Der Serien-Tipp
Was für eine verdammte Zeit
Eine Tanzschule in Berlin, Mitte der 50er bis Anfang der 60er Jahre. Die Chefin will ihre drei Töchter gewinnbringend unter die Haube bringen. Klappt aber nicht richtig. Die erste tanzt lieber Rock’n Roll und kriegt von einem Musiker und Hallodri ein Kind. Die zweite heiratet standesgemäß, aber der Ehemann ist schwul. Die dritte angelt sich einen reichen Professor, das läuft aber schief und sie geht auf den Strich. So läuft das acht Jahre lang über drei Staffeln mit 18 Folgen und am Ende geht es dann doch irgendwie gut.
Was für eine verdammte Zeit, die 50er Jahre im deutschen Wirtschaftswunderland: Eine Frau braucht die Erlaubnis ihres Ehemannes, wenn sie arbeiten oder den Führerschein machen will. Ein Mann, der einen Mann liebt, muss das um jeden Preis verheimlichen, sonst droht Knast, beruflicher und sozialer Ruin. Einer unverheirateten Frau wird gegen ihren Willen ihr neugeborenes Kind entzogen. Psychisch Kranke werden mit brachialen Elektroschocks am Kopf traktiert. Die angesehene Tanzschule im Zentrum von Berlin hatte bis Mitte der 1930er Jahre andere Besitzer, über die man aber nicht spricht. Der allzeit gut gelaunte Tänzer trägt am linken Unterarm eine tätowierte lange Nummer. Ein Nebensatz, ganz beiläufig fallen gelassen, offenbart den weiter lebenden Judenhass in der ganz normalen Bevölkerung. An Körper und Seele verwundete Kriegsheimkehrer finden keinen neuen Anfang. Kalter Krieg im noch nicht geteilten Berlin, die deutsche Rüstungsindustrie freut sich über Aufträge aus Asien und das Fernsehen produziert Schnulzen.
Die Serie handelt von uns
Alles chronologisch erzählt, ruhige Kameraführung, Personen entwickeln sich von Folge zu Folge; klasse Schauspieler und Drehbuch, wilde Tanzszenen und Musik, und es gibt auch was zu Lachen. Aber was fasziniert wirklich so an der Serie Ku’damm 56-59-63? Warum kann man sich 15 Stunden lang, Abend für Abend schwer davon trennen? Es braucht einen Moment, bis man begreift: Die Serie handelt von uns. Die meisten Landbote-Autoren und -Redakteure sind in diesen Jahren geboren, das Gleiche gilt für unsere Leser. Die damals jungen Erwachsenen im Film, das sind unsere Eltern; die neu in diese Zeit hinein geborenen Kinder, das sind wir.
Und die ältere Ku’damm-Generation? Aufgewachsen und Karriere gemacht in Nazi-Deutschland, führt sie die alte Ideologie kaum verdeckt in der jungen Bundesrepublik weiter. Auflehnung kommt nur von den Jungen, und vor allem von den jungen Frauen, den Töchtern der Tanzschule. Sie werden den verbackenen Gesellschaftstanz durch freien Rock’n Roll ablösen. Ein Genuss für sich sind die alten Autos in der Serie: Borgward Isabella, der Buckel-BMW V8, Mercedes 190 SL, Lloyd Alexander, Isetta und natürlich jede Menge Käfer.
Ku’damm 56-59-63 wurde 2016 vom ZDF produziert. Die komplette Serie läuft noch einmal in der Arte-Mediathek bis zum 16. Juni 2023.