„Doppelkopf“/“Der Tag“ gibt es weiter
von Jörg-Peter Schmidt
Der Rundfunk-Alptraum, den viele Zuhörerinnen und Zuhörer befürchtet hatten, ist ausgeblieben: Trotz der seit 14. September 2020 laufenden Änderungen im HR2-Programm sind Sendungen wie „Doppelkopf“ und „Der Tag“ am gewohnten Sendeplatz erhalten geblieben.Änderung in den Morgenstunden
Dass diese beliebten Beiträge nicht wegfallen, ist mit Sicherheit dem gewaltigen Proteststurm in den Medien und zahlreicher Radiofans zu verdanken. Sie waren wütend, als vor einigen Monaten Pläne der HR-Verantwortlichen bekannt wurden, die Programmänderungen ankündigten. Befürchtet wurde, dass der Sender ein reiner „Klassik-Dudelfunk“ wird. Von den Kritikern (auch Leserinnen und Lesern des „Landboten“) wurde gefordert, dass vor allem das „Doppelkopf“-Gespräch mit interessanten Persönlichkeiten (montags bis freitags um 12.05, Wiederholung um 23.05) sowie „Der Tag“ (kritisch Hintergründiges zu aktuellen Themen wird beleuchtet) nicht ins Nirwana entweichen. Der „Tag“ läuft montags bis freitags jeweils um 18.05 Uhr auf HR2, Wiederholung um 22.05 Uhr auf HR-Info.
Im Programm morgens hat es allerdings eine Änderung gegeben. Bisher wurde das „Kulturfrühstück“ montags bis samstags ab 6.05 Uhr bis zu 9.30 Uhr mit beispielsweise der Literatur-Lesung, der Bücherkritik, der Presseschau sowie der Theater- und Filmkritik von einer Musikmischung aus Chanson, Folklore, Jazz sowie Klassik untermalt. Jetzt heißt die Sendung „Am Morgen“; die Lesung beginnt bereits um 9 Uhr. Die Musik, so der bisherige Eindruck als Zuhörer, scheint jetzt vorwiegend von Klassik geprägt zu sein. Allerdings bleiben die Wortbeiträge erhalten. Auf Anfrage des „Landboten“ erläuterte hierzu Janina Schmidt, Pressesprecherin bei HR2: Das „Kulturfrühstück“ werde nicht mehr so heißen, sondern gehe in „HR2 am Morgen“ auf. Die Magazinstruktur bleibe erhalten; einzig die starre Stundenuhr werde aufgelöst. „Die beliebten Moderatorinnen und Moderatoren bekommen mehr Präsenz im Programm“, unterstreicht Schmidt. Wie sie weiter berichtet, ist in die erste Sendewoche des geänderten Programms ein Schwerpunktthema integriert. Dieses Thema lautet „Koloniales Erbe in Hessen“ und zieht sich wie ein roter Faden durch verschiedene Sendungen wie dem „Doppelkopf“.
Kolonialismus-Themenwoche
Nachfolgend Auszüge aus der Presseerklärung für die Medien von Janina Schmidt: Den Hörerinnen und Hörern werden Kulturberichterstattung und Live-Gespräche zu hessischen Themen mit einer starken regionalen Streuung in Magazin-Struktur geboten. Die Lesung wird ein größeres Gewicht auf Roman-Neuerscheinungen legen. Bei der Klangfarbe der Musik wird stärker auf Schwerpunkte gesetzt: Innerhalb des Tagesprogramms dominiert klassische Musik, am Abend erweitert sich das Repertoire um andere Genres wie Jazz, Singer-Songwriter und Weltmusik.
Der Samstag startet mit „Musik am Morgen“. Als neues Format läuft um 14 Uhr die „Historische Aufnahme“, die mit Konzerten berühmter Künstlerinnen und Künstler, Hörspielen, Autorenlesungen oder zeitgeschichtlichen Tondokumenten Schätze wie Konzerte mit Paul Hindemith und Kinder-Hörspiele von Walter Benjamin aus dem Archiv ans Tageslicht befördert. Dafür rückt die Kindersendung „Lauschinsel“ aufgrund der veränderten Lebensgewohnheiten von Familien auf den Sonntagmorgen. Der restliche Tag bleibt wie gewohnt. Am Sonntag um 8 Uhr teilt sich das Kinderprogramm „Lauschinsel“ den Sendeplatz im Wechsel mit dem Musikschwerpunkt der bisherigen „Zauberflöte“. Inhaltlich wechseln sich so Lesungen und Hörspiele ab mit Geschichten rund um (klassische) Musik. Im Anschluss gibt es das „Best-of-Angebot der Woche“.
