Wölfersheim

Energiemuseum gerettet

Von Detlef Sundermann

Beinahe wäre eine der wenigen Türen zur Wölfersheimer Industriegeschichte zugeschlagen worden. Der Verein zur Pflege der Bergwerk- und Kraftwerkstradition konnte mangels Personal für den Vorstand nicht mehr weiter geführt werden, sagt Helmut Rieß, einer der bei der Gründung im Jahr 1991 dabei war und wie die meisten Mitglieder heute um die 80 ist. Das Gründungsjahr markiert das Ende des Braunkohleabbaus in der Wetterau, nach 200 Jahren, und des 1913 erbauten sowie 1927 und 1962 erweiterten Kohlekraftwerks am Wölfersheimer See.

Gemeinde führt das Museum weiter

Die Preußen-Elektra, die einst die Hefrag (Hessen-Frankfurt AG) übernahm, machte danach Tabularasa mit der Bagger- und Fördertechnik sowie dem Kraftwerk, von dem lediglich im Gedenken an diese Epoche die gewaltige Kühlwassersprinkleranlage im See verblieb, die heute befremdlich und rätselhaft erscheint. Neun ehemalige Beschäftigte gründeten den Verein zur Pflege der Bergwerk- und Kraftwerkstradition in der Absicht, die Ortsgeschichte in einem Museum zu verewigen, das Wölfersheimer Energiemuseum (WEM). Das WEM findet vermutlich allein in der nordhessischen Kohleregion Borken ein Pendant. Dort gibt es zudem eine weitere Parallelität der Ereignisse zu Wölfersheim, auch in Borken war 1991 endgültig Schicht im Schacht.

Ex-Hefrag-Beschäftigte und Vereinsmitglieder (von links) Heinz-Joachim Dudek, Helmut Rieß und sein Bruder Hugo. (Fotos: Sundermann)

Die Gemeinde wird das WEM weiterführen und sogar jemand beschäftigen, der den Bestand neu erschließt, heißt es nach der Übernahme von Bürgermeister Rouven Kötter (SPD). Der Braunkohleabbau, der sich über knapp 1300 Hektar auf den Markungen etwa von Echzell, Reichelsheim und Wölfersheim erstreckte, schuf zuletzt die Wetterauer Seenplatte in dem an sich seelosen Kreisgebiet. Der Besucher, der durch die Ortschaften fährt, sieht außer ein paar Industriebahnen auf Rasenflächen (auch in Weckesheim) als Freilichtausstellung nichts mehr von dem, was so viele Generationen bei der Hefrag und später bei der Preußen-Elektra Arbeit gegeben hat. „Ach, hätte das Dorf wenigstens noch das Maschinenhaus des Kraftwerks, man hätte heute ein gut besuchtes Industriedenkmal“, heißt es im Ort. Auf der Fläche, wo einst das Kraftwerk mit seinen drei bis zu 100 Meter hohen Schloten stand, breitet sich nun auf 14 Hektar eine Photovoltaik-Anlage aus, die im Vergleich zu ihrem Vorgänger nur ein Bruchteil der Energie liefert. Die einst drei Turbinen versorgten rund 200 000 Menschen mit Strom. Mit auf dem Kraftwerksgelände stand von 1927 bis 1951 ein Schwelwerk, in dem Rohprodukte erzeugt wurden. Es gewann vor allem in Zweiten Weltkrieg an Bedeutung, weil dort Treibstoff hergestellt werden konnte. Nach dem Krieg bestand bestand für Schwelprodukte kaum noch ein Markt.

