KZ Katzbach

Ortstermin gegen das Vergessen

Von Elfriede Maresch

Die Adlerwerke Frankfurt sind Ort einer lange verdrängten Unrechtsgeschichte. Dort, wo jetzt im Gallus-Theater des Erdgeschosses die Initiative „Theater Prozess“ das Stück „Adler.Werke.Katzbach“ spielte, wurde in den Stockwerken darüber von August 1944 bis Kriegsende ein Außenlager des KZs Natzweiler (Elsass) betrieben. „Katzbach“ war ein reiner Tarnname, die Todesrate der Häftlinge war die höchste aller Außenlager.

Verdrängte Erinnerung

In Kälte, Schmutz und Hunger, rechtlos der Gewalt der SS-Wachen und der ideologisch zuverlässigen Werkschutzleute ausgesetzt, mussten sie Schwerarbeit leisten: bei der Produktion kriegswichtiger Produkte wie Motoren oder Fahrzeuggehäuse oder nach Luftangriffen in der Stadt als Bomben- und Ruinenräumkommando. Beim Herannahen der Alliierten wurden etwa 400 noch lebende Häftlinge auf den Todesmarsch in Richtung Buchenwald getrieben.

Die Werksleitung hatte schon vor Kriegsende wichtige Maschinen nach Nordhessen ausgelagert und produzierte dort insgeheim– ein taktischer Schachzug, um nach der Stunde Null Waren zu haben und wieder ins Geschäft zu kommen. Das Kalkül ging auf, der Betrieb florierte. Die Erinnerung an das KZ im Stammwerk, an die Verstrickungen der Werksleitung und mancher Mitarbeiter wurde schnellstens verdrängt. Es gelang den Verantwortlichen, sich der Entnazifizierung zu entziehen. Akten verschwanden, die Opferzahlen wurden nach unten korrigiert. Erst 1985 begann eine Schülergruppe zu recherchieren. Michael Knorn und Ernst Kaiser setzten diesen Prozess fort und dokumentierten das dunkle Kapitel Werksgeschichte unter dem Titel „Wir lebten und schliefen zwischen den Toten. Rüstungsproduktion, Zwangsarbeit und Vernichtung in den Frankfurter Adlerwerken“. Ein Förderverein setzt sich inzwischen für die Gestaltung einer Gedenkstätte dort ein.

Ein „Ortstermin gegen das Vergessen“: die Produktion „Adler.Werke.Katzbach“ , in der Bildmitte der Schauspieler Edgar M. Böhlke (Foto: Ulrich Meckler)

Die Vergangenheit kehrt zurück

Ulrich Meckler, der seit Jahren mit der Initiative „Theater Prozess“ an dieser Spielstätte Produktionen realisiert, hat mit „Adler.Werke.Katzbach“ einen „Ortstermin gegen das Vergessen“ geschaffen. Sechs Vorstellungen waren geplant, nur fünf konnten stattfinden. Die Vergangenheit kam zurück, an einem Aufführungstermin waren Teile des Stadtviertels gesperrt, eine neu entdeckte Fliegerbombe des Zweiten Weltkriegs musste entschärft werden. Aus eigenen Texten und Zitaten, etwa von Peter Weiß und Primo Levi, aus Geräuschen und Klängen von Oliver Augst und Musik von Gerhard Müller-Hornbach, von der Akkordeonistin Beate Jatzkowski gespielt, baute Regisseur Ulrich Meckler eine Collage auf. Eingeleitet wurde sie mit einer historischen Einführung von Herbert Bauch (Förderverein Gedenkstätte) und Überlegungen des Erziehungswissenschaftlers Professor Dr. Dieter Nittel (Universität Frankfurt) zur „Erziehung gegen das Desinteresse“ und zur NS-Erinnerungsdidaktik.

„Kein Bild. Kein Gesang. Keine Worte. Nichts, das sich sagen lässt“ – Mecklers Theaterstück spiegelte eine Hölle. Das Publikum saß im Kreis um den Rand der Spielstätte, auf der sich die schwarz gekleideten Akteure (Nicole Horny, Iris Reinhardt Hassenzahl, Ilja Kamphues und Edgar M. Böhlke) bewegten. Aus großformatigen Rollenskripten sprachen sie Textbausteine in elf Blöcken, von Geräuschsequenzen, Akkordeonspiel, Schweigephasen unterbrochen. Es waren Zitate aus Dienstanweisungen für die SS-Wachen („Die Ordnung ist mit allen Mitteln aufrecht zu halten. Hingerichtet wird durch den Strang bei Sonderappell vor allen Häftlingen“), aus Interviews mit Überlebenden, aus Berichten der Geschäftsleitung („Die Bestrafung durch die Wachen erfolgte streng, aber gerecht. Von Hinrichtungen ist uns nichts bekannt“). Metaphern spiegelten das unsägliche Elend: „Verlöschen des Körpers und der Seele geschah gleichzeitig und langsam“. Eine heller Gekleidete (Brigitte Schirdewan), die schweigend durch die Spielfläche schritt, gab Rätsel auf. Ein Todesengel? Verkörperung letzter verzweifelter Sehnsüchte nach Befreiung?

Schreckliche Ereignisse nahe bringen

„Kunst ist in der Lage, einen Erfahrungsraum zu schaffen, der uns inzwischen verschlossene schreckliche Ereignisse der Geschichte nahe bringt“ zitierte Ulrich Meckler im Nachgespräch. Und doch wirkte das Stück unterschiedlich auf die Zuschauer. Erschüttert waren alle, niemand bestritt die Notwendigkeit des Erinnerns. Aber bei vielen ging das Stück an die Grenze des Ertragens. „Vielleicht ist bei so auswegslosem Unrecht der reine historische Sachbericht besser“ meinte ein Besucher abschließend. Die Präsentation der Texte als Lesung ist angedacht, vielleicht auch in Zusammenarbeit mit Schulen. Ein mehrfach im Stück wiederholter Satz zeigt, dass das Erinnern unverzichtbar ist: „Es ist geschehen und folglich kann es wieder geschehen –überall.“

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