Fremde.Heimat.Friedrichsdorf
Die Zuwanderung von Migranten – ein Thema, das derzeit viele Menschen bewegt. Die aktuelle Ausstellung „Fremde.Heimat.Friedrichsdorf“ im Heimatmuseum Seulberg (Hochtaunuskreis) zeigt am Beispiel der Stadt Friedrichsdorf, welche soziale, kulturelle und wirtschaftliche Bedeutung das meist unfreiwillige Kommen und Gehen von Menschen in der Geschichte der Taunusstadt hatte und zugleich, vor welche Herausforderungen dieses die einheimische Bevölkerung stellte – vom 17. Jahrhundert bis heute.
Hugenotten – Gastarbeiter – Kriegsflüchtlinge
Zwei Zitate, zwischen denen Jahrhunderte liegen: Das eine „Lieber will ich mein Silbergerät verkaufen, als diesen armen Leuten die Aufnahme versagen.“ Das andere: „Wenn nicht wir Hugenotten-Nachkommen, wer soll dann den Flüchtlingen helfen.“ Beide sind sie in der Sonderausstellung „Fremde.Heimat.Friedrichsdorf“ im Heimatmuseum Seulberg (Hochtaunuskreis) nachzulesen. Das Erste stammt von Friedrich II. von Homburg. Der Landgraf hatte Protestanten, die das Edikt von König Ludwig XIV. aus dem Jahr 1685 zum Katholizismus zwingen sollte, in sein Gebiet aufgenommen. Das Zweite ist von Lutz Kunze, einem der Gründungsmitglieder des AK Asyl. Der Arbeitskreis ist seit Anfang der 1990er Jahre in der Taunusgemeinde Friedrichsdorf ehrenamtlich aktiv.
Es ist ein ambitioniertes Anliegen, das die Ausstellungsmacher – der Geschichtsverein und der Arbeitskreis Asyl in Kooperation mit einem Unterrichtsprojekt der achten Klassen der Philipp-Reis-Schule – auf eng begrenzten Raum im Erdgeschoss des Heimatmuseums Seulberg umgesetzt haben: Zunächst den Begriff Heimat in seinen Interpretationen zu erläutern (romantisch, idyllisch, nationalistisch, realistisch). Dann die Gründe für Migration zu benennen – Armut, Krieg, Verfolgung, Vertreibung.
Glaubensflüchtlinge gründen Friedrichsdorf
„Am Anfang waren Flüchtlinge. Wenn ein Ort auf eine lange und besondere Geschichte unter den Vorzeichen Flucht, Migration oder Arbeitssuche zurückblicken kann, dann ist es Friedrichsdorf“, heißt es in der Begleitbroschüre zur Ausstellung. Geht doch die Gründung der heute rund 25.000 Einwohner zählenden Stadt 20 Kilometer nordwestlich von Frankfurt darauf zurück, dass die vertriebenen Protestanten, Hugenotten, ihre Gründung zum Dank für den hessischen Landgrafen II. von Homburg nach dessen Vornamen Friedrich benannten. Allein: Der Bevölkerung der umliegenden Ortschaften waren die rund 150 französischen Glaubensflüchtlingen nicht unbedingt willkommen. Doch ihre handwerklichen Fähigkeiten sollten bald für eine positive wirtschaftliche Entwicklung der Kommune sorgen.
Auch die 485 nach dem Zweiten Weltkrieg aus dem Sudetenland oder Ostpreußen Kriegsvertriebenen, die Friedrichsdorf 1946 zugewiesen wurden, trafen in der Bevölkerung auf viele Vorbehalte. Die meisten von ihnen fanden ein erstes Obdach in Baracken oder durch die sogenannte „Zwangsbewirtschaftung in Privatwohnungen“ – oft zum Unmut ihrer „Gastgeber“. Hatten sie erst einmal doch meist nicht mehr, als das, was sie am Leibe trugen oder in wenigen Koffern. Doch auch sie brachten handwerkliche Fähigkeiten mit, die bis dahin im Taunus wenig bekannt waren: unter anderem die Kunst, Posamenten zu fertigen.In den 1960er Jahren sind es Gastarbeiter aus Italien, die sich in Deutschland und so auch in Friedrichsdorf, ein besseres Auskommen als in ihrer Heimat erhoffen. Oft nur ein Überleben für sich und ihre Familien. In den Ausstellungsvitrinen sind auch die Pässe von Menschen aus der Türkei, Griechenland, Vietnam zu sehen. „Mit der Erstaufnahme von 330 Geflohenen im Rahmen der aktuellen Geschehnisse schloss sich in gewisser Weise ein Kreis“, so die Ausstellungseinführung. Mit der Erstaufnahme von Menschen aus dem Irak, Syrien, Afghanistan.
