Kloake in der Landschaft
Von Klaus Nissen
Müssen wir es hinnehmen, dass sich bei starkem Regen das Himmelswasser mit der Kloake mischt und dann in die Häuser, über Wege und Wiesen fließt? Bei Regenmengen wie im Juli 2021 im Ahrtal sei das wohl nicht zu vermeiden, sagt Michael Elsaß im Namen der Unteren Wasserbehörde des Wetteraukreises. Da lande Schmutzwasser auch mal in den Flüssen statt in den Kläranlagen. „Dann gibt es einen gewissen Verdünnungseffekt.“ Das darf man aber nicht hinnehmen, meint der Naturschützer Johann Wilhelm aus Altenstadt.Die Überlaufbecken müssten größer werden
Johann Wilhelm schlägt sich an den Kopf, wenn er hört, dass man die Vermischung von Regenwasser und Kloake nach starken Niederschlägen hinnehmen muss. „Das ist eine Sauerei!“ schimpft er. „Das kann man doch nicht durch ein Naturschutzgebiet laufen lassen!“ Mit Baumaßnahmen müsse die jederzeit drohende Dreckwasser-Flug verhindert werden, findet der Ehrenvorsitzende des Naturschutzringes Altenstadt. Konkret: Mit einem neuen, viel größeren Regenüberlauf-Bauwerk im Ortsteil Waldsiedlung. Das ist aber nicht vorgesehen.
Johann Wilhelm lässt trotzdem nicht locker. Er sieht sein Lebenswerk bedroht: Das 13 Hektar große Naturgebiet zwischen der Waldsiedlung im Süden, der Landstraße Altenstadt-Rommelhausen im Westen und der Nidder im Norden. Seit 1974 hat Wilhelm mit seiner jetzt 143 Mitglieder zählenden Gruppe Spenden gesammelt, Wiesen gekauft, fünf Teiche angelegt und die Voraussetzungen für ein blühendes Biotop geschaffen. Eisvögel, Störche, Libellen, Fische und Biber tummeln sich in der Flussaue. Und nun sieht der 80-Jährige die Gefahr, dass im Zuge des Klimawandels bei Starkregen alles mit Kloake verschmutzt wird. In der Waldsiedlung sei in den letzten Jahrzehnten zweimal überflutet gewesen, warnt Wilhelm. „Im vorigen Winter war es fast wieder so weit.“
Der Überlauf ist 36 Jahre alt
Beginnen würde die Kloakenflut im unterirdischen Regenüberlauf-Bauwerk der Waldsiedlung. Es wurde 1984 gegraben und war auf die damals etwa 800 Einwohner ausgelegt. Inzwischen zählt der Ortsteil rund 2500 Menschen und diverse Firmen, mit wachsender Tendenz. Auf der Sohle des unterirdischen Beckens beginnt das große Kanalrohr für das Toilettenwasser in Richtung Kläranlage. Ein Stück weiter verenge sich der Leitungsdurchmesser, berichtet Johann Wilhelm. So wolle man die nebenan wohnenden Oberauer vor allzu viel Abwasser schützen.
Das führe bei Starkregen aber zu einem Rückstau in der unterirdischen Kammer. Sobald er das Niveau des höher liegenden Regenwasserkanals erreicht, vermischt sich die Kloake mit dem Regenwasser und fließt in die Landschaft ab. Johann Wilhelm dokumentiert das mit unappetitlichen Fotos verschlammter Papierfetzen in den Ablaufgittern des Regenwasserkanals. Sie sehen nicht mehr wie Damenbinden, Tampons oder Mundmasken aus, seitdem der Abwasserverband vor zehn Jahren einen Zerhacker ins Regenüberlauf-Bauwerk installierte. Da bewegen sich zwei senkrecht installierte Metallwände mit Löchern gegeneinander, um die festen Bestandteile im Dreckwasser zu zerkleinern.
In den Kanalrohren bleibt Dreck liegen
Die Festkörper und Fäkalien bleiben häufiger als früher im Kanal liegen, sagt Wilhelm. Viele Menschen hätten gelernt, die Spartaste an der Toilette zu drücken. So sammle sich der Dreck in den Rohren an. Gerade im Juli 2021 habe eine Entsorgungsfirma rund 40 Kubikmeter aus dem Kanalnetz gespült. Bürgermeister Norbert Syguda widerspricht: Es seien nur 17 Kubikmeter gewesen. „Damit liegen wir im Durchschnitt der letzten Jahre.“.
Der Abwasserverband Nidder und sein Vorsteher Norbert Syguda zeigen bislang keine Neigung, für den wahrscheinlicher gewordenen Fall von Starkregen eine neue und viel größere Überlaufkammer zu bauen. Sei sei mit 845 Kubikmetern groß genug. „Eine Vergrößerung des Beckens würde bei extremem Starkregen den Wasserabschlag nur gering verzögern.“ Auch die Untere Wasserbehörde des Wetteraukreises winkt ab: Die Abwasserbehandlung in Altenstadt entspreche dem Stand der Technik. Nirgendwo könne man bei Regenfluten wie im Ahrtal verhindern, dass auch die Kloake aus dem Kanal in die Landschaft fließt. Laut Michael Elsaß ist allerdings geplant, den Regenüberlauf aus der Waldsiedlung durch einen neuen Kanal direkt mit der Nidder zu verbinden. Dann landet bei Hochwasser die Kloake gleich im Fluss und nicht im Naturschutzgebiet.
Gräben und Teiche verlanden
Johann Wilhelm findet diese Lösung unbefriedigend. Es gehe ihm darum, auch in Zeiten des Klimawandels die Kloake vom Niederschlagswasser getrennt zu halten. Und zwar durch genügend Stauraum. Er stoße damit auf taube Ohren, beklagt der rüstige Naturschützer. Wie auch mit seiner Forderung, der Abwasserverband müsse die Regenwassergräben zwischen der Waldsiedlung und der Nidder regelmäßig ausbaggern, wie wie das bis vor etwa zehn Jahren geschehen sei. Die Gräben verlandeten, der Schlamm mache auch die Teiche immer flacher. Das erhöhe wiederum die Flutgefahr. Bisher habe er stets im richtigen Moment das Stauwehr an der Nidder geöffnet, damit der Schlamm in den Fluss gespült werde. Aber das könne er mit seinen achtzig Jahren nicht immer weiter machen.
Die Gräben würden vom Abwasserverband gepflegt, widerspricht dessen Vorsteher Norbert Syguda. „Der Auenbereich ist ein sensibles Gebiet, und daher erfolgen die Unterhaltungsmaßnahmen im Abstimmung mit dem Naturschutz.“ Zu dem Syguda den Naturschutzring-Ehrenvorsitzenden Johann Wilhelm offenbar nicht zählt.