Außerdem neu am Sonntag ist die Sendung „Zwei bis vier – Menschen und ihre Musik“ ab 14 Uhr, bei der prominente Gäste und Nachwuchsstars aus dem Musikbusiness eingeladen werden, aber ebenfalls auch musikaffine und -versierte Persönlichkeiten etwa aus Schauspiel, Literatur und Film. Mit im Gepäck haben sie Musik, die sie geprägt hat. Los geht es am 20. und 27. September 2020 mit dem Intendanten der Alten Oper Frankfurt Markus Fein und dem Dirigenten Christoph Eschenbach. Das Hörspiel bekommt einen neuen Sendeplatz am Sonntag um 22 Uhr und einen neuen 14-täglichen Auftritt am Mittwoch, der sich dem Genre Krimi verschrieben hat. Am 14. Oktober etwa erwartet das Publikum mit der Ausstrahlung des hr-Radiotatorts von Martin Mosebach ein echtes Highlight. Weiterhin werden die Hörspiele Teil des umfangreichen Podcastangebots auf hr2.de und in der ARD-Audiothek sein. Der Sonntag endet ab 23 Uhr mit der „Hörbar“, nicht fortgesetzt wird das Format „Night Voyage“. Zu allen anderen Zeiten laufen die bisherigen Sendungen weiter.
Programm für die Kinder
Schmidt weiter: Um den Bedürfnissen von Familien, die sich auch immer intensiver im Netz bewegen, Rechnung zu tragen, hat HR2-Kultur in Zusammenarbeit mit dem Netzwerk Rundfunk und Schule und dem Hessischen Kultusministerium ein neues Podcastangebot für Kinder entwickelt, das zum Jahresende 2020 starten wird: „5xW – Der Wer-Wie-Wo-WigWam“. Der Häuptling Schlauer Fuchs und die ebenso kluge wie freche Plapperschlange führen in ihrem magischen Wigwam durch die Mini-Features für Grundschulkinder und laden mit Spiel und Spaß ein, sich kopfüber in fremde Welten zu stürzen. Auch weitere Kinder-Programmangebote wie Märchen-Hörspiele werden zukünftig vermehrt digital zur Verfügung gestellt.
Der HR möchte Kulturschaffenden in Hessen eine Plattform bieten. So hat HR2-kultur zum Beispiel in Kooperation mit dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels – Landesverband Hessen, Rheinland-Pfalz, Saarland e. V. 30 inhabergeführte Buchhandlungen aus ganz Hessen ausgewählt. Geplant sind gemeinsame Veranstaltungen und Literaturtipps der Buchhändlerinnen und -händler im Tagesprogramm.“
Statement des Intendanten
Der Intendant des HR, Manfred Krupp, betont in seinem Statement unter anderem, dass die Veränderungen bei HR2-Kultur Teil eines Gesamtveränderungsprozesses des Hessischen Rundfunks seien. Krupp weiter: „Wir haben erkannt, dass bei aller notwendiger Entwicklung manche Formate sehr viele treue Fans haben – das freut uns sehr, und dem tragen wir gerne Rechnung, indem wir beliebte Formate fortführen. Neue Programminhalte und -formate bedienen das facettenreiche Kulturverständnis unterschiedlicher Zielgruppen. Wichtig ist hierbei, dass sich unsere Hörerinnen und Hörer sowie Zuschauerinnen und Zuschauer zeit- und ortsunabhängig informieren und unterhalten können, da wir uns stärker um den Ausbau digitaler Wege kümmern.“
Programmchef Hans Sarkowicz hat in den vergangenen Monaten gemeinsam mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern intensiv am neuen HR2-kultur gearbeitet. Er sagt: „Neben den neuen Angeboten bleibt weiterhin viel Raum für große Formate wie das Hörspiel, die Literatur und Features. Mit dem neuen linearen Programm wird es auch bei HR2-kultur neue digitale Produkte geben und einen Ausbau bestehender Formate auf hr2.de und in der ARD-Audiothek.“ Soweit Auszüge aus den Presseveröffentlichungen des Sender. Man darf gespannt sein, wie die Hörerresonanz sein wird.
Meine Meinung
Zuerst das Positive zum neuen Sendeschema von HR2: Die Idee, in das Programm einer ganzen Woche ein Thema wie „Koloniales Erbe“ in verschiedenen Sendungen wie ein roter Faden einzustreuen, ist sehr begrüßenswert. Unter anderem wurde dazu bisher in den Sendungen wie „Doppelkopf“ der Völkermord an den Herero besprochen. Was allerdings das Aus für das gewohnte Sendeschema des „Kulturfrühstücks“ betrifft, wird es sicherlich Diskussionen im Publikum geben. Und der Zeitpunkt der Lesung (jetzt 9 Uhr, vorher 9.30 Uhr) ist noch unglücklicher als vorher. So ab 9 Uhr, so meine Erfahrung, wollen viele Menschen als Begleitung zum Frühstück lieber Musik hören als eine Lesung, die jegliche Unterhaltung der Frühstückenden bremst. – Jörg-Peter Schmidt –
Titelbild: In den Sendesälen des HR ist man gespannt, wie das Hörerpublikum das geänderte Schema aufnimmt. (Foto: © hr/Sebastian Reimold)