Es muss noch was passieren
von Michael Schlag
Fünf Freunde: Zoe, Fiffy, Nico, Tristan und Dennis. Sie sind gleich alt, kennen sich seit vielen Jahren und sie treffen sich immer wieder mal. Dazwischen rennen die Jahre in 10er-Schritten. Sie werden gemeinsam 40 – 50 – 60 und langsam fragen sie sich, was das Leben denn bisher geboten hat und was noch kommen soll. Was hat man versäumt, was lässt sich nachholen, für was ist es noch nicht zu spät? Sollte man nochmal aufbegehren gegen das kommende große Nichts oder sich lieber mit Bestattungsvorsorge beschäftigen? „Bondi Beach“ am Staatstheater Oldenburg macht daraus ein gleichzeitig tiefgründiges und krachend lustiges Theaterstück.Freiheit des eigenen Glücks
Erstmal zum Ernst der Sache, die Einführung durch das Staatstheater hilft einem auf die Sprünge. Glück, im Sinne von Sartre und Camus, meint das individuelle, das eigene Glück – wir sind ganz frei, darüber zu verfügen. Schöne Vorstellung, allerdings ist das eine zweischneidige Sache. Dann nämlich können wir das Glück, oder das ausbleibende Glück, nicht dem Schicksal anlasten, sondern wir selbst haben die Verantwortung. Sinn gibt man dem Leben durch das eigene Handeln und in dieser Freiheit steckt leider auch die Angst, an ihr zu scheitern.
Ein wenig philosophischer Hintergrund darf erstmal sein, aber Bondi Beach ist ja eine Komödie. Zoe, Fiffy, Nico, Tristan und Dennis werden also in Zehnerschritten gemeinsam älter, mit jedem runden Geburtstag wird alles etwas ruhiger. Man erinnert sich noch vergnügt an gemeinsame Missetaten, aber jetzt ist man nicht mehr so wild. Man sucht nicht mehr die Ekstase, eher den ruhigen Genuss, man holt nicht mehr eine Flasche Wein, sondern geht in den Keller und wählt eine „gute“ Flasche Wein. Ist der Verlust zu bedauern, was bleibt davon und vor Allem: Was erwarten wir denn noch? Die Zeit wird langsam knapp und „es muss noch was passieren hier!“
Jeder hat eigene Abzweige genommen
Die alte Clique spielt es durch, das Leben. Man kann sich vorstellen, wie sie schon in der Schule in derselben Klasse waren, später vielleicht Studenten oder noch später im Beruf. Die Wege trennen sich zeitweise, jeder hat eigene Abzweige genommen, aber sie finden sich immer wieder, meistens vergnügt und immer zugewandt. Und dann versucht doch jeder mal den Ausbruch – ehe es zu spät ist – aus der eigenen und der gemeinsamen Lebensgeschichte: Mal ist es eine neue Liebschaft, mal bisher vermisste Spiritualität, mal Auswandern nach Florida, oder liegt die Lösung für das erfüllte Leben vielleicht im Lifestyle des australischen Bondi Beach (womit man beim Titel wäre)? Soviel sei verraten: Alle landen unsanft wieder auf der Bühne und in der Realität ihres Lebens.
Diese Bühne ist vollkommen kahl, einfach eine runde graue Scheibe. Es gibt kein Bühnenbild, nur ganz sparsam tauchen mal kleine Requisiten auf und verschwinden wieder. Unfassbar, wie es fünf großartigen Schauspieler gelingt, damit ein ausverkauftes Theater in ihren Bann zu ziehen.
„Bondi Beach“ von Rebekka Kricheldorf zeichnet die Figuren und deren Lebensmuster so nah und so treffend, mehr als einmal findet man sich selber wieder: Ja, genau so war das auch bei mir. Und was zeichnet schließlich ein intensiv gelebtes Leben aus, wenn die Gedanken irgendwann ans eigene Sterben gehen? Das Ganze wird dargeboten mit Feinsinn und gleichzeitig ungehemmtem Humor. Eine Komödie für alle, die sich fragen, wo die Zeit geblieben ist und denen manchmal in den Sinn kommt: „War’s das schon?“ Diese Frage allerdings darf sich jeder Zuschauer auf dem Nachhauseweg selbst beantworten. Der Theaterkritiker der Nordwest-Zeitung (NWZ) schrieb in seiner Empfehlung zu Bondi Beach: „Dieses Feuerwerk aus bösem Witz, scharfem Blick und großer Spielfreude sollte man nicht verpassen.“ Besser kann man es nicht sagen.
Das Titelbild zeigt von links nach rechts:
Franziska Werner (Fiffy), Julia Friede (Zoe), Gerrit Frers (Tristan), Klaas Schramm (Dennis), Hagen Bähr (Nico)
Foto © Stephan Walzl
Bondi Beach wird in Oldenburg noch bis April 2026 aufgeführt
https://staatstheater.de/programm/schauspiel/spielzeit-2526/bondi-beach
In diesem Herbst und Winter wird das Stück in anderer Inszenierung und Besetzung auch in Potsdam und in Bielefeld gegeben.