Gräberfeld“

  1. Vielen Dank für den Zeitungsartikel.
    Sie haben es sehr gut berichtet. Ich hoffe, dass wir mit diesem Bericht auch einen kleinen Beitrag für die Integration geleistet haben. Ich denke, dass, wenn viele Personen es lesen, sie dann auch mehr Verständnis für Migranten und auch für muslimische Gräber haben. Daher ist es auch gut für die Integration.
    Nochmal vielen Dank
    Recep Kaplan

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