Checkpoint Charlie

Lust an der Provokation

Von Bruno Rieb

Sie waren Pioniere des Politrock in deutscher Sprache und sie liebten die Provokation: Checkpoint Charlie, benannt nach dem Berliner Grenzübergang. Die Band aus Karlsruhe überschritt gerne Grenzen. Uwe von Trotha, der Kopf der Gruppe, hat nun seine Biografie geschrieben. Ein spannender Blick in eine Zeit, in der (fast) alles möglich war.

Schwarz-rot-goldenes Klo

„Aus dem Leben eines Bastards – Checkpoint Charlie vs. BRD“ ist der Titel der Autobiografie des unehelichen Sprosses einer Adelsfamilie. Bei Konzerten der Band stand auch mal eine scharz-rot-goldene Toilette auf der Bühne, in die uriniert wurde. Als der CSU-Politiker Franz Josef Strauß 1980 Bundeskanzler werden wollte, zierte eine Sau aus Pappe mit dem Aufdruck „Franz Josef“ die Bühne.

Uwe von Trotha als Christus.

Uwe von Trotha ist gelernter Schauspieler und hatte schon einige Jahre auf der Bühne gestanden, bevor er sich der Musik widmete. Als Jesus war er mit der Theatergruppe „Schwarzwälder Passion“ durch das tiefkatholische Belgien getingelt. Die erste LP von Checkpoint Charlie aus dem Jahr 1969 hieß „Grüß Gott mit hellem Klang“, darauf das Lied „Jesus“, das so beginnt: „Christus hängt im Zimmereck / Sein Leib ist dürr / die Mutter ist fett / im Fernsehen knallts / das Böse ist tot / es kommt ein neues Morgenrot / in Vietnam ist es Weihnachtszeit / Friede und Liebe weit und breit / der Kiesinger rülpst und frisst und scheißt / es hängt der Christ der Christenheit / überm Fernsehen hoch im Zimmereck / der Strauß ist fett und frisst viel Speck / Biafra brüllt vor Hunger laut…“

Konsum war nicht ihr Ding

Die Band spielte eine Mischung aus Rock, Jazz und psychedelischen Elementen mit Hörspieleinlagen. „Wie sie auftraten, schockierten sie diejenigen, die mehr Sachlichkeit und Vernunft einforderten, und auf Beat-Konzerten die inzwischen an einen Beat-Konsum angepassten Teenies“, heißt es in Teil 3 der empfehlenswerten Reihe „Krautrock!“ des Labels Bear Family.

„Konsum'“ war gar nicht das Ding von Checkpoint Charly. Die Band wehrte sich vehement gegen den Konsumterror und zerriss bei ihren Auftritten gerne großformatige Werbeplakate. Der „Haben Rock“ beginnt mit den Zeilen: „Wenn die Irren von den Werbetafeln glotzen / wenn die Dosenköpfe aus den Fernsehröhren rotzen / wenn sie dich verkaufen wollen / lass dich nicht von ihrem Wahnsinn überrollen / denn der Wahnsinn heißt / Mensch kauf dir ein neues Auto / Mensch kauf dir ein neues Kleid / Mensch kauf dir ne neue Wohnung …“

Die Bandmitglieder lebten in Kommunen und versuchten sich durch Landwirtschaft selbst zu versorgen. von Trotha geriet dabei in eine Art Sekte. Er geriet an „Longo mai – Europäische Pioniersiedlungen“, die jugendliche Arbeitslose dazu bringen wollten, auf brachliegenden Ackerflächen kollektiv Landwirtschaft zu betreiben. Als sein Kind von ihm getrennt werden sollte und sein Freund sämtliche LPs von Jimmy Hendrix „wegen irgendeinem unsäglich Grund“ verbrennen musste, setzte sich Uwe von Trotha ab. „Das sagt wohl alles und damit wird der Bericht über meine einzige Sektenerfahrung beendet“, schließt er seine lange Beschreibung des Kommunelebens.

Der Traum ist aus

Die weiblichen Fans brachte Checkpoint Charlie gegen sich auf, weil sie im Coca-Cola-Song zu Uschis Partyvorbereitungen eine überdimensionierte Vulva, später eine weibliche Comicfigur mit einem Riesenschwanz in der Hand, an die Wand projizierten“. Die Diskussionen hätten sich hauptsächlich zwischen der Band und einer kleinen Gruppe Frauen „in einem mehrheitlich mit Männern voll besetzten Saal“ abgespielt. „Ein einziger Mann nahm wütend für uns Partei ein, indem er argumentierte, dass die Frauen ihren Frust über täglich erfahrene, saxisitsche Scheiße hier an ein paar Musikern auslassen würden. Es ging ihnen gar nicht um Diskussion und Auseinandersetzung, sondern darum, hier ihre Macht zu demonstrieren. Die Frauen steigerten sich immer mehr in eine feindliche Haltung hinein“, berichtet von Trotha. Die Frauen gewannen: „Wir verzichteten auf die Weiterführung des Programms mangels masochistischer Charaktereigenschaften und spielten noch eine Weile guten alten Rock’n’Roll.“

1991 begab sich die neu formierte Band auf eine vierzehntägige Tour durch die Ex-DDR. von Trotha bemerkte dabei viele Symptome „sich aus der Diktatur des Proletariats in eine Diktatur der Konsumgesellschaft spülen zu lassen“. Immerhin: als er nach einem Konzert seine Platten zum Verkauf präsentierte, „war die Kiste gleich bis zur Hälfte geleert, das heißt fünfzig LPs fanden ihren Liebhaber. Insgesamt hatte ich um die hundert mitgenommen, was im Westen gut für zehn Gigs gereicht hätte“.

Es war der letzte Versuch gewesen, Checkpoint Charlie wieder zu beleben. Aber die Zeiten hatten sich geändert: „Die Jugendbewegung der siebziger Jahre, autonome Jugendzentren, Umsonst-und-Draußen-Festivals, Rock gegen Rechts, Anti-AKW, Wohngemeinschaften und Landkommunen hatten sich zunehmend aufgelöst. Außerdem waren große Teile unseres Publikums älter geworden. Mit über zwanzig geht man nicht mehr ins Jugendzentrum. Es gab allgemein mehr Individualisierungstendenzen, was zur Rückkehr in Formen wie Kleinfamilie, feste Zweierbeziehung und private Wohnungen führte. Die Utopie und die Zuversicht, eine gewaltfreie, lebensfreundliche Gesellschaft gemeinsam zu erschaffen, schien erschöpft zu sein“, schreibt von Trotha. Seine Autobiografie ist ein lebendiger Blick in die Zeit, als diese Utopie gelebt wurde.

Uwe von Trotha: „Aus dem Leben eines Bastards“, Ventil Verlag, 322 Seiten, Paperback, 25 Euro, ISBN 9783955752224

Titelbild: Checkpoint Charlie von der besten Seite. Uwe von Trotha ist ganz rechts. Das Foto stammt aus von Trothas Autobiografie. (Foto: Bernd Elsner)

Ein Gedanke zu „Checkpoint Charlie“

  1. Lustig, mal etwas über die Checkpoints zu lesen: In den 70ern auf einem Schulfest an der Gesamtschule West, dann im JUZ und schließlich 1985 oder 86 beim „JUZ-Fest gegen die Schließung“, das damals unangemeldet und aus heutiger Sicht lustigerweise am Standort vom jetzigen Junitiy stattfand. Auf Anfrage waren die Checkpoints sofort bereit bei diesem anarchistischen Event mitzumachen und reisten im 406er Benz direkt ich glaube aus Berlin an…

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