Soziale Medien

Dezentral ist demokratischer

Von Thilo Planz

Der Informationsaustausch wird von einer handvoll Social-Media-Plattformen dominiert. Eine Alternative können offene und dezentrale Plattformen für Soziale Medien sein, die von vielen unabhängigen Anbietern betrieben werden. Zu diesem Schluss kommt eine Studie der Bertelsmann Stiftung.

Algorithmische Verzerrung

„Social-Media-Plattformen sind längst zu einem zentralen Bestandteil der demokratischen Öffentlichkeit geworden, die sich zunehmend in den digitalen Raum verlagert hat. Doch die datengetriebenen Geschäftsmodelle der großen, meist außereuropäischen Anbieter fördern die Polarisierung politischer Debatten, verstärken gesellschaftliche Spaltungen und konzentrieren Macht in den Händen weniger globaler Akteure. Diese Entwicklung stellt Europas digitale Souveränität und demokratische Resilienz vor grundlegende Herausforderungen“, schreiben die Autoren der Studie der Bertelsmann Stiftung.

Ein Großteil des Informationsaustauschs und der gesellschaftlichen und politischen Meinungsbildung findet heute auf einer Handvoll dominanter, zentralisierte Social-Media-Plattformen statt. Damit haben diese die Vielzahl der vorwiegend national agierenden (und von ihrer jeweiligen Medienaufsicht regulierten) Akteure der Medienlandschaft des letzten Jahrtausends abgelöst und deren breitgefächertes und damit zumindest ansatzweise ausgewogenes Angebot durch algorithmisch auf jeden einzelnen personalisierte Inhalte ersetzt. Finanziert wird das ganze überwiegend nicht durch Nutzungsentgelte, sondern durch Werbeeinnahmen, sodass emotionale, polarisierende und desinformierende Inhalte (mit denen sich die höchsten Interaktionsraten erzielen lassen) begünstigt werden. Die Folge sind verzerrte politische Debatten und eine stärkere Spaltung der Gesellschaft.

Darüber hinaus ermöglicht diese Zentralisierung auch die direkte Beeinflussung des öffentlichen Informationsflusses und Diskurses durch einige wenige (und fast ausschließlich US-amerikanische oder chinesische) Akteure.

Studie zeigt mögliche Auswege

Als Alternative benennt die Studie offene und dezentrale Social-Media-Plattformen. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass sie von unzähligen voneinander unabhängigen Anbietern betrieben werden. Dies können Unternehmen, Vereine, staatliche Stellen oder auch Privatpersonen sein. Nutzer können wählen,
bei wem sie ein „Konto“ anlegen wollen, aber gleichzeitig weiterhin auch mit allen Nutzern anderer Betreiber interagieren. Damit dies möglich bleibt, gibt es offene Standards und Protokolle. So könnte es selbstverständlich sein,dass beispielsweise jemand mit einem LinkedIn-Konto einen Instagram-Beitrag kommentieren kann, ohne sich neu registrieren zu müssen.Im Prinzip funktioniert das also ganz genauso wie bei E-Mails.

Diese Alternativen gibt es bereits. Am bekanntesten ist das sogenannte „Fediversum“ (englisches Kofferwort aus „föderiert“ und „Universum“), das auf dem bereits 2018 vom World Wide Web Consortium als Empfehlung veröffentlichten
ActivityPub-Protokoll basiert und für das es (unter anderem) mit Mastodon eine frei verfügbare Software gibt, mit der etwa 8000 verschiedene „Instanzen“ einen Kurznachrichtendienst für weltweit etwa acht Millionen Nutzer betreiben.

Positive Beispiele

Im Anhang listet die Studie (ohne Anspruch auf Vollständigkeit, denn es gibt noch viel mehr!) einige „Best Practice“-Beispiele für gelungene Projekte, mit denen Institutionen, Organisationen, Unternehmen und Einzelpersonen erfolgreich auf dezentralen Netzwerken kommunizieren.

