Landbote-Aktion

Mein Lieblingsbuch: ?

Redaktionskonferenzen gebären Ideen wie Kaninchen Junge. Manche sind Totgeburten, andere werden rasch von den Redaktionsfüchsen gerissen. Einige gelangen ans Licht der Öffentlichkeit. Wie die: „Wir fragen unsere Leser nach ihrem Lieblingsbuch“. Ich versuche, mich in die Haut der gefragten Leserschaft zu begeben, stehe vor meinen überladenen Bücherregalen – und beginne zu sinnieren.

Allzumenschliche Enten und Mäuse

Als gerade des Lesens mächtig gewordenes Kind wäre mir die Antwort leicht gefallen. Gerade hatte ich gelernt, aus Buchstaben Worte und aus Worten Sätze zu lesen, da verschlang ich schon Bildergeschichten mit Sprechblasen über allzu menschliche Enten, Mäuse und Füchse, dann über einen heldenhaften Affenmenschen, der vor seinen Heldentaten einen langen, schrillen Schrei brüllte. Damals war mir jedes neue Heft mit den Geschichten über meine Idole das liebste.

Bald brauchte ich die Bildchen nicht mehr. Ich verbrachte meine Nächte mit langen Romanen über einen edlen Indianer. Jedes neue Buch des viel schreibenden Indianer-Schriftstellers, das mir in die Hände kam, war mein liebstes – bis ich es ausgelesen hatte. Einige der Romane haben in meinen Bücherregalen überlebt. Blättere ich heute darin, bleibt nur ein müdes Lächeln über meine jugendliche Schwärmerei. Viel spannender als sein Werk erscheint mir nun das Leben jenes Vielschreibers, der aus armen Verhältnissen kam, als Dieb verurteilt wurde und dem später sein Ruhm ziemlich zu Kopfe stieg.

Es bleibt nur die ungefähre Erinnerung

Der Anspruch wuchs, die Bücher wurden komplizierter, aber nicht unbedingt spannender. Durch langweilige Klassiker quälte ich mich über die Liebesqualen junger Männer vor über 100 Jahren. Aber ich entdeckte auch jenen Bäckersohn aus Bayern, der seinen beschwerlichen Weg zum Schriftsteller so mitreisend beschrieben hat, der sehr populär wurde und heute leider ziemlich vergessen ist. Und den Reporter aus Prag, der seine ersten journalistischen Taten mit so leichter Feder erzählte. Und das Arbeitermädchen aus dem Ruhrgebiet, das mitreißend ihren Kampf um die Sprache schildert. Und das Flüchtlingskind aus dem Böhmerwald, das in Mittelhessen eine neue Heimat gefunden hatte und diese so detailverliebt beschrieb, dass jeder Leser nur staunend feststellen konnte: „Ja, genau so war es damals.“

So viele Lieblingsbücher auf Zeit. Auch das gehört dazu, in dem einer so schön Gerüche beschreibt und so brutal schildert, wie einer für Düfte mordet. Der Autor jenes Geruch-Krimis hat schon nach drei Jahrzehnten Lektüre seine liebe Not damit beschrieben: „Es ist eine Schande, es ist ein Skandal. Seit dreißig Jahren kann ich lesen, habe, wenn nicht viel, so doch einiges gelesen, und alles, was mir davon bleibt, ist die sehr ungefähre Erinnerung, dass im zweiten Band eines tausend Seiten starken Romans sich irgend jemand mit einer Pistole erschießt. Dreißig Jahre umsonst gelesen! Tausende von Stunden meiner Kindheit, meiner Jugend- und Mannesjahre lesend zugebracht und nichts davon zurückbehalten als ein großes Vergessen. Und nicht dass dieses Übel nachließe, im Gegenteil, es verschlimmert sich.“

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