Fall Johanna Bohnacker

Es gibt Tage, die vergisst man nicht

Von Corianna Willführ

Es gibt Tage, die vergisst man nicht. Wie Sonntag, den 1. April 2000. Es hätte ein ganz normaler Sonntagsdienst in der Friedberger Redaktion der Frankfurter Rundschau werden können. Bis zu dem Anruf eines Kollegen: „Die Johanna ist tot.“ Johanna, sie war keine Verwandte, keine gemeinsame Freundin und doch, Johanna schien einem schon fast vertraut. Denn seit dem Nachmittag des 2. September 1999 galt Johanna Bohnacker aus dem Ranstädter Ortsteil Bobenhausen als vermisst. Am helllichten Tag war die Achtjährige verschwunden. Hundertschaften der Polizei hatten nach ihr gesucht. Der 1. April war der Tag, an dem Reste ihrer Leiche nahe der Autobahn bei Alsfeld von einem Spaziergänger gefunden wurden.

Der gewaltsame Tod eine Kindes

Das indes wusste ich nicht, als ich mich von Friedberg auf nach Bobenhausen begab. Ausgesprochen widerwillig. Denn wer will schon auf die Eltern eines mutmaßlich ermordeten Kindes treffen. Klar, auch darüber muss berichtet werden. Nur wie ihnen gegenüber treten? Welche Fragen stellen? Ich war ebenso irritiert wie erleichtert links am Ortseingang das Sportfeld verwaist zu sehen. Das Sportfeld, an dem Johanna Bohnackers Rad gefunden worden war. Auf der Hauptstraße, überhaupt auf keiner Straße war ein Mensch zu sehen. Also war es doch eine Falschmeldung? Nein. Die überfüllten Aschenbecher im rauchgeschwängerten Gemeindehaus, in dem die Eltern – ohne die FR zu informieren – eine Pressekonferenz gegeben hatten, zeugten davon, dass hier Menschen zusammengesessen hatten, die mit einer Tatsache konfrontiert waren, die keiner, auch kein einziger von ihnen, hatte jemals erleben wollen: den gewaltsamen Tod eines Kindes.

Wo waren die Eltern? Wer könnte was sagen? „Geh dahin, wo die Menschen sind“, sagte mein Redaktionsleiter. Also in die Kneipe. War es ein Geburtstag, eine Konfirmation. Auf jeden Fall wurde an diesem Sonntag dort gefeiert. Doch es schien mit wenig Lust. Sagen zu Johanna, wollte damals niemand was sagen.

„Den Täter finden wir“

Willi Schwarz, damals Pressesprecher der Wetterauer Polizei, hatte aber schon nach dem Verschwinden von Johanna Bohnacker versprochen: „Den Täter finden wir.“ Ein solches Verbrechen, so Schwarz, ließe keinen Kriminalbeamten kalt. Die eingerichtete „Soko Johanna“ blieb über all die Jahre aktiv, arbeitete tausende von Spuren nach, auch nach einer vermeintlich in das Verbrechen verstrickte Frau. Hunderte Männer aus der Region gaben freiwillig Speichelproben ab. 25.000 Euro Belohnung wurden ausgesetzt. Immer wieder ersuchten die Eltern, Gabriele und Richard Bohnacker, in öffentlichen Aufrufen die Bevölkerung um Hilfe. „Fangt Johannas Mörder bevor ich sterbe“ appellierte der Vater noch 2011, zwei Jahre bevor er starb.

Und vier Jahre nachdem nun das Amtsgericht Gießen Haftbefehl gegen einen 41-Jährigen erlassen hat. Einen Mann, der bereits während der Fahndung unmittelbar nach dem Verschwinden Johannas im Zusammenhang mit einem rotbraunen Jetta mit HG, also Bad Homburger-Kennzeichen, überprüft, aber durch das Fahndungsraster gefallen war.

Ein weiterer spaktakulärer Fahndungserfolg

Überführen konnten die Ermittler den Friedrichsdorfer nun durch die Hinweise aus der Bevölkerung zu dem „Maisfeld-Fall“, einem sexuellen Übergriff eines Unbekannten in Nidda im Wetteraukreis, bei dem eine 14-Jährige gefesselt worden war. An den Klebestreifen, die zur Fixierung des Mädchens angewendet worden waren wie auf dem Klebestreifen, die man an den Leichenresten von Johanna Bohnacker gefunden hatte, waren Fingerabdrücke des Verdächtigen gefunden worden – nachdem und 17.000 Dateien von „Tatortspuren“ gesichtet und 300 Akten zu dem Fall über 18 Jahre gesammelt worden waren. Der Mann, hat ein Teilgeständnis abgelegt. Er hat Abitur, ist arbeitslos, vorbestraft und wegen Drogendelikten bekannt.

Der Hype, den es in diesen Tagen in den Medien gibt – selbst die Pressekonferenz der Staatsanwaltschaft Mittelhessen aus Gißen (am Donnerstag) wurde live auf Hessenschau.de übertragen — demonstriert: Ein Kapitalverbrechen wie Mord wird nicht vergessen. Schon gar nicht an einem Kind.

Vom 24. Oktober 2017 datiert die Online-Meldung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung eines weiteren spektakulären Fahndungserfolgs der Polizei: Vor fast 30 Jahren wurde eine junge Frau aus dem Raum Offenbach Opfer eines stundenlangen Martyriums durch einen Vergewaltiger. Der 55-jährige Verdächtige hat gestanden. Das Delikt „Vergewaltigung“ ist verjährt. „Es ist eine gewisse Erleichterung, dass der Fall jetzt aufgeklärt ist“, sagen die Ermittler zu dem Fall aus der Nähe von Aschaffenburg.

Die Mutter von Johanna, die nicht mehr in Bobenhausen lebt, werden die Beweggründe noch umtreiben, warum ihre Tochter Opfer von sexuellem Missbrauch und schließlich getötet wurde. Nach ein paar Tagen wird der nun aufgeklärte Fall aus den Schlagzeilen verschwinden. Bobenhausen wird nicht mehr mit einem aufsehenerregenden Kindesmord in Verbindung gebracht werden.

Der Fall scheint gelöst. Mit dem Urteil „lebenslänglich“ für den 41-jährigen ist zu rechnen. Die Erinnerung an den 1. April 2000 wird damit nicht ausgelöscht – nicht nur bei mir.

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