Die Energie nach der Braunkohle

Das WEM ist vor Jahren in dem großen, denkmalgeschützten Gebäude des ehemaligen Umspannwerks aus dem 1920er Jahre untergebracht worden. Nach dem Umbau ist dort ebenfalls die Feuerwehr untergekommen, museal werden ein Teil des Erdgeschosses (etwa für Arbeitsgeräte und Gesteine) und die komplette obere Etage. Dort werden auch Schauen zur energetischen Nachära der Braunkohle, die Photovoltaik und die Biogasanlage am Ortsrand von Berstadt präsentiert. Wie es in Wölfersheim mit dem Bergbau anfing, unter welchen Arbeitsbedingungen er stattfand und welche Tradition sich entwickelte, das zeichnet das WEM nach, mit Fotografien, pechschwarzen Paradeuniformen und einem nachgebauten Schacht, der mit Originalgrubenholz ausgekleidet ist. In dem Stollen fehlt auch die Lore nicht. Von 1804 bis 1929 wurde ausschließlich unter Tage der Erde die Braunkohle entrissen. Sehr in die Tiefe ging es hierbei nicht. Durchschnittlich 50 Meter, sagt Helmut Rieß, der als Bergbauingenieur einige Jahre für die Hefrag arbeitete. Dennoch waren die Hauer und anderen Kumpel unter Tage allen Gefahren des Bergbaus ausgesetzt besonders dem Grubengas. Im Museum reihen sich dazu historische Sicherheitslampen. Ein doppeltes Drahtnetz verhinderte, dass die Flamme das Methan zur Explosion bringen konnte, erläutert Ries. Zudem konnte mit der Lampe der Methangehalt im Schacht geprüft werden. Stieg die Flamme im Glaskolben, musste schleunigst ein tragbarer Ventilator eingeschaltet werden, so Rieß. Mehrere Exponate dokumentieren obendrein die bergmännische Sicherheitsausstattung, von der Erst-Hilfe-Fibel bis hin zum getränkekistegroßen Funktelefon und einem Pulmotor, einem Beatmungsgerät. Im Wölfersheimer Bergbau soll es 15 Tote gegeben haben. Der 1929 begonnene und ab 1962 forcierte Tagebau sei nicht minder gefährlich gewesen, auch weil die Maschinen nunmehr schneller liefen, sagt Rieß.

Gut gefüllte Gemeindekasse

Bis 1500 Menschen fanden bei der Hefrag Arbeit. Eine kleine Arbeitersiedlung wurde im Wölfersheim gebaut. Die Reihenhäuser besitzen zum Teil ein Tonnendach, in dem sich das Obergeschoss befindet. Das Dorf wuchs überdies mit Direktorenhäusern. Als Ausdruck der gut gefüllten Gemeindekasse durch die Hefrag waren die Straßen und Gehwege vor den meisten anderen Dörfern in der Wetterau gepflastert, und das Abwasser lief durch einen Kanal, sagt Rieß. Dafür hatten die Hausfrauen in Wölfersheim – und vielleicht nicht nur dort – bis zum Einbau der Elektrofilter im Kraftwerk je nach Wetterlage heftig gegen den Feinstaub zu gekämpft gehabt. Das Kraftwerk sorgte für tropische Bedingungen im Kühlsee. Dort soll die Temperatur selten unter 23 Grad Celsius gesunken sein. Ob des Fischreichtums gab es dort mithin Hessens größten Anglerverein mit 1100 Mitglieder – immerhin hing so mancher Exote am Haken. Nur ein Freibad wurde der rund 38 Hektar große See nicht, und wird er auch heute nicht wegen der weiterhin gefährlichen Strömung. Mit dem Abschalten des E-Werks begann das große Fischesterben. Tonnenweise seien die Kadaver an Land geholt worden, wo sie als letzten Gruß der Epoche einen heftigen Verwesungsgeruch durch Wölfersheim schickten.

Das Museum befindet sich in der Seestraße 11 (am Kreisverkehr mit dem Bergbauthema Kumpel und Lore) und ist sonntags von 14 bis 17 Uhr geöffnet . Eintritt ist frei. Frühere Hefrag-Beschäftigte, Mitglieder des ehemaligen Vereins, führen auf Wunsch durch die Ausstellung, Anmeldung bei der Gemeinde unter 06036 / 9737-62.

Woelfersheimer-Energie-Museum

tagebau

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