Die Bürger sollen viel mehr mitreden
Von Klaus Nissen
Die Bevölkerung braucht mehr Einfluss auf die Entwicklung ihrer Gemeinden und Städte – und zwar „systemisch“ – also ständig. Das war die Botschaft eines Treffens von Wirtschaftsförderern, Planern und Kommunalpolitikern am 24. September 2025 in Rosbach. Workshops, Umfragen, die „Sandbox“ und Diskussionen auf Online-Plattformen machten die Stadtentwicklung besser und hülfen gegen Demokratie-Müdigkeit.Projekte werden so kreativer und günstiger
Bislang kann die Bevölkerung nur indirekt und alle fünf bis sechs Jahre beeinflussen, was vor ihrer Haustür passiert. Bei der Kommunal- und der Bürgermeister-Direktwahl beauftragt sie Politiker ihres Vertrauens. Zwischen den Wahlen soll es einmal jährlich eine Bürgerversammlung geben, heißt es in Paragraph 8a der Hessischen Gemeindeordnung. Es ist noch nicht mal eine Muss-Bestimmung.

Das reicht nicht aus, befanden diverse Praktiker am Mittwochabend in der Adolf-Reichwein-Halle. Die Stadtentwicklung der Zukunft brauche die dauerhafte Mitwirkung der Bürger, so Bernd-Uwe Domes von der Wetterauer Gesellschaft für Wirtschaftsförderung und Regionalentwicklung. Auch Nicole Nagel von der Nassauischen Heimstätte sieht es so: „Maßnahmen stoßen auf mehr Zustimmung, wenn sie gemeinsam entwickelt werden. Das Alltagswissen der Bevölkerung ergänzt die Fachplanung.“ Das bringe kreativere Lösungen für kommunale Projekte.
Mitbestimmung per Radtour, Workshop, Sandbox
Nicole Nagel hat es als Projektleiterin für integrierte Stadtentwicklung mit etwa 140 Kommunen zu tun. Bei der Ideensuche für eine neue Dorfmitte in Hirzenhain haben Nagel und ihre Leute zum Beispiel eine Art Sandkasten gebaut und den Hirzenhainern Klötze mit Symbolen in die Hand gegeben. Sie konnten damit festlegen, wo in ihrem Ort die Bushaltestelle, wo ein Café oder ein Spielplatz sinnvoll wäre.

Im oberen Niddertal wurden für Ortenberg, Hirzenhain und Gedern weitere Formen der Bürgerbeteiligung ausprobiert. Da gab es eine Radtour auf dem Vulkanradweg,berichtet Nicole Nagel. In Mörlenbach ließ die Nassauische Heimstätte Viertklässler ihre Wunsch-Sportstätte mit Legosteinen bauen. Und in Kelsterbach setzte sie die Online-Diskussionsplattform“Your Voice“ ein.
Nils Schellhammer von der Stabsstelle Stadtentwicklung in Rosbach ist ebenfalls vom Nutzen der stärkeren Bürgerbeteiligung überzeugt. Dazu gehöre der Mängelmelder auf der städtischen Homepage, Workshops, Gespräche vor Ort, der Youtube-Blog des Bürgermeisters Steffen Maar. Schellhammer: „Wir nehmen ernst, was die Leute sagen.“
Bevölkerung will nur moderates Wachstum in Rosbach
So habe die Verwaltung akzeptiert, dass die Bevölkerung in der jüngsten Online-Umfrage zum 2018 beschlossenen Stadtentwicklungskonzept ein nur moderates Wachstum für Rosbach und Rodheim sehen will. Obwohl oder gerade weil die Stadt große Wachstumspotenziale habe. Die Bevölkerung wuchs seit 2011 um zehn Prozent. Auf der städtischen Webseite könne jeder nachlesen, dass 22 Maßnahmen aus dem Stadtentwicklungskonzept längst in Umsetzung seien. Die erstrebte Bahnhofs-Modernisierung gehört noch nicht dazu. Und bei der Beteiligung der Jugendlichen in Rosbach gebe es noch Luft nach oben.

Bürgerbeteiligung hilft auch bei der Sportstätten-Planung, sagte Andreas Schmidt vor etwa 50 Zuhörern. Er ist Chef des Planungsbüros blfp in Friedberg. „Jede fünfte hessische Sporthalle ist in kritischem Zustand“, so Schmidt. Allein in Hessen werde der Ersatz für die abgängigen Hallen aus den Siebzigerjahren um die zwei Milliarden Euro kosten.
08/15-Sporthalle oder etwas Kreativeres?
In Rosbach geht es um den auf 18 Millionen veranschlagten Ersatz-Neubau für die Halle am Eisenkrain. Diskutiert wird, ob die Stadt so ein Projekt überhaupt stemmen kann. Und ob eine Gaststätte integriert werden soll oder nicht. Schmidt plädierte für Mut und Kreativität: „Die Norm-Turnhalle gehört der Vergangenheit an“, rief er. „Heute ist die Diversifikation von Sportflächen gefragt.“ So könnten Yogagruppen, Padel-Tennisspieler und Slackliner genauso Platz finden wie die Vereinssportler vom SV 1898, vom Sportverein 1862 und dem FC 1945 Ober-Rosbach.
Man solle ruhig schon vor dem Genehmigungsantrag einen Vorentwurf beauftragen, empfahl der dynamisch auftretende Chefplaner. Da sah sich die Erste Kreisbeigeordnete gezwungen, als Spaßbremse einzuschreiten. Der finanzielle Spielraum der Kommunen werde nicht besser, warnte Birgit Weckler kurz vor der Schlussrunde am Brötchen-Buffet. Gemeinden seien gut beraten, wenn sie eher kostengünstige Bau-Module bei der Hallensanierung wählen.
Auch die Stadt Friedberg setzt seit der Erstellung ihres ISEK auf Bürgerbeteiligung. Das gibt allen Beteiligten ein gutes Gefühl der Gemeinschaft. Mit der breiten Akzeptanz der daraus resultierenden Aufgaben und Prioritäten sieht es jedoch nicht ganz gut aus. Nicht selten kommen später diejenigen hinter dem Ofen vor, die sich bei Bürgerbeteiligungsmaßnahmen, wie im Rahmen des zu erarbeitenden integrierten Stadtentwicklungskonzeptes (ISEK) nicht oder gar abtuend zurückgehalten haben.
Schade
Dennoch, auch beim Mobilitätskonzept 2030 werden die Bürger u.a. durch Befragungen wieder mitgenommen.
Never give up!