Die berühmteste Frau aus Salzwedel
Von Michael Schlag
Salzwedel, Kreisstadt der Altmark im nördlichen Sachsen-Anhalt. Am 12. Februar 1814 kam hier Jenny von Westphalen zur Welt, später Jenny Marx, die Ehefrau von Karl Marx. Zwar lebte sie nur zwei Jahre in Salzwedel, ihr Vater Johann Ludwig von Westphalen wurde 1816 als preußischer Beamter nach Trier versetzt. Jenny Marx gilt aber bis heute als die berühmteste Tochter von Salzwedel, und die Stadt hält ihr Andenken – und ihren Anteil am Marxismus – mit einer kleinen Gedenkstätte wach.Ein von Sorgen geplagtes Leben
Geboren wurde Jenny Marx in die gehobene Salzwedeler Gesellschaft: Im Taufregister der Kirche St. Marien sind elf Honoratioren der Stadt als Paten eingetragen. Karl Marx, vier Jahre jünger, wurde 1818 in Trier geboren, als Sohn einer Rechtsanwaltsfamilie. Nach der Heirat 1843 beginnt dann für die junge Frau aus der Oberschicht ein anhaltend rastloses und von Sorgen geplagtes Leben. Karl Marx, Redakteur der Rheinischen Zeitung, wurde wegen seiner politischen Ansichten schon bald in die Emigration getrieben. Erst nach Paris, dann auch dort ausgewiesen. Dann nach Brüssel, nach Köln.
Im Mai 1849 wird Karl Marx wieder aus Deutschland vertrieben, kommt über Paris nach London. Hier kann die Familie ab 1849 bleiben, allerdings, so erfährt man in der Ausstellung über Jenny Marx in Salzwedel: „Bis in das Jahr 1856 waren die materiellen Lebensumstände der Familie katastrophal.“ So heißt es in der Ausstellung über eine Wohnung in London 1850: „nach Pfändung exmittiert“ – bis 1875 musste die Familie Marx in London vier Mal umziehen. Einige Erbschaften verbesserten immer nur vorübergehend die finanzielle Klemme.
Die Gedenkstätte lebt von den Briefen
Eigenständige Einnahmen erzielte Karl Marx durch freie journalistische Arbeit. Von 1851 bis 1862 schrieb er wöchentlich Artikel für die „New York Daily Tribune“. Besser wurde es, nachdem Friedrich Engels regelmäßige Zuwendungen schickte, Jenny Marx schrieb ihm überschwängliche Dankesbriefe, wie im März 1861: „Mein lieber Herr Engels, Wie soll ich Ihnen für all‘ die Liebe und Treue danken, mit der Sie uns seit Jahren in unseren Leiden und Nöthen beigestanden haben!“
Die kleine Gedenkstätte lebt vor allem von den Briefen, die in Ausschnitten gedruckt und teils auch als Faksimile abgebildet sind. In Archiven und Privatbesitz hatten sich über 330 Briefe erhalten, die Jenny Marx geschrieben oder bekommen hat. Die Briefe schaffen große Nähe zu den Personen und führen den Besucher unmittelbar in deren Zeit. Im Grunde ist die Familiengeschichte von Jenny Marx ein einziges Desaster: Von 1844 bis 1857 brachte sie sieben Kinder zur Welt, vier starben schon bei der Geburt oder bald im Kindesalter. Nebenher hatte Karl Marx noch einen Sohn mit der Haushälterin, für den Friedrich Engels später die Vaterschaft übernahm. Zwei der drei Töchter, die das Erwachsenenalter erreichten, nahmen sich später (aber erst nach dem Tod der Mutter) das Leben.
Sekretärin, Geschäftsführerin, Lektorin
Am 13. August 1866 schrieb Karl Marx an seinen späteren Schwiegersohn Paul Lafargue (der nach dem Fall der Pariser Kommune ebenfalls ins Exil nach London flüchten musste): „Sie wissen, dass ich mein ganzes Vermögen dem revolutionären Kampf geopfert habe. … Nur würde ich nicht heiraten. Soweit es in meiner Macht steht, will ich meine Tochter vor den Klippen bewahren, an denen das Leben ihrer Mutter zerschellt ist.“ Karl Marx schrieb das ein Jahr bevor 1867 der erste Band von „Das Kapital“ erschien.
Die Ausstellung in ihrer Geburtsstadt stellt besonders den Anteil heraus, den Jenny Marx an der Entstehung der revolutionären Werke hatte. Sie war Sekretärin, Geschäftsführerin und erste Lektorin von Karl Marx. Dessen Handschrift war so unleserlich, dass Jenny alle Texte abschrieb und zum Druck vorbereitete. Zudem führte sie die Verhandlungen mit Verlegern und Herausgebern. „Schade, dass keine Aussichten auf Pension da sind für meine langjährigen Sekretariatsdienste,“ klagt sie aber bereits 1859 in einem Brief an Friedrich Engels.
Wenngleich ihre Arbeit für Karl Marx wohl wirklich unverzichtbar war – froh war Jenny Marx damit nicht. So schrieb sie am 26. Mai 1872 aus London an Wilhelm Liebknecht in Leipzig: „Uns Frauen fällt in allen diesen Kämpfen der schwerere, weil kleinlichere Teil zu. Der Mann, er kräftigt sich im Kampf mit der Außenwelt, erstarkt im Angesicht der Feinde, und sei ihre Zahl Legion, wir sitzen daheim und stopfen Strümpfe.“ Und weiter: „Die tagtägliche kleine Not nagt langsam aber sicher den Lebensmut hinweg.“
Ab 1875 verfasst Jenny Marx (anonym) Theaterkritiken für die Frankfurter Zeitung und den Karlsbader „Sprudel“. Bissig und ironisch knöpft sie sich auch die Londoner Society vor. Jenny Marx starb am 2. Dezember 1881 in London. In seiner Grabrede sagte Friedrich Engels, was sie mit „solch großer Kraft der Hingabe, in der revolutionären Bewegung geleistet, das hat sich nicht an die Öffentlichkeit vorgedrängt, ist niemals in den Spalten der Presse erwähnt worden.“
Die Erinnerung an Jenny Marx wird wachgehalten
Zu Zeiten der DDR war Jenny Marx in Salzwedel hochgeehrt. Am 12. Februar 1949 (zum 135. Geburtstag) gab es die „Feierliche Enthüllung der Jenny-Marx-Gedächtnisstätte“ mit Umbenennung der damaligen Lorenzstraße in Jenny-Marx-Straße. 1969 wurde ihr Geburtshaus zum „Museum über die Familie Marx“ mit politischer Bildungseinrichtung. Die Gedenktafel las sich damals so: „In diesem Hause wurde am 12. Februar 1814 Jenny Marx, geborene von Westphalen, geboren. Vorkämpferin für Demokratie und Sozialismus.“
1989 wurde das Museum aufgelöst. Bis heute hält die Stadt Salzwedel aber die Erinnerung an Jenny Marx in zwei sorgfältig und liebevoll gestalteten Räumen wach, außerdem gibt es in der Stadt eine Jenny-Marx-Grundschule, eine Kindertagesstätte Jenny Marx und den Turnverein „Wohnsportgemeinschaft Jenny Marx“. Im Geburtshaus in der Jenny-Marx-Straße 20 ist heute eine Musikschule. Und mit etwas Glück wird der ganze Besuch in dem kleinen Museum im Erdgeschoss begleitet von Klavierübungen eine Etage darüber.
Titelbild: Der Eingang zur Jenny-Marx-Ausstellung.
Ein Gedanke zu „Jenny Marx“