Vor allem staatliche Institutionen und deren Pressestellen nutzen social.bund.de, etwa das Bundespresseamt, das Umweltministerium oder der Verkehrsminister. Einige dieser Accounts haben mehrere Tausend Follower. Populäre Ministerien und Pressestellen verzeichnen zwischen 7.000 und 15.000 Follower. Ihre Beiträge werden besonders häufig geteilt und kommentiert und sie spielen eine zentrale Rolle in der öffentlichen Kommunikation.

Der Mastodon-Server Bonn.social ist eine offene, lokal verankerte Instanz für die Region Bonn und den Rhein-Sieg-Kreis und steht exemplarisch für ähnliche Angebote wie norden.social, eimsbuettel.social oder andere. Betrieben wird Bonn.social seit 2017 von der Social-Media-Agentur Bonn.digital.

Der Mastodon-Server chaos.social wird von freiwilligen Administratoren betrieben. Er entstand ursprünglich im Umfeld des Chaos Computer Clubs (CCC), besteht jedoch nach eigenen Angaben ohne formale oder organisatorische Verbindung zum Club. Die Finanzierung erfolgt ausschließlich durch Spenden der Community; der nicht gemeinnützige Trägerverein nimmt derzeit keine Mitglieder auf.

Die Universität Innsbruck bietet ein prägnantes Beispiel für die erfolgreiche Integration von Mastodon in die Hochschulkommunikation. Im Herbst 2023 wurde mit social.uibk.ac.at eine eigene Instanz auf universitätseigenen Servern eingerichtet, um eine datenschutzfreundliche und werbefreie Plattform für interne und externe Kommunikation bereitzustellen. Der Zugang erfolgt über das zentrale Single-Sign-On-System und steht allen der über 5.000 Mitarbeiter offen.

Nach dem Ausstieg aus Twitter setzt der Heise Verlag verstärkt auf Mastodon und betreibt seit Ende 2022 eine eigene Instanz unter social.heise.de. Dort sind nicht nur Hauptmarken wie c’t und heise.Security, sondern auch einzelne Redaktionsmitarbeiter aktiv. Obwohl die Reichweite noch hinter Twitter zurückbleibt, erzielen Mastodon-Links bereits rund zwei Drittel der früheren Besuchszahlen.

Der Autor und Kabarettist Marc-Uwe Kling ist auf Mastodon unter @marcuwekling@cultur.social aktiv und erreicht dort über 40.000 Follower. Er nutzt die Plattform regelmäßig, um unterhaltsame und gesellschaftskritische Inhalte zu teilen – oft in Verbindung mit seinen bekannten Werken wie den Känguru-Comics. Sein Engagement verdeutlicht die Wirksamkeit der „Plus-Eins“-Strategie: neben zentralisierten Plattformen bewusst einen zusätzlichen, offenen Kommunikationskanal im Fediverse zu etablieren.

Auch der Landbote macht mit

In der Studie unerwähnt bleibt der neue Landbote, die allseits beliebte Internetzeitung für Rhein-Main und Mittelhessen. Dabei sind auch wir seit einiger Zeit im Fediversum zu finden, und zwar bei hessen.social: https://hessen.social/@landbote Schaut gerne mal dort vorbei und tragt auch weiterhin fleißig unsere Depechen hinaus in die Weiten des Internets!

Hier ist der Link zur Studie der Bertelsmann Stiftung: bertelsmann-stiftung.de/de/publikationen .

Hier sind die Links zu den im Artikel genannten „Best Practice“-Beispielen:
social.bund.de(https://social.bund.de/explore)
[Bonn.social](https://bonn.social/about)
[chaos.social](https://chaos.social/explore)
[social.uibk.ac.at](https://social.uibk.ac.at/about)
[social.heise.de](https://social.heise.de/explore)
[@marcuwekling@cultur.social](https://cultur.social/@marcuwekling)

Titelbild: Wikipedia/By Ibrahim.ID – Own work

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