Jüdisches Museum Nidda

Das Tagebuch des Stephan Wallenstein

Von Corinna Willführ

Über viele Jahre lagen die Tagebücher von Dr. Stephan Wallenstein im Schreibtisch seines Sohnes Abi. Nun hat sie der 72-Jährige dem Jüdischen Museum Nidda geschenkt. Der in Jerusalem geborene und in Hamburg lebende  Musiker gilt als eine der „lebenden Legenden des Blues“. Gemeinsam mit Holger „Hobo“ Dauth (links) spielte er den  „Blues gegen das Vergessen – 80 Jahre Reichspogromnacht“ in der Heimatstadt seines Vaters. Die Veranstaltung hatte der  Wetterauer Begleitausschuss des Projekts „Demokratie leben“ gemeinsam mit dem Jüdischen Museum Nidda initiiert.

Flucht vor den Nationalsozialisten

Über mehrere Generationen war die jüdische Familie Wallenstein bereits in der Kleinstadt im heutigen Wetteraukreis ansässig, als Stephan Wallenstein Ende des 19. Jahrhunderts geboren wurde. Die Geschichte der Familie hat der katholische Pfarrer Dr. Wolfgang Stingl für sein Buch über das „Jüdische Leben in Nidda im 19. Und 20. Jahrhundert“ recherchiert. So betrieb Dina Wallenstein einen Einzelhandel für Schuhe und Bekleidung in der Bahnhofstraße: „ein reelles Geschäft“. Ihr Sohn Abraham eröffnete 1891 mit seiner Schwester Berta in der „Raun“ den Textilien-Laden „Geschwister Wallenstein“. Abraham heiratete Ida, eine geborene Baumblatt, und bekam mit ihr fünf Kinder. Ihren ältesten Sohn nannten sie Stephan. Der allerdings wurde kein Kaufmann.

Stephan Wallenstein studierte Medizin in Gießen, eröffnete eine Praxis in Neuss am Rhein. Nach dem Brand der Synagogen in der  Reichspogromnacht am 9. November 1938 musste der Arzt vor der Verfolgung durch die Nationalsozialisten fliehen. Er entkam in das damalige Palästina und heiratete seine Frau Judith. Im Dezember 1945 wurde ihr Sohn Abi geboren.  Mit ihm und dessen jüngerer Schwester Hanna kehrte das jüdische Ehepaar bereits 1958 wieder nach Deutschland zurück. Judith wurde Kinderärztin in Düsseldorf. Abi Musiker. „Der Blues hat mich infiziert“, sagt er nach mehr als 30 Jahren auf den Bühnen und Plätzen Europas. Trotz aller Erfolge in großen Konzerten beispielsweise mit Luther Allison, Joe Cocker oder Inga Rumpf und vielen  Auszeichnungen wie dem Deutschen Schallplattenpreis oder dem Blues Award hat Abi Wallenstein nie aufgehört, auf der Straße zu spielen und zu singen.

„Blues gegen das Vergessen“

Hildegard Schiebe vom Vorstand des Jüdischen Museums Nidda, die Hessische Staatsministerin Lucia Puttrich, Niddas Bürgermeister Hans-Peter Seum und die Sozialdezernentin des Wetteraukreises, Stephanie Becker-Bösch, (v.l.n.r.) bei der Veranstaltung „Blues gegen das Vergessen – 80 Jahre Reichspogromnacht“. (Fotos: Corinna Willführ)

Zur Veranstaltung „Blues gegen das Vergessen – 80 Jahre Reichspogromnacht“ ist er mit dem Mundharmonika-Virtuosen Holger „Hobo“ Dauth in das Haus am Landgrafenteich im Stadtteil Bad Salzhausen gekommen. Bevor die beiden auf die Bühne kommen und ein grandioses Konzert geben, sitzt Abi Wallenstein in der ersten Reihe. Neben ihm die Hessische  Hessischen Staatsministerin Lucia Puttrich, Hildegard Schiebe vom Vorstand des jüdischen Zimmermann-Strauß-Museums, die Sozialdezernentin des Wetteraukreises, Stephanie Becker-Bösch, und Niddas Bürgermeister Hans-Peter Seum. Erstmals hört er,  wie sich die Aufzeichnungen seines Vaters – vorgetragen von dem Journalisten Jürgen Wagner – anhören. „Präzise und doch in einer poetischen Sprache“ erzählt Dr. Stephan Wallenstein von seinem Schulweg. Von den Vorbereitungen für das Jom Kippur-Fest. Von dem Barbier, der ihm seinen ersten Zahn zog. Von seiner Bewunderung für die Thorarolle in der Synagoge. Sein Sohn Abi hat es sich nicht leicht gemacht, bei der Entscheidung, die persönlichen Aufzeichnungen aus der Hand zu geben. Doch die Reaktionen auf die Lesung, die Gespräche an diesem Abend haben ihn bestärkt: „dass es richtig war sie dem Jüdischen Museum in Nidda zu schenken.“ Und damit der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Bibliothek mit 1500 Bänden
Ausgewählte Exponate aus dem Jüdischen Museum Nidda bei der Veranstaltung „Gegen das Vergessen – 80 Jahre Reichspogromnacht“.

Denn im Obergeschoss des Jüdischen Museums Zimmermann-Strauß in der Straße „Raun 62“ befindet sich eine Bibliothek zur Geschichte des Judentums, über jüdische Theologie und das Alte Testament. Die Sammlung mit rund 1500 Bänden umfasst außerdem Biografien sowie Bücher über Antisemitismus und den Holocaust, Reiseliteratur zu Israel und eine Vielzahl von Werken jüdischer Schriftsteller. Im Erdgeschoss des Hauses befindet sich ein Raum, in dem zu sehen ist, wie Juden in Nidda lebten. Im ersten Stock sind  das Synagogenzimmer mit einer großen Thorarolle, der Raum des Nicht-Vergessens sowie das Bibelzimmer. In ihm sind Bibeln in verschiedenen Ausgaben und Sprachen der Welt ausgestellt.

„Die Bibliothek lädt Sie zum Lesen ein, bietet aber auch sehr viel Material zum Abfassen von Arbeiten zum Thema Judentum für Schule und Studium“, schreiben Hildegard Schiebe und Professor Rudolf Grulich vom Vorstand des Jüdischen Museums. Geöffnet ist das Museum sonntags von 14 bis 17 Uhr. Es kann sonst nach Vereinbarung mit telefonischer Anmeldung unter 0160/9301300 oder 0177/3266029 oder per E-Mail info@niddas-juden.de besucht werden.

www.niddas-juden.de

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