US-Wahl

Biden, der alte Fuchs

Von Michael Schlag

In der letzten Zeit kommt mir öfter ein Satz von meinem Lehrmeister am Journalistischen Seminar in Mainz in den Sinn. Wenn wir zu sehr meinten, wir hätten in der Weltpolitik schon den Durchblick, sagte Professor Gillessen: „Was wirklich geschehen ist, das werden Sie und ich nie erfahren.“ Und was ist wirklich geschehen in den vergangenen Wochen in Washington und jetzt in Chicago, in der Demokratischen Partei der USA? Ich kann es Ihnen sagen: Joe Biden, der alte Fuchs, hat die Geschichte monatelang genauso geplant und uns alle hinters Licht geführt.

Biden gibt den störrischen Alten

Er hatte nie vor, für eine zweite Amtszeit zu kandidieren, aber was wäre denn passiert, wenn er das vor einem halben Jahr schon gesagt hätte? Die demokratischen Kandidaten hätten sich in Vorwahlen gegenseitig in die Pfanne gehauen, bis keiner mehr heile dasteht und Kamala Harris wäre weit hinten runtergefallen, wie schon bei den Vorwahlen der letzten Wahl. Also spielt Joe Biden den störrischen Alten und zögert seinen Rückzug hinaus bis zum allerletzten Tag. Bis niemand in der Demokratischen Partei mehr auf die Idee kommen kann, gegen Kamala Harris anzutreten, es ist einfach keine Zeit mehr.

Und das soll nicht geplant gewesen sein? Der Mann ist seit 50 Jahren in der amerikanischen Bundespolitik, hatte ziemlich alle wichtigen Ämter inne bis hin zum Präsidenten. Glaubt wirklich jemand, der hätte hier nicht die Fäden gezogen? Und dann dieser erbarmungswürdige Auftritt als Tattergreis im Fernsehduell mit Donald Trump, das muss man erstmal so glaubhaft hinkriegen. Bei seinen Versprechern vor laufenden Kameras, Selenskyj mit Putin anreden, da hätte Joe Biden es ja fast mal übertrieben. In Wahrheit hatte er dabei sein Ziel klar vor Augen. Er wusste die ganze Zeit genau, was er tun muss, damit die Kampagne der Republikaner möglichst spät gegen die Wand fährt. Sollen sie sich ruhig auf den senilen Opa einschießen, sich schon ganz sicher fühlen; derweil bleibt die kommende wirkliche Gegnerin ohne Schaden.

Harris hat nichts gemacht, auch keine Fehler

Und damit ist auch klar, warum Kamala Harris die ganze Zeit als Vizepräsidentin nie in Erscheinung trat. Scheinbar hat sie in den vergangenen dreieinhalb Jahren nichts gemacht, also auch keinerlei Fehler und es ist nichts zu finden, was man ihr jetzt im Wahlkampf vorhalten könnte; stark und sauber steht sie da. So geht Politik, so wird es gemacht und das war Joe Bidens Meisterstück, der alte Fuchs hat sie alle reingelegt. Und als er Kamala Harris dann als neue Kandidatin durchgesetzt hat, scheinbar ohne eigenes Zutun, da zwinkert ihr Joe Biden zu: „I’m watching you, kid.“ Da hätte er sich fast, aber nur fast doch noch verraten. Joe, you did it, aber, wie erwähnt, was wirklich geschehen ist, das werden Sie und ich nie erfahren.

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