Bewegende Zeugnisse
Vieles über Gründe und Motive, die Menschen dazu bringen, ihr Zuhause zu verlassen, lässt sich heute im Internet nachlesen. In kurzen Texten auch in der Ausstellung. Doch sie machen nicht den Wert aus, diese im Heimatmuseum Seulberg zu besuchen. Es sind die persönlichen Notizen, die Fotos aus Privatbesitz, individuelle Gegenstände, die die Ausstellungsmacher zusammengetragen haben. Die Plakate und Interviews, die die Philipp-Reis-Schüler mit Nachfahren der Hugenotten und Zeitzeugen geführt haben. Auch wenn nicht jedes Exponat beschriftet ist und damit zugeordnet werden kann: Es kann doch Bilder im Kopf erzeugen, wie das war oder ist: auf der Flucht zu sein – vor Jahrhunderten wie heute.
Die Ausstellung zeigt darüber hinaus, dass es nicht nur Migranten in die Region, sondern auch aus dieser gab: Wie die Menschen, die Mitte des 19. Jahrhunderts, mit der Hoffnung auf eine bessere Zukunft in die „Neue Welt“ nach Amerika, auswanderten. Und sie erinnert an die jüdischen Mitbürger, die vor der Verfolgung durch die Nationalsozialisten ins Exil gehen mussten.
Da ist das Gesangbuch einer Hugenotten-Familie in französischer Sprache. Die einfache weiße Schüssel, die eine Kriegsvertriebenen-Familie als erstes Gut für ihren neuen Hausstand in Friedrichsdorf erwarb. Die Nachbildung eines Trinkbechers aus Persien. Ein gebürtiger iranischer Kaufmann, seit vielen Jahren in der Taunusstadt ansässig, bekam ihn von einem Freund geschenkt. Der Mann hatte den Iran verlassen, weil er sich weigerte in den ersten Irak-Krieg zu ziehen.
Dann nach dem Rundgang, der wie ein Zeitstrahl aufgebaut ist: An der Vitrine mit Landkarten der aktuellen Routen der Geflohenen über das Mittelmeer oder durch den Balkan: eine orangene Rettungsweste. Wer sie am Leib trägt, wird überlebt haben. Wird vielleicht in Deutschland Asyl bekommen. Und vielleicht auch eingebürgert werden. Wenn er den Einbürgerungstest besteht. Er liegt für alle Ausstellungsbesucher bereit. „Dass Menschen aus welchen Gründen auch immer, aus Not, Verzweiflung, vor Terror, Krieg oder Verfolgung flüchteten“, sagt eine Besucherin, „scheint mir kein neues Phänomen der Globalisierung zu sein, sondern eines der Ungerechtigkeit.“
Die Sonderausstellung Fremde.Heimat.Friedrichsdorf ist noch bis 1. März 2017 zu sehen. Öffnungszeiten mittwochs und donnerstags von 9 bis 12 Uhr sowie sonntags von 14 bis 17 Uhr. Letzte öffentliche Führung am 9. Februar, 19 Uhr. Der Eintritt ins Museum ist frei. Um Spenden wird gebeten. Kosten für die Führung: drei Euro. Gruppenführungen nach Voranmeldung. Zum Thema „Flucht und Vertreibung“ Führungen für Schulen und Kindergärten. Die Ausstellung wurde durch das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst sowie die KulturRegion Rhein Main und der Stiftung Flughafen Frankfurt/Main gefördert.