LÖWIN IST LOS

Tucholsky ahnte es schon 1920

von Jörg-Peter Schmidt

Dass es um einen dem Vernehmen nach vor einigen Tagen ausgebrochenen Löwen (bzw. eine Löwin) in Berlin große Aufregung geben würde, wie in den vergangenen Tagen geschehen, hatte Kurt Tucholsky bereits 1920 vorausgesehen. Seine Satire „Der Löw’ Ist los!“ erschien damals im Berliner Tageblatt.

Auch Tucholskys Löwe entfloh im Juli

Kurt Tucholsky (Quelle: Wikipedia, Sonja Thomassen)

Das Geschehen der Geschichte um den Löwen „Franz Wüstenkönig“, die der glänzende Journalist und Schriftsteller verfasst hatte, ähnelt in der Tat dem, was sich 2023 in der Bundeshauptstadt abspielt.  Bei Tucholsky büchst der König der Tiere aus seinem Käfig im Zoologischen Garten an einem Julitag aus. Den gleichen Sommer-Monat hat sich 2023 das Raubtier ausgesucht, das jetzt zuerst in Kleinmachnow  (Brandenburg) und an mehreren Stellen in Berlin gesehen sein soll, was (verständlicherweise)  zum Schutz der Bevölkerung mehrere Behörden auf den Plan gerufen hat.

Und wie war das bei Tucholsky 1920: „Zwei Generalstabsoffiziere arbeiten hopphopp mit ihren Referenten einen Feldzugsplan für die Bekämpfung des Löwen und fördern dazu an: zwei Armeekorps, eine Pressestelle,  24 außeretatmäßige Stabsoffiziersstellen, ein Stück Kanone, einen Landpanzerkreuer“. Zwar kann der Tucholsky-Löwe in der leeren Waldschänke   das erste Hüngerchen mit etlichen Würsten stillen – aber er will noch wissen, ob in Berlin wirklich so viel los ist , wie sich die Besucher im Zoo so erzählen…

WELT: Haben Wildschweine Löwin gefressen?

Jedoch: Die Stadt war an diesem Tag nicht wie sonst mit Menschenmassen vollgestopft– eben, weil der Löw’ los war, dem sich bei seinem Ausflug folgendes Bild bot: „Also das war Berlin. Dieser traurige Haufe von Steinkästen und schnurgeraden Straßen, die alle ein bisschen unsauber aussahen – das war das Weltdorf Berlin! Der Löwe schüttelte das Haupt.“ Enttäuscht ließ er sich abführen – zurück in seinen Käfig. Und die Kellner der Gaststätten, die sich  vor Angst schlotternd auf die Bäume geflüchtet hatten, konnten in ihre Lokale zurückkehren. Die Satire (für diesen „Landbote“-Beitrag entnommen  aus den  „Gesammelten Werken“, Rowohlt, 1989) endet also wohltuend unblutig.

Und die aktuelle Situation in Berlin im Jahre 2023? Dort hat es mittlerweile Entwarnung gegeben: Die Löwin, von der  man nicht weiß, wo sie herkommt, soll eher ein Wildschwein sein. Die WELT AM SONNTAG fragt in ihrer Ausgabe vom 23. Juli 2023 auf Seite 28: „Haben vielleicht die Wildschweine die Löwin gefressen?“

Kosten für den Einsatz von 2023 happig

So wie es aussieht, ist die aktuelle Geschichte in Berlin so gut ausgegangen wie die Tucholskys Satire von 1920. Hoffentlich bleibt es dabei – sonst wäre das Ganze wahrlich nicht spaßig. 

Die Kosten für den Sucheinsatz im Juli 2023 sind ohnehin immens.

Titelbild: Eine Löwin, wie sie dem Vernehmen nach in Berlin irgendwo ausgebrochen sein sollte. (Foto: Wikipedia, Ltshears)

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