Schutzgemeinschaft

Leitbild für Wasserverbrauch

Von Corinna Willführ

Rund 121 Liter Trinkwasser verbraucht jeder Frankfurter täglich. 33 Liter davon für die Toilettenspülung. Das soll nicht länger so sein. „Kein Trinkwasser für Frankfurter Klos“ fordert die Schutzgemeinschaft Vogelsberg schon seit langem. Wie ihre Forderung in das Integrierte-Wasser-Ressourcen-Management Rhein-Main (IWRM) aufgenommen wird? Demnächst  wird das Hessische Umweltministerium die Einzelheiten des IWRM  vorstellen.

33 Liter täglich für die Toilettenspülung

Frankfurt wächst unaufhörlich. Bis zum Jahr 2030 werden neue Wohnungen für rund 70.000 Menschen in der Mainmetropole entstehen. Derzeit leben in der größten hessischen Stadt rund 750.000 Einwohner. Jeder von ihnen verbraucht täglich circa 121 Liter Wasser. Fürs Baden und Duschen 44 Liter. Für  für die Wäsche 15 Liter. Zum Kochen fünf – und 33 Liter für die Toilettenspülung.

Doch für die Entsorgung der Notdurft der Zigtausenden braucht es nach Ansicht der Schutzgemeinschaft Vogelsberg (SGV) kein Trinkwasser. Der seit 1989 bestehende Interessensverbund fordert deshalb: „Kein Trinkwasser für Frankurter Klos“. Der Schutzgemeinschaft Vogelsberg gehören neben dem Landkreis Vogelsberg mehr als 20 Kommunen und über 100 Naturschutzverbände und Privatpersonen an.

Sorge um Grundwasserspiegel

Sie alle treibt die  Sorge um, dass durch den „räuberischen“ Verbrauch des Lebensmittels Nummer eins in der Großstadt und in Rhein-Main, die Lebensräume von Flora und Fauna zwischen Schotten und Alsfeld, Gedern und Lauterbach gefährdet sind. Zudem: dass der Grundwasserspiegel des Mittelgebirges durch einen Raubbau am Wasser  sinkt. Und damit auch die Lebensqualität der Menschen in dem Mittelgebirge.

Rund 100 Kilometer ist der Vogelsberg von Frankfurt entfernt. Seine Landschaften und Fachwerkstädte sind zu allen Jahreszeiten Anziehungspunkte für Touristen. Noch verfügt das Mittelgebirge vulkanischen Ursprungs  über reiche Wasservorkommen über und unter der Erde. Doch auch im Vogelsberg macht sich der Klimawandel bemerkbar. Derzeit liefert die Region  – zusammen mit der Wetterau und dem Spessart –  rund 50 Prozent der in Frankfurt benötigten Wassermenge. Das bedeutet jährlich: 30 Millionen Kubikmeter. Etwa 36 Prozent kommen aus dem Hessischen Ried. Aus Brunnen auf städtischem Grund fließen in Frankfurt nur etwa elf Prozent des benötigten Bedarfs.

„So kann es nicht weitergehen“

Vor rund einem Jahr hat das Hessische Umweltministerium vor dem Hintergrund des Klimawandels und des Bevölkerungswachstums im Ballungsraum Rhein-Main Verbände, Organisationen und Institutionen unterschiedlicher Couleur aufgerufen, sich an einem Prozess zur Sicherung des Lebensmittels Nummer eins zu beteiligen. Seitdem tagten diese in verschiedenen Gruppen, unter anderem zu den Themen „Wasserverwendung“ oder „Verbundsysteme“ mehrfach.

Eine Spirale ohne Ende? Exponat im Schottener Museum Vulkaneum, das die Wasserentnahme aus dem Vogelsberg thematisiert. (Fotos: Corinna Willführ)

Auslöser für die Initiative des Hessischen Umweltministeriums war die Erkenntnis, „dass die etablierten Strukturen der derzeitigen Wasserversorgung zunehmend an ihre Grenzen stoßen“. Also müsssen neue Wege gefunden werden, dass die „essentielle Ressource so bewirtschaftet wird, dass eine Steuerung für Folgegenerationen weiter gesichert bleibt.“ So ist es im Netz auf den Info-Seiten des Integrierten Wasser-Ressourcen-Managements-Rhein-Main zu lesen. Über die Details, wie die Wege, Maßnahmen oder Regulierungen bei der Wasserentnahme und dem Wasserverbrauch konkret aussehen sollen, ist dort noch nichts nachzulesen. Die an dem Entwicklungsprozess des IWRM beteiligten Akteure haben bis zur offiziellen Darstellung der Ziele des Leitbild-Prozesses Stillschweigen vereinbart.

Doppeltes Leitungssystem muss Standard werden

So sind auch die Ziele des IWRM-Leitbildes so allgemein formuliert, dass sie wohl niemandem zu Widerspruch Anlass geben: „eine nachhaltige Ressourcenbewirtschaftung, eine rationelle Wasserverwendung und eine effiziente Organisation“. Auch bei der Frage, wem das Leitbild nutzen soll, dürfte sich kein Protest regen: Behörden, Politik und Maßnahmeträgern – unter  Berücksichtigung der „legitimen Akteursinteressen“.

