Milchkühe

Im Club der 100.000-Liter-Kühe

Von Michael Schlag

Die durchschnittliche Milchkuh in Deutschland gibt in ihrem Leben etwa 27.000 Liter Milch. Die Zeit, in der sie als ausgewachsene Kuh gemolken wird, beträgt gut drei Jahre. Es gibt aber Milchviehbetriebe, auf denen die Kühe regelmäßig deutlich länger leben und in der Zeit auch viel mehr Milch geben. Spitzenreiter bei der Langlebigkeit der Kühe in Hessen ist der Milchviehbetrieb Holschuh aus Erbuch im Odenwaldkreis.

Ventilatoren und Kuhdusche

Er hatte schon über 30 Kühe, die in ihrem Leben mehr als 100.000 Liter Milch gaben und entsprechend lange auf dem Hof lebten. Er ist deshalb schon mehrfach Mitglied im „Club der 100.000-Liter-Kühe“ des Landwirtschaftlichen Wochenblatts. Aber was ist hier so anders, warum können die Kühe so alt werden?

Betriebsleiter Gerd Holschuh meint: „Wir machen eigentlich nichts Besonderes“. Er hat 160 Kühe, gemolken werden sie von zwei Robotern. Holschuh legt aber Wert auf gute Laufflächen im Stall, die Betonböden sind mit weichen Gummimatten ausgelegt. Zum Abkalben haben die Kühe in einen großen Strohstall, hier bleiben sie auch mit ihren Kälbern zwei bis drei Wochen. Im Sommer wird der Stall mit Ventilatoren gekühlt und an besonders heißen Tagen können sich die Tiere zusätzlich eine sensorgesteuerte Kuhdusche holen. Ein automatischer Futterschieber sorgt dafür, dass ihnen zu jeder Zeit etwas zu fressen vorliegt. Insgesamt eine gute, aber nicht ungewöhnliche Stalltechnik.

Ventilatoren kühlen den Stall an besonders heißen Tagen. (Fotos: Holschuh)

Jede Kuh hat eine zweite Chance

Wirklich ausschlaggebend, dass es auf dem Betrieb so viele alte Kühe gibt, ist wohl der menschliche Faktor, „weil meine Familie komplett dahintersteht und unsere Mitarbeiter auch“, sagt Holschuh. „Wir schlachten nicht gleich, jede Kuh hat eine zweite Chance, auch wenn mal eine Laktation nicht so gut ist.“ Und Gerd Holschuh erzählt von einer jungen Kuh, deren Euter nur drei Zitzen hatte und die auch mit 7.000 Litern nicht gerade viel Milch gab. Trotzdem hat er die Kuh behalten, sie ist heute noch auf dem Betrieb und hat mittlerweile 118.000 Liter gegeben. „Es ist nicht immer betriebswirtschaftlich, was wir machen“, räumt Gerd Holschuh ein, aber „wir hängen sehr an unseren Kühen“. Und was für einen Milchviehbetrieb wirklich selten ist: Zwei lang gediente Kühe, die längst keine Milch mehr geben, bekommen ihr Gnadenbrot. Nach 18 Jahren Familienanschluss „wollen wir die einfach nicht schlachten“.

Die Hochschule Weihenstephan-Triesdorf hat mit solchen Betrieben gesprochen. Dabei stellte sich heraus: Die Kühe geben hier nicht unbedingt weniger Milch, auch bei Holschuh im Odenwald beträgt der Jahresdurchschnitt über 10.000 Liter pro Kuh. Aber: „Es gibt auf dem Betrieb eine hohe Wertschätzung für die Milchkuh und eine enge Beziehung zu den Kühen“, sagt Felix Versen von der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf. Was die Untersuchung auch zeigte: „Eigentlich alle Betriebe haben uns gesagt, dass die Arbeitsbelastung als nicht zu hoch empfunden wird“, berichtete Felix Versen. Im Mittel kümmerte sich auf den untersuchten Betrieben eine Person um 38 Milchkühe. Auch Gerd Holschuh findet, mit rechnerisch 5,5 Arbeitskräften sei sein Betrieb sehr gut ausgestattet. Dass auf Seiten der Arbeit relativ wenig Stress besteht, ist für Milchviehbetriebe eine bemerkenswerte Antwort. Und alle legen offenbar großen Wert auf ruhigen Umgang mit den Tieren. Felix Versen zitiert einen weiteren Landwirt aus der Untersuchung: „Niemals zornig in den Stall gehen“. Wenn man sich über irgendwas geärgert habe, besser eine Stunde warten und dann erst mit Ruhe zu den Kühen gehen.

Titelbild: Die älteste Kuh Rodina des Milchviehbetriebs Holschuh an ihrem 18. Geburtstag.

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