Faszinierender EinBlick
Von Bruno Rieb
Der Kreis schließt sich
An den beiden Wochenenden Ende September, Anfang Oktober 2023 ging das Stück über die spärlich ausgestattete Bühne des Gambacher Bürgerhauses. Erzählt wird die Geschichte der jungen Maria Magdalena (an dem einen Wochenende Valerie Ziegenbalg, am anderen Julia Färber), eine Pfarrerstochter mit herrischer Mutter. Als Spielleiterin führte Doris Regina souverän und munter durch die Geschichte. Die Darsteller bekamen reichlich Applaus wie auch Regisseur Schütz. Der hatte als Schüler eine Aufführung von Thornton Wilders „Unsere kleine Stadt“ gesehen und es war um ihn geschehen: Theater wurde seine Berufung. EinBlick lehnt sich an „Unsere kleine Stadt“ an. „Thornton Wilders Stück war meine erste Berührung mit dem Theater und mein Leben lang habe ich den Gedenken gehabt, es auf meine Weise auf die Bühne zu bringen. Dieser Kreis hat sich jetzt für mich geschlossen“, schreibt Schütz im Programmheft.
„Auf meine Weise“ heißt: Tische und Stühle des Bürgerhauses waren neben zwei Leitern in den ersten beiden Akten die einzigen Requisiten. Die Schauspieler stellten pantomimisch alle anderen Dinge dar, von der Kaffeetasse bis zum Eisbecher. Im dritten und letzten Akt kamen Vorhänge, Licht und Film dazu, um eine zweite Ebene zu schaffen.
Ein Tag wird zurückgeholt
Diese zweite Ebene ist ein Trick, um den Fragen nachzugehen, die Schütz im Programmheft so formuliert: „Irgendwann in seinem Leben stellt man sich die Frage: Habe ich eigentlich die Gelegenheit, meine Zeit auf der Welt leben zu dürfen, wirklich genutzt oder habe ich sie mit unnützen Dingen vertan? Habe ich meine Lebensziele gefunden und bin ich meinen eigenen Weg gegangen, um sie zu erreichen oder ihnen nahezukommen? Wie oft in meinem Leben habe ich mir am Morgen gewünscht, der Tag wäre schon vorbei und wie viele Tage habe ich auf diese Weise hergegeben und nicht gelebt?“
Das sind die Fragen, die sich der Theaterregisseur stellt. Um sie zu beantworten, lässt er Maria Magdalena bei der Geburt ihres zweiten Kindes sterben. Ein Trick, um diesen Fragen nachzugehen: Maria Magdalena bekommt die Chance, zu einem Tag ihres Lebens zurückzukehren. Sie sucht sich ihren 16. Geburtstag aus. Von dem hatte der erste Akt gehandelt. Die Schauspieler spielen exakt diese Szene wieder. Maria Magdalena wird per Film auf einen Vorhang projiziert und kommentiert die Handlung. Zu sehen ist, wie sie sich gegen ihre dominante Mutter wehrt, gegen die altmodische Kleidung, die sie tragen muss und dagegen, dass Computer im Pfarrerhaushalt tabu sind.
Die Schlüsselszene ist ein hoffnungsvolles Gespräch mit ihrem Vater. Sie scheint ihn als Verbündeten zu gewinnen. Da mitten hinein schrillt das Telefon. Ihr Vater wird als Notfallseelsorger zu einem schweren Unfall gerufen, geht seiner Pflicht nach und lässt seine verzweifelte Tochter sitzen. Die Rückkehr einer Toten für einen Tag ins Leben ist Theater. Das wirkliche Leben ist anders. Schütz: „Ich kann keinen einzigen Tag zurückholen, keine Tat ungeschehen machen und die Zeit nicht für einen Augenblick festhalten.“
Die Kleine Bühne Gambach hat als kleine Laiengruppe einmal mehr außergewöhnliches Theater geboten.