Der Japaner aus der Wetterau
Von Klaus Nissen
Seine Freunde nennen ihn „Witschi“. Der Spitznamen passt nicht nur zum Nachnamen von Jürgen Wittstock, sondern auch, weil er anderen „entwitscht“. Der 66-Jährige ist passionierter Läufer. Seit vier Jahrzehnten lebt er in Japan, verlor aber nie die Bindung zur Wetterau. Am 26. August 2025 organisiert er in Friedberg einen Benefiz-Lauf.Zwei Leidenschaften: Laufen und Japan
Kurze Hose, blaues Shirt, ein buntes Halstuch und eine weiße Basecap – so erscheint „Witschi“ zur Verabredung im Freiluft-Café an der Friedberger Kaiserstraße. Diesen Juli und August verbringt Jürgen Wittstock wie fast alle Jahre in der Heimat. Er wohnt dann in der Gartenlaube seines vermieteten Hauses in Echzell.
„Im vorigen Jahr blieb ich sogar drei Monate“, erzählt der nur 1,58 Meter große und 47 Kilo leichte Athlet. „Ich wollte Anfang Juni unbedingt beim Brüder-Grimm-Lauf aufs Treppchen.“

Das hat er geschafft. In seiner Altersgruppe (M65) wurde er Erster, unter hunderten viel jüngeren Teilnehmern immerhin der Einundsiebzigste. Weil er die 82 Kilometer von Hanau nach Steinau in nur sechs Stunden und 37 Minuten hinter sich brachte.
In Friedberg und Bad Nauheim ist der markante, kahlköpfige Sportler viel unterwegs. Die Lauf-App Strava (Handle: Juergen Wittstock) bescheinigt ihm 300 Kilometer pro Monat. Dienstags findet man ihn auf der Tartanbahn an der Usavorstadt, montags co-coacht Wittstock die Starter-Gruppe des ASC Marathon Friedberg, dem er seit 43 Jahren angehört. Am Mittwoch wird es länger. „Wir laufen da so um die 13 Kilometer“, sagt er beim Treffen im Café. Keine große Sache also.
Warum das viele Laufen? Wie kam er dazu? Das war 1979, antwortet Wittstock. Er studierte an der Uni Frankfurt. „Und ich fühlte mich fett. Ich hatte 65 Kilo auf den Hüften.“ Die waren dann bald weg.
Zufall brachte ihn nach Japan
Ansonsten sozialisierte sich der ehemalige Augustinerschüler wie damals in Friedberg üblich. Er war Stammgast im Altstadt-Kellerclub „Lascaux“, gehörte zu den Aktiven des selbstverwalteten Friedberger Jugendzentrums an der Bismarckstraße und zum Stadtjugendring-Vorstand. Noch heute haben sie Kontakt zueinander.
Wie verschlug es den jungen Wetterauer nach Japan? Es war Zufall, erzählt Jürgen Wittstock. 1982 machte er eine Reise nach Marokko. Da lernte er einen jungen Japaner kennen. Er freundete sich mit Yuichi an. Der lud ihn in seine Heimat ein. Sie gefiel Wittstock. Er beschloss, dort künftig zu leben.
Sein Geld verdiente er als Deutschlehrer an der Universität. Zeitweise war er auch Gastprofessor für nachhaltige Entwicklung an der Seoul National University im nahen Südkorea. Außerdem betätigte sich der Wetterauer als Unternehmer. Noch heute importiert er Getreidemühlen aus Europa und verkauft sie über seinen Webshop an ernährungsbewusste Japaner. Wittstock selbst ist „Flexitarier“ und achtet darauf, was er zu sich nimmt.
Das Laufen wurde auch wirtschaftlich zur Hauptbeschäftigung von Wittstock. Parallel zu den USA und Europa haben sich in Japan große Volksläufe etabliert. Auch kleinere Veranstaltungen fanden Interesse. Die organisierte Wittstock, zuerst in Kyoto, jetzt auch in Osaka und Tokyo.
Spezialist für kleinere Laufevents
Vor einigen Jahren gaben etliche Veranstalter kleinerer Läufe auf, erzählt Wittstock. Denn die Läufer verlangen heute die teure Zeitnahme mittels Chip, die beim Zieleinlauf gescannt und dann im Internet dokumentiert wird. Jürgen Wittstock hatte Glück: Der computeraffine Sohn eines früheren Mitschülers aus Friedberg hatte sich auf einer Urlaubsreise ebenfalls in Japan verliebt und war als Stipendiat in Tokyo. Da programmiert er ein eigenes Zeitnahme-System, das der Lauf-Unternehmer nun nutzen kann.
Und zwar in großem Ausmaß. „Ich mache etwa 30 Veranstaltungen pro Jahr“, erzählt Wittstock. Auf seiner Homepage ecomarathon.run finden sich Ankündigungen für Familien-Läufe mit Kindern über fünf und zehn Kilometer, aber auch Halbmarathons mit exotisch klingenden Namen wie Todabashi, Futakotamagawa oder Arakawa. Die Teilnehmer zahlen Startgebühren unter 50 Euro. Sie erhalten Lauf-Rucksäcke und spezielle Halstücher („Buffs“) und finden ihre Leistungen auf Wittstocks Facebook-, Instagram- und Tiktok-Kanälen gewürdigt.

Auch eine englische Version hat die Webseite des Lauf-Unternehmers aus der Wetterau. Denn die Läufe gewinnen an Renommee, wenn außer Japanern auch westliche Touristen und Residenten teilnehmen. Überhaupt wachse die Zahl der Einwanderer in Japan stark an, berichtet Wittstock am Café-Tisch. Weil das Land überaltert, kommen asiatische Arbeitskräfte. Auch in Japan wachse nun die Ausländerfeindlichkeit. Deutsche genössen aber immer noch Sympathie. Wittstock muss es wissen.
Fun Five am 26. August 2025
Was Japaner mögen, gefällt auch in der Wetterau: Langlauf-Veranstaltungen über relativ kurze Strecken. Jürgen Wittstock organisiert jeden letzten Dienstag im August den „Ecomarathon Fun Five“ – einen Lauf über wahlweise fünf oder zehn Kilometer.
Gelaufen wird auf den flachen Wegen der Usa-Aue zwischen Friedberg und Bad Nauheim. Start ist diesmal am 26. August um 19 Uhr am Steinpodest etwa 500 Meter vom Burgfeld Richtung Bad Nauheim. Auf Google Maps heißt die Stelle „Alter Badewasserkanal“.
Wer mitläuft, zahlt keine Startergebühr. Erwartet wird eine Spende für die Lebenshilfe Wetterau. Mehr über das Event auf der Webseite
