Jugendstil

Art Nouveau in Butzbach

Von Michael Schlag

Technik und Beschleunigung, das sind die Kennzeichen unsere Zeit. Aber so neu ist das nicht, das Gleiche gab es schon einmal, zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts. Telefon, Elektrizität, Luftverkehr, Automobile schufen neue Möglichkeiten für Kommunikation und Mobilität. Und es gab in den Jahren um 1900 eine künstlerische Antwort darauf, in England genannt „Arts and Crafts Movement“, in Frankreich „Art Nouveau“, in Deutschland „Jugendstil“, in Österreich „Secession“. Das Museum Butzbach widmet dieser Kunstrichtung die Ausstellung „Jugendstil – Aufbruch in eine neue Zeit“. Ausgerichtet wurde sie vom Geschichtsverein Butzbach und Umgebung anlässlich seines 125-jährigen Bestehens.

Rebellion gegen den alten Kunstbetrieb

Jugendstil lässt sich verstehen als Antwort auf die Lebenswelt des ausgehenden 19. Jahrhunderts, je nach Standpunkt des Betrachters war es eine „Belle Époque“ oder das „Fin de Siècle“. In Deutschland fallen die Dekaden zusammen mit der Zeit des Kaiserreichs. Für den größeren Teil der Menschen war es aber keineswegs eine schöne Epoche, sondern bestimmt durch die Elendsviertel der Industrialisierung in den Großstädten, so Anja Kircher-Kannemann in ihrem Vortrag zur Eröffnung der Ausstellung. „Vor allem Künstler nahmen ihre Welt zunehmend als bedrückend wahr, fühlten sich eingeengt vom alten Kunstbetrieb mit seinen alten Mustern.“

Exponate aus der Sammlung von Manfred Geisler, Bad Nauheim

Weltausstellung in Paris 1900

So lässt sich Art Nouveau auch verstehen als Rebellion. Dem Historismus der herrschenden Klasse begegnete die Neue Kunst mit klaren geometrischen Formen, mit naturalistischen Darstellungen und Pflanzenmotiven, häufig Ranken und Schlingpflanzen. Es zeigt sich darin „der Glaube an die heilende Kraft der Schönheit, insbesondere der Natur,“ so Kircher-Kannemann. Das alles vor dem Hintergrund technischer Umwälzung, mit dem großen Schaufenster der Weltausstellung in Paris im Jahr 1900. Deshalb der botanische Einschlag der ganzen Kunstrichtung, „man holte die Natur zurück in die Wohnstube.“

Anhänger aus Pforzheim, Silber, Emaille, Perle, Edelsteine
Schmuckzentrum Pforzheim

Ein Zentrum der Entwicklung in Deutschland war die Stadt Pforzheim. Um 1900, als der Jugendstil-Schmuck auf dem Zenit war, gab es hier etwa 500 Schmuckbetriebe, 30 davon produzierten künstlerisch entworfenen Modeschmuck im neuen Stil. Dafür nutzte man neue Materialien und kombinierte etwa Zinn mit Emaille, Silber, Perlen und Glas. Gerade Zinn erfuhr jetzt eine neue Rolle, zuvor war es ein Alltagsmetall, man stellte einfaches Besteck daraus her.

Zinn, Glas, Silber und Emaille

Ganz neu auch die „Art de Cologne“ der Rheinischen Bronce- und Metallwarenfabrik in Köln-Ehrenfeld mit der Fabrikmarke „Orivit“. Auch das wurde ausgestellt in der Weltausstellung in Paris 1900. Die meisten Stücke der Ausstellung in Butzbach stammen von Manfred Geisler, Jugendstilsammler aus Bad Nauheim.

Gürtelschließe aus Paris, Elfenbein, Emaille, Silber vergoldet

Eine Gürtelschließe wurde auf der Weltausstellung mit dem Grand Prix ausgezeichnet, ein Gesicht aus Elfenbein gekrönt von Rosenblüten. Mit vergoldetem Silber und Emaille hergestellt von der Werkstatt Piel Frères in Paris. So etwas wollte bezahlt sein, und damit ist man wieder bei der industriellen Gründerzeit. „Es war plötzlich enorm viel Geld im Umlauf“, erklärt Manfred Geisler. Der neue Reichtum wollte gezeigt, die herrschaftlichen Häuser wollten ausgestattet sein und „alle diese Dinge fanden auch einen Markt.“

Das zeichnet diese kleine Ausstellung wirklich aus: Die Einordnung des Jugendstils in seine Zeit, in Gesellschaft, Technik, Wirtschaft um die Jahrhundertwende. Es lohnt sich, neben dem Betrachten der Exponate auch die Begleittexte auf den beigestellten Tafeln zu lesen. Die Ausstellung im Museum Butzbach läuft noch bis zum 17. August 2025. Die Öffnungszeiten finden sich auf der Homepage des Museums.

https://stadt-butzbach.de/kultur/museum/

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