„Legitime Akteursinteressen“ vertritt die Schutzgemeinschaft Vogelsberg. Sie setzt sich bereits seit 1989 für die schonende Grundwassergewinnung aus der Region ein. Um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, hat sich die SGV  in einem offenen Brief Anfang Mai 2018 unter anderem an den Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt, Peter Feldmann (SPD), den Magistrat der Stadt und die Darmstädter Regierungspräsidentin, Brigitte Lindscheid, gewandt. Das Regierungspräsidium Darmstadt ist die zuständige Aufsichtsbehörde. Die Zulieferung aus dem Vogelsberg und dem angrenzenden Wetteraukreis bis nach Frankfurt obliegt der Ovag, der Oberhessischen Versorgungsbetriebe AG. Die Verteilung sowohl an Privathaushalte wie Unternehmen in Frankfurt ist Aufgabe der Mainova AG. Für Wassergewinnung, Qualitätskontrolle und Transport ist die Hessenwasser GmbH & Co KG zuständig. Hessenwasser versorgt im Auftrag der Kommunen mehr als zwei Millionen Menschen in Südhessen mit dem kostbaren Nass.

Es sind also viele Akteure mit unterschiedlichen Interessen und Aufgaben daran beteiligt, dass Wasser aus den Hähnen in Frankfurt fließt. Allein: Trinkwasser muss es für die Toiletten nach Ansicht der Schutzgemeinschaft Vogelsberg nicht sein. Sie fordert deshalb:  In allen Neubaugebieten in der Mainmetropole sollen neben Trinkwasserleitungen auch – selbstverständlich davon getrennte – Nicht-Trinkwasserleitungen beispielsweise für die Toilettenspülung, Grünanlagenbewässerung etc., verbindlich werden.   Heißt: ein  doppeltes Wasserleitungsnetz muss  Standard werden.

Wasserversorgung ist Daseinsvorsorge
Der Biochemiker Dr. Hans-Otto Wack ist wissenschaftlicher Berater der Schutzgemeinschaft Vogelsberg.

Eine Nachrüstung solcher Nicht-Trinkwasserleitungen wäre außerdem aus Sicht der Schutzgemeinschaft Vogelsberg wünschenswert. Aber auch machbar? Dr. Hans-Otto Wack, Biochemiker und wissenschaftlicher Berater der Schutzgemeinschaft Vogelsberg aus Schotten,  beantwortet die Frage mit einem klaren „Ja“ und verweist auf das Beispiel „Schwarzer Berg“ in Nieder-Florstadt (Wetteraukreis). In dem Gebiet werden die Bewohner sowohl mit Trink- wie Nicht-Trinkwasser versorgt. Wack: „Das funktioniert einwandfrei. Die Leute finden das toll.“ Nicht zuletzt, weil ein Kubikmeter Nicht-Trinkwasser nur etwa die Hälfte eines Kubikmeters Trinkwasser kostet. Die Preise für Trinkwasser ziehen stetig an. So sind diese für einen Zwei-Personen-Haushalt von 2005 bis 2016 deutschlandweit – je nach Bundesland allerdings sehr unterschiedlich – um durchschnittlich rund 25 Prozent gestiegen. Laut den statistischen Daten des Landes Hessen zahlten „Hessinnen und Hessen 2016 im Schnitt 276 Euro für Wasser- und Abwasserentgelte“ (Stand: August 2017)

„Die Wasserversorgung ist ein wichtiger Teil der gesellschaftlichen Daseinsvorsorge. Die Verantwortung hierfür tragen die Politik des Landes und der Kommunen, nicht aber  Unternehmen“, heißt es in einer der Thesen der Schutzgemeinschaft Vogelsberg zum „Tag des Wassers“ (21. März 2018). Eine These, der in einer Podiumsdiskussion im DGB-Haus in Frankfurt am Vorabend niemand widersprochen hat. Denn, so stellte Beatrix Tapesser, Staatssekretärin im Hessischen Umweltministerium, an dem Abend fest, dass es ein „Weiter so“ im Umgang mit dem Thema Wasser in der Region angesichts des Klimawandels nicht mehr geben könne.

„Ein intakter Naturraum braucht ausreichend Wasser – besonders in extremen Trockenzeiten. Seine Wasserverfügbarkeit hat Vorrang vor dem Export von Grundwasser nach Rhein-Main“, heißt es in dem Papier der Schutzgemeinschaft Vogelsberg. Das Leitbild des Hessischen Umweltministeriums wird zeigen,  wie sich diese Einschätzung im IWRM wiederfinden wird. Für den  Schottener Experten Hans-Otto Wack ist schon heute sicher: „Wasser ist  eines der wichtigsten Themen der Zukunft.“

Der obere Forellenteich in der Nähe des Taufsteins ist eines von vielen Naturschutzgebieten im Vogelsberg.
Energischer Protest in den 1970er Jahren

Die Großförderung von Wasser aus dem hessischen Mittelgebirge in den Rhein-Main-Ballungsraum begann 1873. Damals betrug sie 10.500 Kubikmeter täglich. Ein Jahrhundert später, in den 1970er Jahren, scheiterte die Absicht des Landes, bis zu 325.000 Kubikmeter Wasser täglich aus dem Vogelsberg „abzuzapfen“ am energischen Protest der Bevölkerung insbesondere im südlichen Vogelsberg. Bundesweit bekannt wurde damals der Müller Heinrich Muth aus der Gegend um die Gemeinde Salz. Nicht allein er sah in der Wasserentnahme einen „Akt der Gewalt“. Dank der „Umweltschonenden Grundwassergewinnung“ ging die geförderte Grundwassermenge von 164.000 Kubikmeter täglich in 1985 auf 123.000 Kubikmeter/Tag in 2015 zurück.

www.sgv-ev.de

www.iwrm.hessen.de

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