Goethe-Literatur

Schnee von gestern?

von Jörg-Peter Schmidt

Goethe als Geschenk in der Weihnachtszeit?  Oder man beschenkt sich mit Goethe auch außerhalb der Weihnachtzeit selbst ? Ist das nicht ein doch sehr altertümliches Präsent, Schnee von gestern? Ein Autor aus Aßlar (Lahn-Dill-Kreis) hat sich Gedanken gemacht, ob der weltbekannte Schriftsteller noch aktuell ist. 

Goethe-Literatur frisch und lebendig

Dr. Wolfgang Keul

„Der Werther-Roman ist noch keineswegs angestaubt, sondern frisch und lebendig.“ Dieses Resümee zieht der Germanist und Historiker Dr. Wolfgang Keul in seinem kürzlich im Verlag „Haag + Herchen“ (Hanau) unter dem Titel „Von Wetzlar nach Weimar“ erschienenen Buch, in dem anhand zahlreicher informativer Beispiele erläutert wird, warum Johann Wolfgang von Goethe und seine Werke bis heute generationsübergreifend an Anziehungskraft nichts eingebüßt haben.  Der frühere Studiendirektor an der Goetheschule Wetzlar hat mit seiner Aussage recht: In der Tat bietet der 1774 erstmals erschienene Bestseller „Die Leiden des jungen Werthers“ den Stoff, aus dem heute erfolgreiche Filme oder Serien entstehen. Gemeint ist Werthers unerfüllte Liebe zu Lotte, deren literarisches Vorbild bekanntlich Charlotte Buff aus Wetzlar war, die Goethe bei einem Ball in dem heutigen Hüttenberger Ortsteil Volpertshausen kennengelernt hat.

Unerfüllte Liebe

Charlotte Buff

Keul beschreibt im Folgenden mehrere literarische Parallelen im Laufe von Jahrhunderten zum „Werther“-Briefroman: Auch in Wilhelm Müllers  romantischem Liederzyklus von 1821 „Die schöne Müllerin“ (von Franz Schubert vertont) geht es um eine unerfüllte Liebe: die eines Wanderers zu einer Müllerin. Goethes in Wetzlar und Umgebung spielende Vorlage zieht sich wie ein roter Faden auch in Ulrich Plenzdorfs 1972 in der DDR erschienenen Erzählung „Die neuen Leiden des jungen W.“: Der 17-jährige  Edgar Wibeau vertieft sich in ein Reclam-Heft des „Werther“, dessen Handlung den seinen eigenen Erlebnissen zunehmend ähnelt: Er verliebt sich in eine Kindergärtnerin, die er in Anlehnung an Goethes Charlotte bzw. Lotte Charlie nennt. Allerdings ist Charlie mit einen gewissen Dieter verlobt. Wie im „Werther“ endet die Geschichte tödlich: Edgar stirbt durch einen Stromschlag. Übrigens ist die Geschichte 1976 mit Klaus Hoffmann in der Hauptrolle verfilmt worden.

Goethe in der Campagna von Johann Heinrich Wilhelm Tischbein

In weiteren Kapiteln des Buches von Wolfgang Keul erfahren die Leser Hintergründe unter anderem über Goethe und seine Liebe zu Italien, über die „Römischen Elegien“ und welche Rolle dabei Christiane Vulpius, die Lebensgefährtin und spätere Ehefrau des  großen Schriftstellers, Wissenschaftlers und Staatsmanns,  spielt. In den letzten Kapiteln beschäftigt sich der Autor erneut mit Charlotte Buff: Charlotte Kestner geb. Buff besucht in Thomas Manns Roman „Lotte in Weimar“ im Jahre 1816 ihren Jugendfreund,  der zu ihrer  Enttäuschung unzugänglich und arrogant geworden ist. Dass es zu dieser späten Begegnung kam, ist historisch verbürgt, erläutert Wolfgang Keul, dessen lesenswerte Dokumentation auf Vorträgen basiert, die er auf Einladung der Goethe-Gesellschaft Wetzlar hielt.

„Von Wetzlar nach Weimar – Annäherungen an Goethe“  ist im Verlag Haag + Herchen erschienen, hat 214 Seiten und kostet 26 Euro.

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